Werder Bremen:Schichtwechsel am Osterdeich

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Abtritt nach 25 Jahren Werder Bremen: Frank Baumann war zuletzt als Führungskraft in der Geschäftsstelle tätig, früher der Kapitän auf dem Rasen. (Foto: Carmen Jaspersen/dpa)

Am Saisonende hört Frank Baumann als Sportchef des SV Werder auf. Sein Wirken wird positiv in Erinnerung bleiben - auch wenn er bei einer finanziell bedeutsamen Personalie danebenlag, deren Folgen bis heute zu spüren sind.

Von Thomas Hürner, Bremen

In Bremen haben sie registriert, dass Milot Rashica sein Glück in Istanbul gefunden hat. Dem Flügelmann wurde beim SV Werder früher mal einiges zugetraut, doch mittlerweile hat er gemerkt, wo er sich am wohlsten fühlt. Rashicas Zuneigung zur türkischen Millionenmetropole geht so weit, dass nach eigener Auskunft sogar die Wahl des Arbeitgebers eher nebensächlich sei. Zuerst ließ sich Rashica für eine Saison an Galatasaray ausleihen, wo er sehr beliebt war, aber gekauft hat ihn der Stadtrivale Besiktas. Es soll türkische Fußballfans geben, die diesen Farbenwechsel für Hochverrat halten.

Dass Rashica in Istanbul trotzdem Anschluss gefunden hat, ist für die Bremer aber aus anderen Gründen interessant. Vor nicht langer Zeit galt der Kosovare am Osterdeich noch als echtes Asset, wie das gerne heißt, als ein Fußballer also, der entweder Großes für Werder leistet oder großes Geld einbringt. In Bremen sagen sie sogar ganz unverhohlen: Rashica war die Schlüsselpersonalie der vergangenen Dekade.

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2019 hatte es für ihn Angebote in Höhe von 35 Millionen Euro gegeben, eine damals wie heute stattliche Summe für Werder, doch der Bremer Sportchef Frank Baumann entschloss sich nach regen Diskussionen in den Klubgremien gegen einen Verkauf. Rashica sollte erst Werder besser machen und dann noch teurer verkauft werden. Heute weiß man: Der Plan ging nicht auf. Aus Rashica wurde keiner für Mailand oder Madrid, sondern einer für die zwei, drei Hierarchieebenen darunter.

Werder ist nicht da, wo der Verein hin wollte - doch andere Traditionsklubs sind schlimmer dran

Vor wenigen Tagen hat der Sportchef Baumann nun seinen Abschied zum Saisonende verkündet, nach dann 25 Jahren bei Werder, die meisten davon als Führungskraft in der Geschäftsstelle oder Kapitän auf dem Rasen. Rashica ist seitdem wieder allgegenwärtig: Wie würde man heute auf das Wirken Baumanns schauen, wenn er damals das viele Geld genommen und in frische Beine investiert hätte, die mal das Doppelte oder Dreifache wert sein würden? Wenn er den Traditionsklub zurück in den Europapokal geführt hätte, dorthin also, wo die Bremer ihre schönsten Momente erlebt haben?

Nun, es lief anders. Werders Finanzlage war während der Pandemie dramatisch, der Klub stieg ab, und Rashica wurde 2021 in einer Nottransaktion für nicht einmal ein Drittel jener Summe verkauft, die zwei Jahre vorher möglich gewesen wäre. Inzwischen haben die Bremer das Gefühl, sich auf dem Weg zurück in den deutschen Mittelstand zu befinden. Sie sind somit noch lange nicht da, wo sie mal hin wollten. Andererseits: Andere einst ambitionierte Traditionsmarken sind viel schlimmer dran, man denke nur an den dauerkriselnden FC Schalke 04 oder den unaufsteigbaren Nordrivalen Hamburger SV.

Überraschend kam die Nachricht von Baumanns Abschied nicht, er hatte immer wieder angedeutet, dass er die Geschäfte zeitnah übergeben will. In einem Interview mit dem Portal Deichstube sagte er, die Zeit sei reif "für Veränderung" - eine Einschätzung, die im Bremer Aufsichtsrat zumindest keine empörte Gegenrede provozierte. Baumann habe "Tolles" geleistet und Werder nach harten Jahren "stabilisiert", sagt Hubertus Hess-Grunewald der SZ.

Als Vorsitzender des Kontrollgremiums verantwortet Hess-Grunewald die Suche nach einem Nachfolger. Er hat Baumanns Entschluss nach einem Zwiegespräch sofort akzeptiert. Das heißt nicht, dass er froh darüber gewesen wäre und Baumann so womöglich nur einem ohnehin geplanten Personalwechsel zuvorgekommen war. Doch es ist nun mal üblich im Fußball, dass ein Schichtwechsel auf den nächsten folgt, und vielleicht ist der Zeitpunkt ja für beide Seiten gut gewählt: Nach dem Abstieg waren Baumanns Popularitätswerte im Keller, parallel mit dem Klub haben sie sich wieder in solide Regionen entwickelt. Und für die Bremer ergibt sich somit die Möglichkeit, ein bisschen etwas anders zu machen, ohne den Verein in eine grundlegend andere Richtung zu manövrieren.

Sein Name steht auf einer Kandidaten-Liste für den neuen Bremer Sportchef: Der frühere Werder-Verteidiger Clemens Fritz hat bereits wissen lassen, dass er sich eine Beförderung zutrauen würde. (Foto: Tom Weller/dpa)

Soll heißen: Der Nachfolger soll die Rashicas dieser Welt finden und idealerweise auch zum richtigen Zeitpunkt verkaufen. Man möchte sich der Talentsuche allerdings nicht unterwerfen, weil es aus Sicht Hess-Grunewalds "fatal wäre, alles nur auf diesen einen Transfergewinn auszurichten". Wer so vorgehe, sagt er, sei kein Stratege, sondern ein Spekulant.

Viele Bremer Fans wünschen sich allerdings nichts lieber als dieses eine Geschäft, das den Klub in eine Etage aufsteigen lässt, in der sich andere schon eingerichtet haben. Eintracht Frankfurt etwa, dem Gegner von Sonntag (Anpfiff 17.30 Uhr), ist in den vergangenen Jahren genau das gelungen: Fußballer wurden in der Nische gefunden und zu teils exorbitanten Preisen veräußert, wodurch die Eintracht vom Fahrstuhlverein zum Europapokalsieger wurde. Ein Musterbeispiel und nur schwer zu kopieren, klar. Ein Blick auf die Fußballlandkarte zeigt aber: Traditionsmarken, die keine derartigen Transfererlöse generieren, rutschen schnell mal in einen Kreislauf ab, der sie auf Dauer eher nach unten als nach oben zieht - Beispiele dafür sind nicht nur Schalke und der HSV, sondern auch der 1. FC Köln oder jüngst Borussia Mönchengladbach.

Aufsichtsratschef Hess-Grunewald sieht die Bremer für die Zukunft gut aufgestellt

Baumann ist so ein Transfer länger nicht mehr gelungen. Der Verkauf von Stürmer Niclas Füllkrug nach Dortmund brachte im Sommer zwar angeblich 13 Millionen Euro ein, doch der Anschaffungspreis hatte 2019 bei immerhin rund der Hälfte gelegen. In Bremen sind sie nicht naiv, sie sehen die Notwendigkeit des Profitstrebens schon auch. Sie sind aber realistisch genug, dass sie sich jetzt nicht nur noch 18-jährige Talente zulegen, die vielleicht mal viel Geld einbringen - oder eben nicht.

Der nächste Entwicklungsschritt soll organisch erfolgen - aus dem Fundament heraus, das Baumann seit dem Abstieg mühsam errichtet hat. Man habe "Verantwortungen verteilt" und den Klub für die "Zukunft ausgerichtet", sagt Hess-Grunewald. Das passierte auch in enger Abstimmung mit dem Sportchef: In Ole Werner hat Baumann einen versierten Trainer gefunden, der ins Milieu passt. Außerdem wurde in Johannes Jahns ein Kaderplaner installiert, der im RB-Universum sozialisiert wurde und der daher weiß, wie effiziente Talententwicklung geht. Und dann wäre da noch Clemens Fritz, der Bremer Sportdirektor.

Der frühere Werder-Verteidiger hat jahrelang von Baumann gelernt und bereits wissen lassen, dass er sich eine Beförderung zutrauen würde. Fritz' Name steht auf einer Liste von vier, fünf Kandidaten, aus der der neue Sportchef hervorgehen soll. Abgesagt haben soll bereits Per Mertesacker, auch er ein früherer Werder-Akteur. Mertesacker, heißt es, möchte lieber weiter als Nachwuchschef des FC Arsenal arbeiten. Seine Kernaufgabe in London: Talente fördern und Werte schaffen.

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