US Open:Sie wollen da raus!

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"Um 16.30 Uhr hieß es dann, dass ich doch auf den Platz dürfe" - Adrian Mannarino zu den Wirren um seine Partie gegen Alexander Zverev. (Foto: Danielle Parhizkaran/USA TODAY)

Die US Open werden zum Spielball der Politik. Manche Spieler fühlen sich als Gefangene im Hotel, selbst einige Ausgeschiedene werden eine Woche lang nicht aus den USA ausreisen dürfen.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Die Partie zwischen Alexander Zverev und Adrian Mannarino begann um 17.21 Uhr Ortszeit, mit knapp drei Stunden Verspätung. Zverev gewann sie mit 6:7(4), 6:4, 6:2, 6:2. Das sind die Nachrichten, die jeder kennt, der bei Spielbeginn auf die Uhr und danach auf die Anzeigetafel im Louis Armstrong Stadium geschaut hat. Die wichtigere Frage: Warum kam es bei den US Open in New York zu dieser Verzögerung? Der US-Tennis-Verband USTA veröffentlichte eine 49-Wörter-Erklärung, von denen kein einziges der Erhellung diente, sondern eher für noch mehr Verwirrung und damit Spekulationen sorgte.

Es entwickelt sich eine Mischung aus Krimi, Drama und Reality-TV-Show, die US Open werden zum Spielball der Politik. Kristina Mladenovic (Frankreich) sagte nach ihrer grotesken Niederlage, bei der sie mit 6:1, 5:1 geführt hatte: "Ich würde gern darüber reden, was hier los ist: Es ist abscheulich, wie sie uns behandeln. Hätte ich das gewusst, hätte ich nie teilgenommen. Ich habe den Eindruck, dass wir Gefangene oder Verbrecher sind." Kirsten Flipkens (Belgien) veröffentlichte bei Instagram ein Video, in dem sie so tut, als würde sie durch ein Fenster auszubrechen versuchen, unterlegt mit der Textzeile aus "I Want to Break Free" von Queen: "Ich will weg von deinen Lügen, Du bist derart zufrieden mit dir selbst - das brauche ich nicht."

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Die Kielerin kommt in dem Grand-Slam-Turnier locker eine Runde weiter. Alexander Zverev muss sich quälen. Und das hat nicht nur was mit Tennis zu tun.

Zur Erinnerung: Benoit Paire (Frankreich) war in der vergangenen Woche positiv auf Covid-19 getestet und von den US Open ausgeschlossen worden. Ermittlungen ergaben, dass elf Spieler Kontakt zu ihm hatten - und bereits jetzt wird es politisch: Das Sicherheitsprotokoll sah vor, dass all diese Akteure nicht am Grand-Slam-Turnier teilnehmen durften, sondern sich in Quarantäne begeben mussten. Offenbar jedoch, das gelangte scheibchenweise aus dieser Tennisblase an die Öffentlichkeit, erarbeiteten die Veranstalter zwei neue Protokolle für die Kontaktpersonen.

Einige Spieler werden wie Gefangene behandelt

Die einen, der an Rang drei gesetzte Daniil Medwedew (Russland), Damir Dzumhur (Bosnien) und Nicolas Mahut (Frankreich), sollten nun zwar täglich statt alle vier Tage getestet werden, sich sonst aber ohne Einschränkungen auf der Anlage und im Hotel bewegen dürfen. Strenger wurde es für die anderen, also die Franzosen Mladenovic, Gregoire Barrere, Richard Gasquet, Adrian Mannarino und Édouard Roger-Vasselin sowie die Belgierinnen Flipkens und Ysaline Bonaventure: Corona-Test jeden Morgen, Zimmerarrest im Hotel, persönlicher Transport zur Anlage in Flushing Meadows. Dort durften sie keine Gemeinschaftsbereiche nutzen, es wurde für sie ein Bereich in der Arena Grandstand am Rand errichtet. Sie hatten keine eigenen Schlüssel, sondern wurden stets von Mitarbeitern begleitet. Wie, nun ja, Gefangene.

Schlimmer noch: Das Protokoll (nur bei Unterzeichnung durften diese sieben überhaupt an den US Open teilnehmen) sah vor, dass sie je nach Zeitpunkt des Kontakts mit Paire bis zum 12. September in New York bleiben müssen - selbst, wenn sie ausgeschieden sind. Das waren die Bedingungen, die die so genannten "Paire 11" (also Paire und zehn weitere Spieler) akzeptiert haben. Es sei dahingestellt, ob sie das wirklich freiwillig getan haben, denn: Fast alle weilten bereits zwei Wochen in New York, sie alle brauchen nach der mehr als sechs Monate dauernden Pause dringend Preisgeld und Präsenz für Sponsorengelder.

Die vorläufige Absage des Zverev-Mannarino-Matches sorgte auch deshalb für Spekulationen, weil die USTA erst keinen Grund angab und dann diese 49-Wörter-Nicht-Erklärung verschickte. Boykottieren die "Paire 11" das Turnier, um die Ausreise zu erzwingen? Plötzlich hieß es, Flipkens sei schon am Flughafen gesehen worden. Und es hieß, das französische Konsulat sei in Gesprächen mit US-Behörden, es wolle die Spieler befreien und ausfliegen. Es war die Rede von politischen Verhandlungen, die es offenbar tatsächlich gegeben hat.

Kompetenzstreitigkeiten zwischen Stadt und Bundesstaat

In Wahrheit werden die US Open zum Spielball der Politik, und es ist bezeichnend, dass es ein Spieler war, der die Sache aufdröselte. Mannarino sagte nach der Partie beim Video-Gespräch mit Journalisten: "Die Stadt hatte mir am Sonntag erlaubt zu spielen, nun hat der Bundesstaat die Kontrolle übernommen und die Partie zunächst abgesagt: Ich dürfte mein Zimmer nicht verlassen und dürfte nicht mehr spielen. Um 16.30 Uhr hieß es dann, dass ich doch auf den Platz dürfe." Das deckt sich mit Aussagen von Flipkens: Sie habe per Telefon Fragen beantworten müssen, dann sei ihr mitgeteilt worden, dass sie nicht - wie im zweiten Protokoll vereinbart - auf der Anlage würde trainieren dürfen. Sie dürfe nun eine Woche lang ihr Zimmer nicht verlassen.

Es geht also um Kompetenzen: New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio und Gouverneur Andrew Cuomo gehören zwar beide der Demokratischen Partei an; das hält sie indes nicht davon ab, einander zu kritisieren und die Projekte des anderen zu torpedieren - die oft kindischen Kabbeleien der beiden sind legendär.

Während der Pandemie haben beide bislang ordentlich zusammengearbeitet und sich als tapfere Krisenmanager erwiesen, doch nun scheint es wieder Diskrepanzen zu geben, und man muss nun schon mal fragen: Die Veranstalter der US Open sagen, dass sie mit positiven Fällen gerechnet und sämtlich Eventualitäten durchgespielt hätten - aber nicht die Möglichkeit, dass der Bundesstaat das mit der Stadt erarbeitete Protokoll nicht für gut befinden könnte? Das wäre arg naiv, und es wäre naiv zu glauben, dass sich die Leute mit einer 49-Wörter-Nicht-Erklärung zufriedengeben.

Der Ton wird rauer - auch zwischen den Spielern

Es hätte ein ruhiger Tag mit wenigen Überraschungen werden können: Zverev und Angelique Kerber gewannen ihre Drittrunden-Partien, Jan-Lennard Struff verlor gegen Novak Djokovic. Der hat ja gerade die Spielervereinigung PTAP gegründet, weshalb es nun auf einer ganz anderen Ebene politisch wurde. "Ich habe von der Sache gehört und versucht, den Gouverneur zu erreichen", sagte Djokovic danach beinahe staatsmännisch: "Ich bin nicht einverstanden damit, wie mit den Spielern umgegangen wird, die Kommunikation ist nicht ideal. Ich verstehe auf der anderen Seite aber auch, dass es nicht die Entscheidung von Veranstaltern oder Verbänden ist. Wir müssen uns da verbessern."

Djokovic will die Spieler einen, doch wie soll das gehen, wenn etwa Corentin Moutet vor seiner Partie gegen Felix Auger-Aliassime (Kanada) am Samstag gegen Landsmann Paire stichelte: "Die Bubble? Ich bin ziemlich einsam, ich spiele aber auch keine Karten." Es heißt, dass Paire gerne zocke und die Kontaktpersonen zum Spiel eingeladen habe. Paire konterte sogleich: "Er sollte aufpassen, was er sagt - ich werte das mal als jugendlichen Leichtsinn."

Der Lagerkoller nimmt zu bei den US Open, der Ton wird rauer. Das liegt auch daran, dass es eben nicht nur um dieses Turnier in New York geht. Die Spieler wollen danach zu Veranstaltungen in Kitzbühel, Rom und Hamburg sowie zum Grand Slam nach Paris. Es ist nicht gesichert, dass alles so klappt wie geplant, uns es könnte sein, dass bald nicht mehr Queen gespielt wird, sondern eher "St. Anger" von Metallica.

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