Niederlande in der EM-Qualifikation:Die Notelf atmet durch

Lesezeit: 3 min

Ein Mann mit Anspruch und Stimmvolumen: Bondscoach Ronald Koeman treibt das Oranje-Team in Athen voran. (Foto: Louisa Gouliamaki/Reuters)

Die Niederländer ergattern sich beim späten 1:0 in Athen zwei Matchbälle zur EM-Teilnahme. Trainer Koeman und das Oranje-Team profitieren von den rasanten Entwicklungen beim Meister Feyenoord Rotterdam.

Von Ulrich Hartmann

Viel hätte nicht gefehlt, dann wäre es beim Abpfiff Montagnacht um 23.47 Uhr Ortszeit in Athen für den niederländischen Fußball schon fünf vor zwölf gewesen. Die Qualifikation für die Europameisterschaft 2024 in Deutschland stand auf dem Spiel, und in der Schlussphase drohte tatsächlich ein apokalyptischer Gegentreffer.

Aber weil stattdessen der orangefarben bekleidete Abwehrchef Virgil van Dijk in der dritten Minute der Nachspielzeit einen Foulelfmeter verwandelte, gewannen die Niederländer gegen Gastgeber Griechenland 1:0 und haben nun zwei Matchbälle: Sie können sich im November gegen Irland oder danach in Gibraltar die EM-Teilnahme endgültig sichern. Zur Vermeidung spöttischen Gesangs deutscher Fans im kommenden Sommer wäre das durchaus von Vorteil, die hiesige Lieblingszeile "Ohne Holland fahr'n wir zur EM" ist bei einem Heim-Turnier ohnehin sinnfrei.

SZ PlusMeinungPro-Palästina-Post von Noussair Mazraoui
:Werte sind nie gratis

Fußballklubs bekennen sich zunehmend explizit zu fundamentalen Werten. Sie tun sich aber schwer, daraus Konsequenzen zu ziehen - wie jetzt auch der FC Bayern im Fall Mazraoui. Dabei gibt es keine Alternative zur schwierigen Debatte.

Kommentar von Martin Schneider

Zehn niederländische Fußballer spielen derzeit in der deutschen Bundesliga. Damit sind niederländische Profis nach Franzosen (29), Österreichern (27), Dänen (13), Schweizern (12) und Belgiern (11) momentan die sechstgrößte ausländische Gruppierung. Von diesen zehn haben der FC-Bayern-Verteidiger Matthijs de Ligt, der Leverkusener Flügelflitzer Jeremie Frimpong, der Leipziger Angriffswirbler Xavi Simons, der Dortmunder Flügelstürmer Donyell Malen und der Hoffenheimer Mittelstürmer Wout Weghorst die besten Chancen, 2024 in Bundesligastadien EM-Spiele im Oranje-Dress austragen zu dürfen; de Ligt, Simons und Malen womöglich sogar in ihrer Wahlheimat-Arena.

Das Referenzjahr für Hollands EM-Mission ist 1988

Simons, Weghorst, Malen und Frimpong standen auch am Montagabend im niederländischen Kader, was insofern erwähnenswert ist, als dem Bondscoach Ronald Koeman etliche andere relevante Spieler verletzungsbedingt fehlten: der Torwart Mark Flekken (Brentford), der Innenverteidiger de Ligt, der Mittelfeldmann Frenkie de Jong (FC Barcelona) sowie die Angreifer Memphis Depay (Atletico Madrid) und Cody Gakpo (FC Liverpool). Der Auftrag des Königlich-Niederländischen Fußball-Bunds KNVB lautete folglich, mit einer Notbesetzung die Qualifikation zu jenem Turnier voranzutreiben, bei dem die Niederländer in Bestbesetzung dann zum erweiterten Favoritenkreis gezählt werden könnten.

Mit Turnieren in Deutschland haben die Nachbarn binnen eines halben Jahrhunderts bekanntlich gute Erfahrungen gemacht: 1974 verloren sie erst das WM-Finale in München gegen den Gastgeber; 1988 gewannen sie das EM-Endspiel in München gegen die Sowjetunion (der bis heute einzige niederländische Titel). Nur 2006 unterlagen sie bei der WM bereits im Achtelfinale gegen Portugal in Nürnberg.

Dass er im kommenden Jahr nun voraussichtlich sein viertes Turnier in Deutschland bestreiten darf, verdankt der niederländische Fußball gewissermaßen auch den rasanten Entwicklungen beim Meister Feyenoord Rotterdam. Denn dessen drei Spieler Lutsharel Geertruida, Mats Wieffer und Quilindschy Hartman feiern seit Monaten nicht nur im Klub Erfolge, sondern sind neuerdings auch Stützen im Nationalteam. Abwehrmann Geertruida war dabei, als Feyenoord 2022 das Conference-League-Endspiel gegen AS Rom bestritt (und 0:1 verlor), und die Mittelfeldspieler Wieffer und Hartman waren zusätzlich beteiligt, als Feyenoord im Mai drei Spieltage vor Schluss niederländischer Meister wurde. Zurzeit spielt der Verein aussichtsreich in der Champions League mit.

Trainer Koeman beklagt Schlampigkeiten auf dem Platz

Am Montag in Athen standen alle drei Mittzwanziger in der Startelf, von der Bank aus schaute außerdem Feyenoord-Spielgestalter Calvin Stengs zu. Als wichtigsten Zuarbeiter für Bondscoach Ronald Koeman muss man deshalb wohl Rotterdams Trainer Arne Slot bezeichnen, der als nächster großer niederländischer Trainer-Export für die englische Premier League gilt. Und Ajax Amsterdam? Ist unter seinem neuen Trainer Maurice Steijn derzeit Drittletzter. Das Kräfteverhältnis in der Eredivisie wird gerade neu sortiert.

Allzu überschwänglich erlebte man den Trainer Koeman in Athen angesichts der nun bevorstehenden EM-Qualifikation übrigens nicht. Dazu war ihm der knappe und späte Sieg des Weltranglisten-Siebten gegen den Weltranglisten-51. Griechenland viel zu mühsam geraten. "Ich habe Dinge gesehen, die ich nicht sehen möchte", sagte er streng über das mitunter chaotisch anmutende Offensivspiel seiner Jungs: "Wir hätten das Spiel viel früher entscheiden müssen." Doch dazu fehlte es in der Mannschaft offenbar an Disziplin. "Die Spieler haben nicht mehr über Positionen nachgedacht, wir sind schlampig geworden und haben ein bisschen Alles oder Nichts gespielt", rügte Koeman. Griechische Großchancen hätten tatsächlich um ein Haar aus dem Alles ein Nichts gemacht. So aber atmen die Niederländer jetzt erst einmal durch.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusMazraoui und der FC Bayern
:Vers Abraham 42 und seine Deutung

Hat Noussair Mazraoui das Massaker der Hamas als Gottes Willen dargestellt? Der FC Bayern kündigt nach den hochgradig irritierenden Botschaften seines marokkanischen Nationalspielers "ein ausführliches persönliches Gespräch" mit ihm an.

Von Christof Kneer und Philipp Schneider

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: