Die fetten Jahre sind vorbei, Spaniens Nationalmannschaft weilt wieder unter uns Erdlingen. Das ist eine beruhigende Erkenntnis, denn es war ein wenig unheimlich geworden in den vergangenen sechs Jahren. Seit 2008 räumte diese Tiki-Taka-Maschine alles ab, was der Fußball hergab: Europameister, Weltmeister und wieder Europameister - das ganze immerzu stilsicher und hübsch anzuschauen.
Xavi, Iniesta und die anderen Wuselmenschen haben sich das Spiel auf ihre Weise zu Eigen gemacht, indem sie beschlossen, den Ball nicht mehr herzugeben. Wer gegen Spanien spielte, wurde von den wandelnden Billardbanden aus Barcelona oder Madrid in die Kurzpass-Folterkammer gesperrt und so lange nicht rausgelassen, bis er um Hilfe winselte. Wenn in der Fußball-Moderne von einer Ära die Rede ist, dann von jener Generation an Alles-Gewinnern, die in Brasilien ihren totalen Einbruch erlebte.
Es ist also passiert: Neuer Weltmeister wird jemand anders. Die Spanier mögen zwar soeben ein Champions-League-Finale unter sich bestritten und dazu die Europa League gewonnen haben, aber bei dieser WM sind sie krachend gescheitert. Es war kein unglückliches Aus, das sie Selección heimsuchte - sondern sie scheiterte an zwei besseren Mannschaften. Dem Team von Trainer Vicente del Bosque ist der Biss abhanden gekommen. Nach all den Triumphen ist das wohl ein menschlicher Zug.
Spaniens Aus bei der Fußball-WM:Tiki-Taka fährt nach Hause
Weltmeisterlich gescheitert: Titelverteidiger Spanien verliert auch sein zweites Gruppenspiel gegen Chile - und scheidet nach einem 0:2 bereits in der Vorrunde aus. Gegen die geschickten Südamerikaner offenbart sich einmal mehr, dass die Selección nicht mehr genügend Wucht entwickeln kann. Damit ist eine Ära fürs Erste vorbei.
Ständiges Gewinnen macht auch die besten Sportler mürbe, das haben sie schon beim FC Barcelona erfahren müssen. Dort war die Phase unter Pep Guardiola nicht mehr zu toppen. Das Gerüst der spanischen Mannschaft bilden Spieler von Barça und Real Madrid - ausgerechnet diese Klubs strapazieren ihr Personal Jahr für Jahr mit Höllenritten in drei Wettbewerben und nervenzehrendem Konkurrenzkampf. Mit Xavi Hernández ist das Gehirn des Spiels mit 34 Jahren diesen Aufgaben nicht mehr gewachsen gewesen. Gegen Chile saß er draußen.
Der spanische Kollaps lässt sich auch in einem größerem Zusammenhang erklären: Das Spiel verändert sich, es erfindet sich gerade neu. Der Ballbesitzfußball, dieses Mantra des Guardiolismus, ist ein wenig in die Jahre gekommen. Die Tendenz geht zum Gegenmittel: die turbohafte Überfall-Offensive, welche bei Real Madrid zu bestaunen ist.
Oder die kontrollierte Hybridvariante zwischen dem spanischen Modell und schnellem Umschaltspiel, welche das DFB-Team gegen Portugal zeigte. Für die Generation "Xaviniesta" bedeutet dieser Trendwechsel nichts Gutes. Nach Jahren der Kunst prescht der Fußball in ein Zeitalter ultimativer Physis, wo die Robbens, Khediras und sämtliche Roadrunner-Chilenen dieser Welt sich in neue Sphären voranwalzen. Kleine Artisten mit Hang zum jogo bonito haben es da schwer. Aber schön war es mit all den Pirouetten, Wacklern, Doppelpässen und Dreiecken. Willkommen zurück auf der Erde, ihr Galaktischen.