WM 2010: Deutsche Nationalelf:Gipfel der Entspanntheit

Lesezeit: 3 min

Geht's raus und spuit's Pressekonferenz: Franz Beckenbauer und Joachim Löw präsentieren der Weltöffentlichkeit bei einer Pressekonferenz am Kap einen deutschen Fußball in Bestform.

Christof Kneer

An dieser Stelle wurde es für einen kurzen Moment gefährlich. Was er denn davon halte, dass viele deutsche Nationalspieler offenbar die Nationalhymne nicht mehr beherrschten, wurde Franz Beckenbauer gefragt. Es war eine Frage, die sich harmlos anschlich, die sich tarnte und täuschte, die so tat, als sei sie dem Ressort "Vermischtes" entsprungen. Aber hinter dieser arglosen Maske verbarg sich eine Menge solides Konfliktmaterial. Im Grunde prallten hier nichts weniger aufeinander als das alte und das neue Deutschland. Hier das alte Deutschland des Franz Beckenbauer, der aus der Zeit der sogenannten Tugenden stammt, den Führungsspieler schätzt und mit der Bild-Zeitung verbandelt ist, die einige DFB-Profis kürzlich erst großformatig für ihren Hymnenboykott tadelte - dort das neue Deutschland des Joachim Löw, der die Tugenden für überschätzt hält, flache Hierarchien bevorzugt und eine Elf mit bunten Wurzeln unterhält. Was also würde Beckenbauer antworten?

"Gratulation zu diesem Quartier, das ist fast wie im Urlaub": Franz Beckenbauer (rechts) verteilte bei seinem Besuch bei Joachim Löw (links) großzügig Lob. (Foto: AFP)

Franz Beckenbauer sagte: "A geh, die Hymne werden's grad no' zammbringa."

Das kann vermutlich nur Franz Beckenbauer. Er hat die Gefahr mit feschem Kaisercharme weggewitzelt, der Saal lachte, aber ganz so einfach wollte Beckenbauer den Saal diesmal nicht davonkommen lassen. Er blieb locker, wurde aber ernst. Also, er selbst habe sich "mit dem Singen immer am besten auf ein Spiel einstellen können", fuhr er fort, selbst in seiner Zeit bei Cosmos New York habe die Hymne mitgesungen, "obwohl ich kein Amerikaner bin" (Lachen im Saal, d. Red.), aber er fände es auch "demokratisch", wenn die Entscheidung jedem Spieler selbst überlassen bliebe, "weil ja einige Spieler mit Migrationshintergrund dabei sind" (Nicken im Saal, d. Red.). Dann schaltete sich sein Nebensitzer ein, ein gewisser Joachim Löw, er sagte, "dass ich in meiner Zeit in der Türkei auch mitgesungen habe, obwohl ich kein Türke bin". Lachen im Saal.

Der deutsche Fußball war gut drauf an seinem dritten Tag in Südafrika, man kann das nicht anders sagen. Beckenbauer hatte das Team im WM-Quartier besucht und die öffentliche Fragerunde mit jener Nonchalance absolviert, zu der er einst seinen Spielern geraten hatte. Geht's raus und spuit's Pressekonferenz.

Der Gipfel der Entspanntheit hat durchaus Eindruck hinterlassen bei den zahlreichen ausländischen Journalisten, die sich im Saal drängten, und vor allem die Australier werden ihren Landsleuten berichten müssen, dass der WM-Auftaktgegner aus Deutschland im Moment leider ein Karma innerer Balance verströmt. "Ein unglaublich ruhiges Gewissen und ein gutes Gefühl" habe er, meinte Löw, dessen Lässigkeit locker an die der Lichtgestalt heranreichte. Auch von ihm ging ein gewisses Leuchten aus an diesem Tag, "wir sind gut vorbereitet", sagte er, und man sah ihm an, dass er wirklich daran glaubt. "Wir haben so viel getan, mehr können wir zum jetzigen Zeitpunkt gar nicht tun."

WM 2010: Deutsche Mannschaft
:Empfang mit Tröten

Die deutsche Nationalmannschaft ist in Südafrika und startet in die letzte Woche der WM-Vorbereitung. Der Flug verlief reibungslos, allerdings hatte sich der Start verzögert - wegen eines Popstars.

Vielerlei war bemerkenswert an Löws erster Pressekonferenz auf südafrikanischem Boden, nicht nur dieser Beckenbauer, der inzwischen eine ernste Bedrohung für den Imitator Matze Knop darstellt. Er kann sich selbst inzwischen besser als Knop. Im Übrigen muss man sich echte Sorgen machen um das "R"-Kontingent auf dieser Welt, Beckenbauer hat allein in dieser Dreiviertelstunde so viele verwendet, dass man nicht weiß, wie viele "R's" für den Rest der Welt jetzt noch übrig sind. Er sprach zum Beispiel über eine deutsche Elf, von der man "das Halbfinale erwarrrrten darrf", eine Elf, die auch "ohne Starr" funktionieren könnte.

Fotoshooting voll von Kaisercharme: Bei seinem Besuch am Kap ließ sich Franz Beckenbauer auch das Tröten der Vuvuzela demonstrieren - von US-Hürdenlegende Edwin Moses. (Foto: AFP)

Bemerkenswert war aber auch, wie gelöst der Bundestrainer mal eben seine anspruchsvolle WM-Regierungserklärung veröffentlichte. Er hat seiner unerfahrenen Elf mal eben aufgetragen, "dass wir nicht nur gewinnen, sondern auch aktiv nach vorne spiele wollen". Er habe ja extra so viele gute Techniker im Kader, "damit wir in der Lage sind, den Gegner..." - hallo Australien (d. Red.) - "... auch mal ausspielen zu können". Man wolle "die Gegner spielerisch in Verlegenheit bringen und nicht nur durch rennen und kämpfen". Auch solche Einschätzungen waren es, die aus dieser Pressekonferenz eine reizvolle Aufführung machten: Rechts saß Beckenbauer, der als Spieler wie als Trainer dafür stand, das große Deutschland mit deutscher Weltanschauung noch größer zu machen. Daneben saß Löw, der sich immer mehr dazu bekennt, das große Deutschland zu einem kleinen Spanien umbauen zu wollen.

"Das wird eine gute WM. Die Spieler müssen nämlich viel laufen, damit sie nicht erfrieren." - Franz Beckenbauer

Löw weiß, dass dieser Prozess dauern kann, er weiß, dass er in Südafrika einen Kader dabei hat, der für die Zukunft berechnet ist. "Die Mannschaft ist jung und entwicklungsfähig und wird ihren Zenit vielleicht erst in einigen Jahren erreichen", sagte er. Der Bundestrainer wird dann aller Voraussicht nach nicht mehr Löw heißen, zu verletzt ist er noch von der geplatzten Vertragsverlängerung und den populistischen Debatten, die folgten. An diesen Debatten war im Übrigen auch der fesche Charmeur an seiner Seite nicht ganz unbeteiligt, erst voriges Wochenende hatte er Löws Haltung in dieser Frage beanstandet. "Für was brauche ich denn als Trainer einen Vertrag? Um mich abfinden zu lassen?", hatte er in einem Interview spitz gefragt. "Davon haben doch nur die Anwälte etwas."

Aber an diesem Mittwoch, weit weg im südafrikanischen Centurion, war für eine Dreiviertelstunde alles gut. Schön warrrr's.

© SZ vom 10.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: