In der Klubhymne von West Ham United geht es um das Glück, das sich immerzu versteckt. "Forever blowing bubbles" heißt das melancholische Lied, das vor jedem Heimspiel erklingt, es handelt von Seifenblasen, die dann auch ganz real in den Himmel aufsteigen und natürlich am Ende platzen wie die Hoffnungen und Träume der Fans. Die Hymne steht stellvertretend für den meistens glücklosen Traditionsbetrieb aus dem Londoner East End. Doch an diesem Mittwoch, nach dem Sieg im Finale der Conference League, war das Glück plötzlich da. Bei der Siegerehrung konnten die Beteiligten die Pokalübergabe kaum erwarten. Als die Spieler dann den Pott in die Höhe stemmten, wollte ihn niemand mehr loslassen. Die Feierlichkeiten vor der eigenen Anhängerschaft dauerten rund anderthalb Stunden, ähnlich lang wie das Match.
Das Boulevardblatt Sun titelte im Wortspiel mit bubbles (Seifenblasen) und bubbly (Champagner): "Lovely bubbly", entzückend überschäumende Freude! Und wie diese aussah, ließ sich Trainer David Moyes entnehmen. Der 60-jährige Routinier mischte sich unter die Spieler, jubelte und tanzte - und teilte anschließend das Glück mit seinem Vater, indem er ihm auf dem Platz die Medaille um den Hals hing. Dieser hatte ihn als gehobener Amateurcoach zu seiner Laufbahn im Profifußball inspiriert. Der Erfolg ist für Moyes der erste echte Titel, in seinem 1097. Spiel an der Seitenlinie. Wie für viele Spieler und den Klub selbst nach langer Wartezeit.
Bayern-Kandidat Declan Rice:Robustheit für 100 Millionen Euro
West Hams Kapitän Declan Rice ist der begehrteste Premier-League-Spieler, der nicht bei einem Spitzenklub angestellt ist. Auch der FC Bayern will den Mittelfeldmann unbedingt verpflichten - das beste Argument der Münchner ist Thomas Tuchel.
Erstmals nach 58 Jahren gewann West Ham am Mittwochabend in Prag durch ein, nun ja, glückliches 2:1 gegen den AC Florenz wieder einen internationalen Titel. Damals führte der große Bobby Moore, Englands einziger Weltmeisterkapitän, den Klub zum Europapokal der Pokalsieger. Im Londoner Wembley-Stadion besiegte West Ham den TSV 1860 München mit 2:0, beide Tore erzielte Alan Sealey innerhalb von zwei Minuten gegen 1860-Torwart Petar Radenković. Dass jetzt über dem ewigen Leidenschaftsverein West Ham goldenes Konfetti niederregnete, ist vermutlich auch ein Wink an alle Außenseiter, nur nicht aufzugeben.
West Hams Siegtreffer fiel nach einem Steilpass in den Lauf des pfeilschellen Jarrod Bowen - in der 90. Spielminute. Aufgrund seines fast identischen Nachnamens mit der britischen Musiklegende David Bowie, der einst in seinem Liebeslied "Heroes" den wunderbaren Refrain "We can be heroes, just for one day" schrieb, wurde Bowen in den Inselmedien und von den Fans durchweg als "Hero" bezeichnet. Und in diesem Fall bleibt er wohl nicht nur für einen Tag der Held. Nach seinem Tor sprintete Trainer Moyes auf das Spielfeld und jubelte vor den eigenen Anhängern, als wäre das Spiel schon vorüber gewesen. Dies sei "der größte Erfolg" seiner Karriere, sagte Moyes ziemlich unverblümt. Solche Momente kämen "nicht oft" vor im Leben. Wenn ihm dies zu Beginn seiner Tätigkeit bei West Ham prophezeit worden wäre, hätte er diejenige Person für "verrückt" erklärt.
Trainer Moyes setzt auf eine pragmatische Strategie
Zunächst bewahrte Moyes den strauchelnden Verein als Interimstrainer für den entlassenen Slaven Bilić in der Saison 2017/18 vor dem Abstieg. In seiner zweiten Amtsperiode, zwei Jahre später, meisterte er die gleiche Prüfung, woraufhin er dauerhaft bei West Ham angestellt wurde. Mit einem kraftvollen und strukturierten Fußball, der immer nach Arbeit und Schweiß aussieht, führte Moyes die Londoner mit Rang sechs und sieben zu den besten Ligaplatzierungen in diesem Jahrhundert. Und genau im selben Stil bestritt seine auf die Verteidigung fokussierte Mannschaft nun das Finale gegen die Fiorentina. Wegen seiner pragmatischen Strategie und seinem unvergesslichen Jubellauf bezeichnete ihn die Sun als "Moyrinho", in Anspielung an den Alt-Internationalen José Mourinho.
Die beachtlichen Ergebnisse mit West Ham erinnern indes an seine Zeit beim FC Everton. Dort leitete der unprätentiöse Moyes einen ähnlich unruhigen Klub elf Jahre am Stück an. Daraufhin wählte ihn sein schottischer Landsmann Alex Ferguson als Nachfolger bei Manchester United aus - wo ihm das Glück nicht unbedingt hold war. Nach nicht mal einem Jahr wurde ihm gekündigt. Und beinahe wäre ihm das auch bei West Ham in dieser Saison passiert. Der Verein rutschte vorübergehend in die Abstiegszone und seine Position geriet in Bedrängnis, nachdem im Sommer 2022 rund 200 Millionen Euro für neue Spieler ausgegeben wurden. Der Fokus richtete sich früh auf die letztlich ungeschlagen absolvierte Europapokalsaison, in der West Ham mehr Spiele gewann (zwölf) als in der Premier League (elf).
Als Sieger der Conference League ist der Klub nun nächstes Jahr wieder international vertreten, in der Europa League. Wie einst das 1965er-Siegerteam werden auch die Erben um den stark umworbenen Kapitän Declan Rice am Donnerstag eine Busparade in London abhalten. Sie gleicht einer Zeitreise, von den Straßen der alten Heimspielstätte Boleyn Ground geht es ins 2016 bezogene Olympiastadion nach Stratford. Mit Sicherheit werden dabei wieder viele schöne Seifenblasen aufsteigen - aber mit ein bisschen Fantasie diesmal nicht verblassen, sondern in den Himmel zu Bobby Moore aufsteigen.