Die Geschichte des deutschen Skispringens ist auch verbunden mit einem speziellen Berg. Kein großer mächtiger Gipfel ist der sogenannte Bergisel, kein imponierender Fels. Eher als kleiner vorgelagerter Hügel ragt er im Süden Innsbrucks auf, und immer noch erinnern Tafeln und Bücher an Niederlagen und Siege, die einst der österreichische Volksheld und Freiheitskämpfer Andreas Hofer hier errang.
Längst haben die Skispringer aber den Bergisel eingenommen, auf dem ab 1923 eine der ersten modernen Skisprung-Großschanzen stand. Aber auf dem Hügel mit der atemberaubenden Aussicht über Innsbruck verloren nahezu immer die Skispringer des Deutschen Skiverbands (DSV); den bislang letzten deutschen Sieg auf dem Bergisel errang Richard Freitag 2015. Nun sprießt für den Verband wieder Hoffnung.
Zweischanzentournee der Skispringerinnen:Wenige Zuschauer, mäßige Quoten
Die kleine Frauen-Tournee über Garmisch-Partenkirchen und Oberstdorf entfacht nur bedingt Begeisterung und zeigt, dass Skispringerinnen ein besseres Format verdient haben. Doch dafür fehlt noch immer ein klarer Plan, kritisieren Expertinnen.
Das Springen von Innsbruck der 72. Vierschanzentournee bot eine spannende Endphase, denn plötzlich ging es gar nicht mehr weiter. Die Zuschauer durften wegen starken und ungerechten Rückenwindes rund 25 Minuten nach Ansage des Stadionsprechers rhythmische Aufwärmübungen machen, während die Medienschaffenden nervös nach dem Redaktionsschluss schauten. Dann war es endlich so weit.
Die letzten neun Springer hatten ihre Flüge nach unten gebracht. Am Ende war Ryoyu Kobayashi der Sieger im Tournee-Ranking. Er führt nun mit umgerechnet gut 2,5 Metern die Gesamtwertung an. Verfolger Andreas Wellinger liegt indes nur knapp hinter ihm, behält aber noch Chancen auf den Tourneesieg, die lange Fliegerschanze in Bischofshofen dürfte ihm besser liegen. "Zweieinhalb Meter Rückstand, das ist doch fast nichts auf der Riesenschanze", sagte er. Der Tagessieg ging an den Österreicher Jan Hörl.
Der Wind und die exponierte Schanze in Innsbruck bereitet den Springern Schwierigkeiten
Die Qualifikation am Tag zuvor hatte zunächst die Legende von einem Bergiselfluch bestätigt. Der bis dahin Führende in der Gesamtwertung, Andreas Wellinger, qualifizierte sich nur mit einem 15. Platz. Allerdings ist Wellinger weniger der Typ, der sich über Nacht in Albträumen plagt, zumal wenn er weiß, woher die Probleme kommen. Der Ruhpoldinger musste in der Qualifikation mit miserablen Windverhältnissen umgehen, sagte Wellinger, jedoch: "Danach habe ich mich von Sprung zu Sprung gesteigert." Und auch Bundestrainer Stefan Horngacher sagte: "Andi ist aber dabei, da geht noch alles."
Nicht nur die Böen, sondern auch die enge und relativ kurze Architektur der exponierten Schanze bereitet den Springern Schwierigkeiten. Zudem narrt sie der Wind gerne, und auch der Absprung bietet Besonderheiten. Dort, so erklärte Wellinger schon vor dem Abschied in Garmisch-Partenkirchen, müsse man besonders konzentriert sein. Die Position des Schanzentischs gebe den Springern den Eindruck, dass es am Ende des Tisches leicht nach oben gehe. Wer hier zu schnell reagiert, der verpasst den entscheidenden Absprungpunkt, und fällt schneller wieder herab von seinem Luftkissen.
Die deutsche Bilanz der vergangenen Jahre jedenfalls wies neben anderen Innsbrucker Schanzenproblemen und vielleicht auch psychologischen inneren Widerständen darauf hin, dass der Bergisel die größte Hürde für die deutsche Springermannschaft darstellt. Hauptsache, mögen sich die Deutschen gedacht haben, es läuft nicht so, wie in den vergangenen acht Jahren. Seit 2016 sammelten nämlich Karl Geiger, Severin Freund und Markus Eisenbichler eine Häufung an absurden Abstürzen im Ranking und im Schnee, wegen der schlechten Bedingungen - oder einer schlechten Konzentration.
Und tatsächlich kam es anders. Wellingers Qualitäten haben sich doch noch durchgesetzt und ein Fluch ist eben auch nur ein Fluch, nämlich eine Einbildung. Die Qualität von Wellingers Sprüngen, die Fähigkeit, sich nachts trotz Rückschlägen zu erholen, das sind alles Merkmale eines mittlerweile erfahrenen, selbstbewussten Leistungssportlers.
Nun beginnt also wieder eine kurze Phase der Selbststärkung, der Eigenmotivation. Wellinger ist von Natur aus eher kein Pessimist. "In Bischofshofen werde ich voll aufs Pedal steigen", kündigt er an. Das klingt ein bisschen nach Gewaltsprüngen, die erst recht zu früh enden. Doch Wellinger, mittlerweile auch schon 28 Jahre alt, hat auch schon viel Erfahrung und kennt den Unterschied zwischen einem souveränen Sprung und einem Verzweiflungsakt. Appetit jedenfalls hatte er noch vor diesem Wochenende: "Jetzt werde ich mir erstmal beim Abendessen richtig schön den Bauch vollhauen."
2,5 Meter Vorsprung - das ist zunächst mal ein Vorteil für den so akkurat springenden Ryoyu Kobayashi. Andererseits hat auch Andreas Wellinger seine Aufgaben gelöst und mit seiner Form eine starke Serie hingelegt. Zudem beherrscht er offenbar die Kunst, mit etwas Freundlichkeit dem Gegner zu begegnen und diesen so erst gar nicht übertrieben zu bewundern: "Er ist ein sehr ruhiger Zeitgenosse", sagt Wellinger über Kobayashi. "Mit ihm kann man Spaß haben." Es folgt noch der Ruhetag, am Freitag geht es dann weiter mit der letzten Qualifikation in Bischofshofen. Dort, beim Dreikönigsspringen, nähert sich die Tournee wieder einmal einem noch offenen, echten Finale.