50 Jahre Kult-Plattenspieler:Runde Sache

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2007 legt DJ Sven Väth im Techno-Club "Tresor" in Berlin-Mitte auf. Ein SL-1200MK2 darf da natürlich nicht fehlen. (Foto: imago/Christian Schroth)

Nichts hat die Musikbranche und DJ-Kultur so verändert wie der Plattenspieler SL-1200 von Technics. Nun wird das Gerät 50 Jahre alt. Höchste Zeit für eine Würdigung.

Von Jan Kedves

Start-Stop. 33-45. Plus 8, minus 8. Mehr Informationen braucht es nicht, um die Euphorie wachzurufen, die sich in den Leib geschrieben hat, wenn man schon mal nonstop zum Sound gemixter, gescratchter oder hart gecutteter Platten getanzt hat: Wie das Ineinander- und Auseinanderlaufen der Beats von den Plattentellern die Sinne überflutet und die Synapsen aufreißt. Wie der Mix einen plötzlich die gesamte Welt verstehen lässt (für den Moment jedenfalls) und wie es den DJ zum gottgleichen Glücksgenerator macht.

Im Zeitalter der Technik darf deswegen gefeiert werden, wenn das Gerät, das all dies - die DJ-Kultur, die Rave-Revolution, zuvor sogar die gesamte musikalische Grundlage für Hip-Hop - ermöglicht hat, jetzt Geburtstag feiert. Der Plattenspieler Technics SL-1200 wird 50 Jahre alt, der 1979 von dem nachgeschobenen Update, dem SL-1200MK2, abgelöst wurde.

Die Ursprungsvariante: der Technics SL-1200 aus dem Jahr 1972. (Foto: Technics/Panasonic/Technics/Panasonic)

Ein Gerät, das mit seiner Start-Stop-Taste und seinem Fader für Temposteuerung, genannt Pitch, im erweiterten und ganz grundsätzlichen Sinne das Verständnis von post-postmoderner Zeitgenossenschaft geprägt hat: weil wir nämlich längst in einer aus Fragmenten und Zitaten zusammengestückelten, irgendwie nie ganz neuen, aber eben auch nicht nur restaurativen Mix-n-Match-Kultur leben.

"Der kann runterfallen - geht nicht kaputt. DJs können mit dem Kopf draufknallen - geht nicht kaputt. DJ kann sein Bier drüber kippen - geht nicht kaputt." So lobte vor einigen Jahren Maximilian Lenz alias Westbam, einer der einflussreichsten deutschen DJs, im Deutschlandfunk dieses fast zehn Kilo schwere "geniale Meisterwerk von einem Plattenspieler, ohne das die Geschichte der DJ-Musik wahrscheinlich ganz anders gelaufen wäre."

"Kann runterfallen, geht nicht kaputt": das Nachfolgemodell von 1979, der SL-1200MK2 (Foto: Technics/Panasonic/Technics/Panasonic)

Neben seiner sagenhaften Robustheit zeichnete den in Japan entwickelten SL-1200 nämlich sein reibungsloser Direktantrieb aus, sprich: Sein Plattenteller wird nicht, wie sonst üblich, per Riemen und Zahnrad in Schwung gehalten, sondern durch zwölf im Chassis kreisförmig angeordnete Spulen. Die stoßen den Plattenteller ab, dessen Unterseite von einem Permanentmagneten ringförmig umschlossen wird.

Flutscht zurück - ohne Eiern oder Aufjaulen

Ein Karussell des Elektromagnetismus, wenn man so will, gesteuert ohne Gleichlaufschwankung von einem Regelquarz. Das war damals revolutionär. In Kombination mit dem extra schweren Plattenteller aus Aluminium (zweieinhalb Kilo!) führte es dazu, dass frühe Hip-Hop-DJs in New York wie Grand Wizard Theodore und Afrika Bambaataa irgendwann bemerkten, dass sich dieser Plattenteller einfach stur weiterdreht, egal wie heftig man das Vinyl obendrauf manipuliert. Man kann die Platte festhalten, sie vor- und zurückziehen, mit der Nadel in der Rille herumscratchen, doch der SL-1200 fängt nie an zu qualmen. Und wenn man die Platte wieder loslässt, flutscht sie einfach sofort zurück auf Tempo, ohne Eiern oder Aufjaulen.

Man sollte nur vorher die Gummi-Auflage durch eine Filzmatte, genannt slipmat, ersetzt haben, damit die Unterseite des Vinyls beim Mix-Manöver nicht zerkratzt. An so eine Matte hatten die Väter des Geräts noch nicht gedacht. Syuichi Obata und Nagao Tamagawa, die zwei Entwickler und Designer, arbeiteten für Matsushita Electric Industrial, den damaligen Mutterkonzern von Technics und Panasonic.

Die Pitch-Steuerung war allerdings von Anfang an dabei. Von 1979 an, in der MK2-Version des Geräts, hatte sie einen ergonomisch gestalteten, daumendicken Regler. Er lässt sich von der Nullposition aus auf einer Temposkala von plus 8 Prozent bis minus 8 Prozent hoch- und herunterschieben. Dies ermöglicht das beat matching, das genaue Abstimmen der Tempi zweier Platten aufeinander, sodass man sie endlos übereinanderblenden kann. Wo fängt der eine Track an, wo hört der nächste auf? Entsteht da nicht gerade ein neuer, ein dritter Track, den es so gar nicht auf Vinyl, sondern nur in dieser Sekunde gibt? Solche Fragen stellt die DJ-Kultur, deren Geburt der SL-1200MK2 befördert hat, bis heute, oder anders gesagt: Ist nicht jede Platte, nicht jeder Track, letztlich nur Material zur Weiterverarbeitung für den Live-Remix des DJs, der das Abspielgerät eben viel mehr als eigenständiges Musikinstrument benutzt?

Ohne Plattenteller, kein DJ. Ohne DJ, kein gelungener Abend: Hier legt DJ Vice 1996 in Detroit auf. (Foto: POP-EYE/mo hübener via www.imago-images.de/imago images/POP-EYE)

Sicher: William Burroughs hatte zuvor auch schon zerschnittene und neu zusammengefügte Papierseiten zu Literatur erklärt, und Avantgarde-Komponisten hatten Sound-Collagen aus zerschnittenen Tonbändern kreiert. Aber der SL-1200MK2 hob das analoge Cut-and-Paste-Prinzip auf ein technisch perfektioniertes Level. Einleuchtend also, wenn ihn der amerikanische Musikwissenschaftler und Philosoph Mark Katz, der Bücher über die Evolution des Hip-Hop verfasst hat, als "die Stradivari oder den Steinway-Flügel des Hip-Hop" bezeichnet, also: als Referenzinstrument, an dem sich alle anderen DJ-Geräte messen lassen müssen.

Auch in der Mode zeigt sich die DJ-Kultur

Natürlich kann man ihn auch rein äußerlich als Design-Ikone feiern: Seine höhenverstellbaren Gummifüße, die das Wummern der Bassfrequenzen abfedern und ihm die Anmutung eines landenden UFOs geben! Sein S-förmig geschwungener Tonarm! Die vier horizontalen Pünktchen-Reihen, die seitlich in den Plattenteller geprägt sind, damit sie im Rotlicht eines kleinen Stroboskops die Pitch-Veränderungen anzeigen! Fast immer scheint sich eine dieser Pünktchen-Reihen auf magische Weise rückwärts zu drehen, während die anderen umso schneller nach vorne schießen. Diese optische Illusion passt perfekt dazu, dass die Arbeit des DJs zugleich in die Zukunft und rückwärts in die Vergangenheit weist - etwa wenn er Beethovens Fünfte über Hip-Hop-Beats scratcht oder ein altes A-capella von Whitney Houston über einen futuristischen Acid-Track knallt.

Diese Zeitverschiebungs- und Rekontextualisierungs-Tricks sind seit dem Siegeszug der DJ-Kultur auch in der Mode sichtbar geworden. Als 1982 Malcolm McLaren mit der New Yorker Hip-Hop-Crew The World's Famous Supreme Team seine vollgescratchte Rap-Single "Buffalo Gals" veröffentlichte, brachte seine damalige Partnerin Vivienne Westwood in der dazugehörigen Kollektion historisch inspirierte, dreifach übereinandergelegte peruanische Röcke mit Hip-Hop-inspirierten Hoodies zusammen. Jean Paul Gaultier hingegen rappte 1989 in seiner Acid-House-Single "How to Do That" mit stark französischem Akzent: "Bring some technique, bring some technique ... idea!" Mit dem Song wollte der Designer die junge, ravende Zielgruppe für seine Linie "Junior Gaultier" begeistern, und "technique" konnte man hier eindeutig auch hören als: Bring ein Paar Technics-Plattenspieler mit, die Ideen kommen dann wie von allein! Wir zerschneiden mit herumfliegenden Scheren Stoffe, wie DJs mit ihren Cuts und Scratches historische Kontinuitäten trennen und neu zusammenfädeln.

Der Hip-Hoper Grandmaster Flash posiert auf einer DJ-Plattenkiste von Louis Vuitton. (Foto: Adler Hip Hop Archive, #8092. Division of Rare and Manuscript Collections, Cornell University Library./Adler Hip Hop Archive, #8092.)

Als dann 1996 die Marke Louis Vuitton den 100. Geburtstag ihres ikonischen Monogram-Canvas feierte, lud sie Designer Helmut Lang dazu ein, eine luxuriöse Louis-Vuitton-Plattenkiste für DJs zu kreieren. Für die Werbeanzeige hockte sich dann ganz lässig der legendäre New Yorker Hip-Hop-DJ Grandmaster Flash auf die Kiste. Und der Ende vergangenen Jahres gestorbene Designer Virgil Abloh wurde auch nie müde zu betonen, dass er vom Hip-Hop komme. Als Teenager hörte er Wu-Tang Clan und legte auf High-School-Partys auf. Fast logisch, dass er als Erstes ein DJ-Studio in sein Designbüro einbaute, inklusive SL-1200MK2, als er in Paris bei Louis Vuitton als Chef der Männerlinie anfing. Abloh sah im Turntablism - in der Kunst, mit rotierenden Soundquellen und einem Mischpult Tracks, Traditionen und Stile neu zu kombinieren - die konzeptuelle Grundlage seines Schaffens. Auch Luxusmode und Street Culture lassen sich eben mixen wie ein DJ-Set, oder anders gesagt: Ohne den SL-1200MK2 gäbe es heute möglicherweise auch keine Kollaborationen zwischen Sportmarken wie Adidas und Luxusmarken wie Gucci oder Balenciaga.

Zum 50. Geburtstag hat diese Legende, die sich Schätzungen zufolge seit 1972 etwa vier Millionen Mal verkauft hat und im MoMA in New York und im London Science Museum gezeigt wird, von Panasonic eine limitierte Sonderausgabe geschenkt bekommen, wenn auch in neuen, nicht unbedingt nötigen Farbvarianten wie Rot und Gelb. Denn der Klassiker bleibt Silber. Ohne ihn hätte das Leben heute einen anderen Takt, wahrscheinlich wäre es langsamer. Ein Mittel zur Entschleunigung war der SL-1200MK2 aber nie, was auch daran abzulesen ist, dass bei den meisten Exemplaren die schneller werdende Seite des Pitch stärker vom Regler abgenutzt ist als die langsame. Um es mit der Band Daft Punk zu sagen: Dieser Plattenspieler stand eben schon immer für "Harder, Better, Faster, Stronger".

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