Stilkritik zur Promi-Tracht:Albtraum mit Taft

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Wirkt wie Heidi, die von einem Systemgastronomie-Millionär aufgegabelt wurde: Franziska Knuppe in gerüschtem Seidentaft. (Foto: N/A)

Die Wiesn neigt sich dem Ende zu. Zeit, die diesjährige Mode zu betrachten. Wunderlich wird es vor allem, wenn die Promis aus dem Norden kommen.

Von Julia Werner und Max Scharnigg

Die Wiesn geht am Sonntag zu Ende, Zeit also, die diesjährige Mode zu betrachten. Kurz gesagt: Es war alles so wie immer. Der Promi-Event Almauftrieb auf der Wiesn zum Beispiel verdient wirklich seinen Namen, denn er ist mindestens so beschwerlich wie das Original in den Bergen: mit dem langen Weg ins Käferzelt (High Heels, starke Steigung) und dem dekorativen Aufwand (Blumengestecke am Kopf) können sich die Gäste auf jeden Fall mit der hart arbeitenden Alpenkuh messen.

Im Trend liegt ja in der normalen Welt, entweder gar kein Dirndl mehr zu tragen oder es zumindest mit einem hochgeschlossenen Blusenmodell zu kombinieren. Im Käferzelt allerdings werden immer noch fröhlich Busen hochgeschnürt, superhohe Hacken angeschnallt, getaftet und gerüscht, was das Zeug hält.

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Die Tracht wird vornehmer - auch auf der Wiesn. Im Fokus stehen Handwerk und hochwertige Materialien. Kreative und modische Details kommen trotzdem nicht zu kurz.

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Wunderlich wird es dann, wenn die Promis aus dem Norden kommen und sich als Alpenveilchen verkleiden, wie zum Beispiel das schöne Model Franziska Knuppe in einem gerüschten Seidentaft-Albtraum inklusive Röschen-Stickereien, zuckersüßem Ausschnitt und Puffärmeln. Sie wirkt darin wie Heidi, die von einem Systemgastronomie-Millionär auf Bergtour aufgegabelt, geheiratet und in den Herzogpark verschleppt wurde. Aber irgendwie geht das schon wieder in Ordnung, denn das wäre eine typische Münchner Geschichte. Julia Werner

Wiesn für ihn: voll korrekt

Auf das Äußere des Politikers Philipp Amthor wurde zuletzt ungewöhnlich oft und selten moralisch einwandfrei abgezielt. Vielleicht liegt das daran, dass sich viele Menschen bei seinem Anblick an die eigene Schulzeit erinnert fühlen und dieser, äh, Flashback große Emotionen freisetzt, die irgendwie abreagiert werden müssen. Wie auch immer - im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen verfügt Amthor wenigstens über ein markantes Gesicht, das selbst im Gedränge des Oktoberfests einen hohen Wiedererkennungswert hat.

Nachsicht, bitte: Der Politiker Philipp Amthor stammt aus einer Gegend, in der Lederhose und Janker unüblich sind. (Foto: N/A)

Was nun sein Outfit angeht, so muss man nachsichtig sein. Der Mann kommt aus Vorpommern. Lederhose und Janker dürften ihm ideologisch so fremd sein wie einem Tölzer das Matrosenleibchen und die Prinz-Heinrich-Mütze. Dafür schlägt sich Amthor hier recht gut und hat in der Logik der Landhausboutiquen auch nichts wirklich falsch gemacht. Vielleicht ist genau das das Problem, er trägt das Kostüm streberhaft korrekt und sieht deswegen doch wieder hochgradig verkleidet aus.

Vielleicht muss man bemühten Touristen diese wichtigste aller Trachtenregeln noch häufiger einbimsen: Entspannt euch, es gibt hier kein Richtigmachen im Falschen! Wie bei jedem Anzug entsteht auch bei der Tracht erst dann ein guter Effekt, wenn sie dominant und mit kleinen Widersprüchen getragen wird. Und eben nicht das Gwand stattdessen seinen Besitzer herumträgt. Max Scharnigg

© SZ vom 05.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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