Volleyballer Grozer und Olympia:Auf dem Höhepunkt mit 38 Jahren

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Endlich was zu brüllen: Georg Grozer (li.) und Tobias Krick haben mit den DVV-Männern die großen Favoriten Brasilien und Italien gezähmt. (Foto: Joao Gabriel Alves/dpa)

Ein entfesselt spielender Georg Grozer führt die deutschen Volleyballer in der Olympiaqualifikation zu Überraschungssiegen gegen Brasilien und Weltmeister Italien. Die Tür nach Paris ist nun weit offen - wenn die DVV-Männer am Wochenende nicht patzen.

Von Sebastian Winter

Georg Grozer tat alles weh, er musste in Rio de Janeiro schnell in die Eistonne, der Kapitän der deutschen Volleyballer spürt seinen inzwischen 38 Jahre alten Körper an allen Ecken und Enden. "Man akzeptiert die Schmerzen", sagte Grozer am Mittwochabend am Telefon, man "lebt und arbeitet damit, in meinem Alter muss man sie einfach als Freund betrachten."

Grozer, der Schmerzensmann, und seine Kollegen sind gerade in Brasilien dabei, eine Aufgabe zu bewältigen, die vor dieser Olympia-Qualifikation als quasi unlösbar galt. Sie müssen binnen einer Woche in einer Achtergruppe sieben Partien absolvieren und unter die beiden Besten kommen. Nur sie qualifizieren sich für die Sommerspiele in Paris. Jeder dachte, klar, Italien, der Weltmeister, und Brasilien, der WM-Dritte, machen das Rennen. Doch dann geschah das Unerhörte: Nach Auftaktsiegen gegen Iran und Kuba haben Grozer und Co. nun innerhalb von 17 Stunden erst Brasilien und dann Italien jeweils 3:1 geschlagen. Es war im 17. Duell gegen Brasilien der vierte Sieg, und der erste seit sechs Jahren gegen Italien.

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Grozer führte die DVV-Auswahl mit zwei fabelhaften Leistungen an, der Topscorer, der zuletzt bei Volley Milano unter Vertrag stand, zermürbte Brasilien mit 27 Punkten, gegen Italien gelangen ihm gar 31. Zeit für Jubelarien also? "Die Tür hat sich ein bisschen geöffnet, aber wir sind noch ganz weit weg. In meinem Kopf fängt das Turnier jetzt erst an", sagte Grozer. Drei Spiele kommen ja noch am Wochenende, gegen die Außenseiter aus Tschechien, vor denen der Kapitän eindringlich warnt, aus Katar und der Ukraine. "Wir dürfen keine Panik schieben", sagte Grozer. Sein Menetekel hat eine Geschichte: 2012 war der Zweimetermann bei den Olympischen Spielen in London dabei, wurde mit der DVV-Auswahl Fünfter, doch 2016 und 2021 verpassten sie das Turnier in Rio und in Tokio.

Die bitter verlorenen Entscheidungsspiele damals gegen Russland und Frankreich haben sich tief eingegraben in Grozers Seele, auch in jene der anderen Spieler, die schon 2012 dabei waren: Zuspieler Lukas Kampa und Außenangreifer Denys Kaliberda. Es bietet sich ihnen nun die wohl letzte Chance auf Olympia, und ein drittes Mal an der entscheidenden Hürde zu straucheln, das würden sie sich wohl nie verzeihen. "Wenn du einmal dabei bist, möchtest du das wieder erleben", sagte Grozer. Nur deswegen ist er nach jahrelanger Pause wieder in die Nationalmannschaft zurückgekehrt.

Paris ist das Band, das nun die alte Generation um Grozer mit den emporstrebenden Spielern verbindet. Die Mannschaft musste sich unter dem jungen polnischen Trainer Michal Winiarski, 40, der als Spieler selbst Weltmeister war, in diesem Sommer finden, spielte schwach in der Nations League und besser bei der EM, wo sie dennoch im Achtelfinale ausschied. Doch nun in Rio zeigte sie sich gegen Brasilien und Italien als kaum zähmbare Einheit. Die Blocker Anton Brehme und Tobias Krick? Boten Italiens Hünen vorne am Netz eindrücklich die Stirn. Außenangreifer wie Ruben Schott und die beiden Moritze, Reichert und Karlitzek? Griffen mutig und oft clever an. Libero Julian Zenger? Ist ein famoser Dirigent der Defensive.

Alle entscheidenden Angriffe laufen über Grozer. Das wissen die Gegner. Nur entschärfen können sie sie nicht

Die Aufzählung kommt nicht ohne die aktuellen Schlüsselspieler im System aus: Grozer selbst, dieser Weltreisende, der seit 20 Jahren bei Klubs in Ungarn, Deutschland, Polen, Russland, China, Südkorea und Italien spielt, der Champions-League-Sieger und WM-Dritter war und sich in diesem Herbst in seinen x-ten Frühling aufmacht: Alle entscheidenden Angriffe laufen über ihn. Das wissen die Gegner. Nur entschärfen können sie sie nicht. So war das früher schon bei seinem Vater, Georg Grozer senior, dem Hammerschorsch.

Außerdem Zuspieler Johannes Tille, als Ballverteiler der Stratege des Teams - und zugleich Wegbereiter für Vollstrecker wie Grozer. "Ich kann nur unglaublich stolz auf ihn sein, er zeigt gerade wahre Klasse und Mut und Eier, wenn man das sagen darf", sagte Grozer. Tille, 26, ist nun auch deshalb gefragt, weil der zehn Jahre ältere etatmäßige Steller Lukas Kampa wegen einer Wadenverletzung gegen Italien ausfiel und auch für den Rest des Turniers passen muss. "Wir haben nicht viel zusammen trainiert, trotzdem gibt er mir die Bälle so, wie ich mir das wünsche. Er hat eine riesen Zukunft vor sich", sagte Grozer über Tille und schwärmte dann von der gesamten Mannschaft: "Wir sind eine Einheit, egal ob privat im Hotel oder auf dem Spielfeld, wir harmonieren unglaublich gut."

Ob sie nun schon anstoßen würden bei einer kleinen Feier? Gewiss nicht, wiegelte Grozer an diesem wegweisenden Mittwochabend in Rio ab, "wir sitzen zusammen im Zimmer, spielen Spielchen und bleiben im Modus. Ich werde alles dafür tun, um nach Paris zu kommen". Hammerschorsch junior hat ja einen ganz besonderen Ansporn: Er könnte Olympia 2024 mit seiner 16-jährigen Tochter erleben. Leana Grozer stand in diesem Jahr erstmals im Kader der deutschen Volleyballerinnen.

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