Ökologische Landwirtschaft:'O Scholle mio

Lesezeit: 6 min

Der Stolz des 630-Hektar-Betriebs: Artischockenernte bei La Selva. (Foto: La Selva)

Viele Deutsche träumen vom eigenen Landgut in der Toskana, ein Münchner hat den Traum schon lange umgesetzt: Warum der Biohof "LaSelva" seit 40 Jahren immer weiter wächst.

Von Titus Arnu

Vom Feld her kommt eine Basilikum-Wolke. Die warme Luft weht den ätherischen, zitronigen Duft der tiefgrünen Blätter heran. Wenn man die Augen schließt, fühlt man sich, als wäre man ein Käfer, der sich in einen Caprese-Salat verirrt hat. So ähnlich ist es auch, nur ohne Mozzarella und Tomaten: Ein acht Hektar großes Basilikumfeld bei Albinia in der Maremma, die Toskana-Sonne brennt vom Himmel, und die Ernte hat gerade begonnen.

Zypressen und Pinien rauschen in der Brise, die vom nahen Meer über die Ebene streicht. Im Gebüsch kreischen Fasane, ansonsten ist nur das Brummen von Traktoren zu hören. Christian Stivaletti steht zusammen mit drei Mitarbeitern auf einer Erntemaschine, die ein paar Zentimeter Basilikum kappt, der Rest darf weiterwachsen. Eine scharfe Klinge rasiert die Spitzen des Krauts ab, die Blätter werden über ein Fließband behutsam in Kisten befördert. Stivaletti, Geschäftsführer der Bio-Manufaktur La Selva, zerreibt ein paar Blätter in seiner Hand, um die Qualität zu prüfen. Das Basilikum wird innerhalb weniger Stunden in der nahen Produktionshalle gewaschen, zerkleinert und zum Grundstoff für Pesto verarbeitet. Für den Geschmack ist der optimale Erntezeitpunkt ausschlaggebend.

Im grünen Meer: Basilikumernte auf dem Bio-Landgut La Selva in der Maremma. (Foto: La Selva)

"Nichts weglassen, nichts hinzufügen", lautet das Motto des Bio-Unternehmens in der Maremma, das von einem Deutschen gegründet wurde. 80 verschiedene Feldkulturen, Obst und Gemüse, Wein, Pasta und Tomatenprodukte hat die Firma im Programm, alles ohne künstlichen Dünger, ohne Geschmackszusätze, ökologisch und fair. Das Ziel war von Anfang an der pure Geschmack. Der Münchner Bio-Pionier Karl Egger gründete La Selva im Jahr 1980. Er hatte zusammen mit dem Musikmanager Manfred Eicher das Jazz- und Klassiklabel ECM groß gemacht, den Durchbruch schafften die beiden 1975 mit Keith Jarretts legendärem Album "The Köln Concert", mit vier Millionen verkauften Exemplaren erfolgreichste Solo-Jazzaufnahme aller Zeiten. Der Geschäftsmann Egger sehnte sich im Industriegebiet Gräfelfing, dem Sitz von ECM, aber eher nach Naturnähe: "Ich wollte raus, die Jahreszeiten erleben und endlich wieder Lebensmittel genießen, die ihren Namen verdienen und so schmecken, wie ich sie aus meiner Kindheit in Erinnerung hatte: natürlich, intensiv und unverfälscht."

SZ PlusKulinarische Landschaftspflege
:Wie Ziegen den Wein retten sollen

Die Steilhänge im Mittelrheintal sind Welterbe, der Riesling von dort zählte mal zu den teuersten Weinen. Doch der Anbau ist mühsam und zunehmend unrentabel. Jetzt sollen Ziegen das Problem lösen - und zugleich selbst zur Delikatesse werden.

Von Titus Arnu

Das verfallene Landgut bei Albinia, das der italophile Firmengründer kaufte, um sich seinen Traum vom Bio-Bauernhof in der Toskana zu erfüllen, hieß La Selva. Das bedeutet "Wildnis", und anfangs sah es auch wüst aus. Die Bauern hier belächelten den Quereinsteiger aus dem Ausland. Der Boden wirkte zu ausgelaugt, um dort Wein, Oliven oder Tomaten anzubauen, schon gar nicht ohne massiven Einsatz von Dünger. Davon unbeeindruckt pflanzte Egger Tomaten, Basilikum, Auberginen und Artischocken, die er mit Kompost und einer ordentlichen Portion Idealismus düngte.

Das ehemals verfallene Landgut bei Albinia ist heute postkartentauglich, die Produktionsstätten sind längst auch anderswo und: viel größer. (Foto: La Selva)

Seine Saat ging auf: Bereits 1984 war La Selva der erste von Naturland zertifizierte Betrieb im Ausland, Anfang der 90er-Jahre liefen in der Hofmanufaktur die ersten Antipasti im Glas vom Band. Mittlerweile ist die Anbaufläche fast zehnmal so groß wie zu Beginn, die Firma produziert auf 630 Hektar mehr als 200 verschiedene Feinkostprodukte. Eine Million Bio-Gläschen aus der Toskana werden jährlich verkauft, in Italien, Deutschland, der Schweiz und Österreich, aber auch in Skandinavien, Frankreich, Polen, Tschechien und Rumänien, ja sogar in Japan und in den USA. 20 Millionen Einheiten Polpa, Passata, Salsa, Saucen und getrocknete Tomaten verlassen allein jährlich die Tomatenfabrik in Donoratico, abgefüllt in Gläser, nicht in Alu oder Plastik. Damit gehört La Selva zu den mittelgroßen Produzenten in Italien. Aus dem romantischen Bio-Bauernhof ist längst ein internationales Unternehmen geworden mit Marketingabteilung, Zielgruppenanalysen und computergesteuerter Produktion.

Eggers Töchter Elodie und Caroline haben die Firma vor ein paar Jahren übernommen, der Senior hat sich zur Ruhe gesetzt und die Geschäftsführung an Christian Stivaletti übergeben. Obwohl der Betrieb weiterwächst und gerade ein neues Produktionsgebäude und funktionelle Büroräume errichtet wurden, hat man bei einem Besuch auf La Selva das Gefühl, bei einer sehr großen, idealistischen Bauernfamilie zu Gast zu sein. Alle duzen sich, man kennt sich seit Jahrzehnten, zum Teil sind die Mitarbeiter, die jetzt in der Landwirtschaft und in der Manufaktur das Sagen haben, Kinder und Enkelkinder von Arbeitern, die Karl Egger damals anstellte.

Erbhof: Viele der heutigen Mitarbeiter auf dem Landgut sind Kinder oder Enkelkinder früherer Mitarbeiter. (Foto: La Selva)

Im Agriturismo, direkt über dem Hofladen, kann man Urlaub machen, inklusive Hofführung, Feldbesuch und Verkostung in der Cantina. Es geht rustikal zu, die Gäste verpflegen sich mit hofeigenen Produkten in der Gemeinschaftsküche. Manchmal kocht der Chef persönlich. Christian Stivaletti legt seinen Strohhut ab, krempelt die karierten Hemdsärmel hoch und beginnt, zwei Kisten Basilikum zu putzen. In der Personalküche steht ein langer Holztisch, an dem sich Mitarbeiter zum gemeinsamen Essen treffen. Getreu dem Firmenmotto gibt es eigene Produkte frisch vom Feld, an diesem Tag Pasta mit selbstgemachtem Pesto und Caprese-Salat. Stivaletti stopft die Blätter in einen Cutter, gibt nach Augenmaß Knoblauch, Pinienkerne und geriebenen Pecorino zu - und schon ist das duftende Pesto fertig.

Selbstgemachtes Pesto in der Gemeinschaftsküche von La Selva. (Foto: Titus Arnu)

Stivaletti schneidet jetzt eine Kartoffel in Würfel und wirft sie ins Kochwasser. Die Kartoffeln geben Stärke ab und sorgen dafür, dass die Nudeln mehr Soße binden und das ölige Pesto nicht an der Pasta abgleitet, ein alter Trick italienischer Hausfrauen. Das wirkt alles sehr authentisch und schmeckt auch so, aber man fragt sich, wie man den puren, handgemachten Italien-Geschmack in einem so großen Maßstab für den europäischen Markt nachhaltig produzieren kann? Beim Essen umreißt Christian Stivaletti die Dimensionen des Betriebs und die ökologische Arbeitsweise. "Das ist ein geschlossener Kreislauf", erklärt er, "nach einem ausgeklügelten Plan rotieren die Fruchtfolgen innerhalb von sieben bis acht Jahren." Agraringenieure planen die komplexen Wechsel auf den Parzellen mithilfe eines Computerprogramms.

Bio-Pionier Karl Egger (rechts) hat die Geschäftsführung vor einigen Jahren an Christian Stivaletti abegegeben. (Foto: La Selva)

Auf etwa 100 Hektar Land baut La Selva Gemüse und Kräuter an, der Rest der Fläche wird von Apennin-Schafen beweidet oder für den Obstanbau, als Rebfläche oder Grünland für die Heuproduktion genutzt. Ein Teil liegt immer brach und wird mit Leguminosen bepflanzt, die den Boden mit Stickstoff anreichern. Das Heu wird an 180 Chianina-Rinder verfüttert, deren Ausscheidungen zusammen mit Abfällen aus der Gemüseproduktion kompostiert werden und später als Dünger auf die Felder kommen. Ohne Bewässerung geht im trockenen Klima der Maremma allerdings nichts. Drei Personen sind allein täglich unterwegs, um die weitverzweigten Schlauchleitungen zu überprüfen - immer wieder hacken Elstern Löcher hinein, um ans Wasser zu kommen. Ansonsten gibt es wenig Probleme mit Schädlingen, die ökologische Kreislaufwirtschaft ist eine natürliche Abwehrmaßnahme.

Zuletzt hat es fast zwei Monate nicht geregnet in der Süd-Toskana, doch während der Pesto-Pause geht hier ein Gewitter nieder. Während es draußen schüttet, führt Monika Mayer, zuständig für Qualitätssicherung, durch die neue, vergrößerte Manufaktur. Sie erklärt die Basilikum-Produktionsstraße, in der die Kräuter gewaschen, getrocknet, gehäckselt und schließlich mit Öl in 200-Liter-Fässer abgefüllt werden, als Grundstoff für Pesto und Tomatensaucen. Vier Arbeiterinnen sind damit beschäftigt, grünen Spargel zu putzen, die zarten Teile werden zu Spargelcreme verarbeitet. Bis vor zwei Jahren wurden Artischocken noch von Hand geschält, jetzt gibt es eine Schälmaschine, die zehnmal so schnell ist. Trotzdem haben die Arbeiterinnen ihren Job nicht verloren, es gibt alle Hände voll zu tun, besonders zur Erntezeit.

Blätter für Millionen Gläser: Die Basilikum-Produktionsstraße bei La Selva. (Foto: La Selva)

Dass der Bio-Produzent soziale und ökologische Verantwortung übernimmt, scheint sich auszuzahlen. Während in Italien hauptsächlich osteuropäische Erntehelfer unter skandalösen Bedingungen für weit unter Mindestlohn schuften, zahlt La Selva faire, vom Naturland-Verband zertifizierte Löhne. Zwischen den Feldern finden sich Rückzugsorte für Tiere: Brachflächen, Wälder, Seen, ein Insektengarten, Vogelschutzgebiete und Fasanenschutzgehege. Elodie Egger, in der Firma zuständig für das Thema Nachhaltigkeit, hat gerade neben dem Hauptgebäude einen Bestäubergarten angelegt, mit Salbei, Lavendel, Sonnenblumen, Verbene und anderen Pflanzen aus der Region. Ziel des Projekts: Das ganze Jahr über soll etwas blühen, um möglichst viele Insekten anzulocken, die Obst und Gemüse in der Umgebung bestäuben.

In Italien wächst der Markt für Bio-Ware jährlich um bis zu 15 Prozent

"Einfach und unverfälscht, natürlich und frisch", lautet ein Gedanke von Gründer Karl Egger, "das ist das Geheimnis guter italienischer Küche, aber auch das Leitmotiv ökologischer Landwirtschaft." Wie es aussieht, funktioniert dieses Prinzip auch im großen Maßstab. Der Bio-Betrieb kommt indes nicht ohne konventionelle Technik aus, es sind 50 dieselbetriebene Traktoren und Erntemaschinen im Einsatz. Kommerziell läuft es gut, zumal auch in Italien das Bio-Bewusstsein steigt und der Markt um bis zu 15 Prozent jährlich wächst. Mehr als 16 Prozent der Flächen werden dort biologisch bewirtschaftet, in Deutschland sind es nur zehn Prozent.

Newsletter abonnieren
:Das Rezept-Newsletter

Alles, was schmeckt! Der wöchentliche Newsletter zu Genuss, Koch-Vergnügen, Nachhaltigkeit und den besten Rezepten der Saison. Immer donnerstags. Kostenlos anmelden.

Die anfängliche Skepsis von Karl Eggers Nachbarn hat sich über die Jahrzehnte in Respekt verwandelt. Einige Landwirte verkauften ihre Felder an den Bio-Pionier, andere stellten unter seiner Beratung auf Bio-Anbau um. Die endgültige Eingemeindung feierte La Selva Anfang 2022, als der Gastro-Führer Gambero Rosso den La-Selva-Klassiker "Passata di Pomodoro" aus toskanischen Tomaten als "Top Italian Food 2022" auszeichnete: "Eine schöne, feuerrote Passata (...). Zart und harmonisch in Nase und Mund, sowohl roh als auch erhitzt." Der Preis gilt als Geschmacks-Oskar Italiens - und er ging ausgerechnet an das Tomatenprodukt einer aus Deutschland stammenden Firma.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusGesunde Küche
:Was macht eine gute Bowl aus?

Das Trend-Gericht kann viel mehr sein als Reis mit Soße. Aber auf dem Weg zur Lieblingskombination gibt es trotzdem ein paar Dinge zu beachten. Tipps und Rezepte für drei perfekte Sommerschalen.

Von Hans Gerlach

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: