Coronafall bei den US Open:"Mindestens ein Topspieler ist unter den Kontaktpersonen"

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Einer der wenigen ungetrübten Momente am Montag: Alexander Zverev (in der roten Short) grüßt nach seinem Auftakterfolg im fast leeren Stadion von New York seinen Bruder Mischa, der auf einer Videowand zugeschaltet ist. (Foto: Al Bello/AFP)

Der Umgang der US-Open-Veranstalter mit dem positiven Corona-Test von Benoît Paire wirft Fragen auf. Er selbst spricht von einer "falschen Blase" - auch andere Spieler äußern deutliche Kritik.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es sind ja keine Zuschauer erlaubt bei den US Open, und doch durfte sich Alexander Zverev über das wahrscheinlich erlesenste Publikum freuen, das jemals einer Erstrundenpartie beigewohnt hat. Sie haben die Logen im Arthur Ashe Stadium zu Lounges für gesetzte Teilnehmer umfunktioniert, also saßen bei Zverevs Sieg gegen Kevin Anderson (Südafrika) auf ihren jeweiligen Balkonen: Andy Murray, Karolina Pliskova, Dominic Thiem, Naomi Osaka, Matteo Berrettini, Sofia Kenin, Andrej Rublew, Petra Kvitova. Bei grandiosen Schlägen wie dem Rückhand-Volley-Stopp von Zverev am Ende des dritten Satzes gab es kein Gejohle der New Yorker, sondern fachkundigen Applaus der Kollegen.

Nach dem Match sagte Zverev: "Das ist schon ein kleines Highlight, wenn so viele Gesetzte zuschauen." Vor allem aber könnte es kein besseres Symbolbild geben dafür, was da gerade passiert auf der Tennisanlage in Flushing Meadows: Der Sport ist weitgehend unter sich, er hat sich abgeschottet in einer Blase, zunächst einmal mit dem Ziel, das böse Coronavirus nicht hineinzulassen. Es sollen aber offensichtlich auch nicht allzu viele kritische Dinge nach draußen dringen, oder wie sonst sollte man diesen Eintrag von Benoît Paire (Frankreich) auf Instagram interpretieren: "Ich zögere noch, euch zu erzählen, was in dieser falschen Blase wirklich passiert."

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Zur Erinnerung: Paire war positiv auf das Virus getestet und von den US Open ausgeschlossen worden. "Die infizierte Person ist sofort isoliert worden, danach begannen die Nachforschungen, mit wem die Person in Kontakt gewesen ist, in welchem Umfeld, ob Masken getragen worden sind", sagt US-Open-Turnierdirektorin Stacey Allaster: "Unsere Ärzte haben die Informationen schnell zusammengetragen." Sie haben diese Informationen aber nicht an die Öffentlichkeit weitergegeben, weshalb es nun zu heftigen Debatten über den Umgang mit diesem Fall gekommen ist.

Die Verantwortlichen haben nämlich offenbar kurzfristig das Sicherheitsprotokoll geändert. Das hatte vorgesehen, dass alle Spieler, die in Kontakt mit einer positiv getesteten Person gewesen waren, erst einmal 14 Tage in Quarantäne müssen. Guido Pella (Argentinien) und Hugo Dellien (Bolivien) sind vom New Yorker Generalproben-Turnier in der vergangenen Woche ausgeschlossen worden, weil ihr Fitnesstrainer Juan Manuel Galván positiv getestet worden war; an den US Open dürfen sie teilnehmen. Paire ist für Turnierorganisatoren der schlimmstmögliche Patient Zero: ein geselliger Typ, der gern mal zum Kartenspiel einlädt. Genau das soll nun auch passiert sein, und schnell war die Rede von bis zu elf Akteuren, die in engem Kontakt mit ihm gewesen sein sollen.

Die Verantwortlichen haben diese Zahl weder bestätigt noch dementiert, um die Privatsphäre der Akteure zu schützen. Auf die indirekten Vorwürfe von Paire, dass diese Blasen in New York (die Spieler pendeln zwischen Flushing Meadows und dem Hotel in Long Island, prominente Akteure wie Novak Djokovic und Serena Williams gönnen sich Privatunterkünfte) wohl eher dem schönen Schein dienen würden, reagierten sie nur dahingehend, dass "die infizierte Person die vom US-Bundesstaat New York genehmigten Sicherheitsprotokolle nicht respektiert hat", sie habe das Tragen der Maske nicht besonders ernst genommen. Paire soll also der Bösewicht sein, doch darauf hat der offenbar keine Lust.

Was bekannt ist: Es gibt für die identifizierten Kontaktpersonen ein neues Sicherheitsprotokoll, das sie unterschreiben mussten, um an den US Open teilnehmen zu dürfen. Dazu gehört zum Beispiel, dass sie ihr Hotelzimmer nicht verlassen oder die gemeinschaftlichen Einrichtungen auf der Tennisanlage wie Fitnesscenter, Umkleidekabinen oder auch die Lounges im Arthur Ashe Stadium nicht mehr betreten dürfen. "Es ist eine Blase in der Blase", sagte Kristina Mladenovic (Frankreich) nach ihrem Sieg in der ersten Runde: "Ich habe vor zwei Tagen davon erfahren, seitdem lebe ich in einem Albtraum: Ich darf Matches spielen, sonst darf ich gar nichts."

Nebenfigur plötzlich in einer interessanten Rolle: Erstrundenverliererin Hayley Baptiste. (Foto: Frank Franklin/dpa)

Mladenovic hatte gemeinsam mit Paire trainiert ("auf unterschiedlichen Seiten des Netzes natürlich") und in der Hotellobby eine Dreiviertelstunde lang an einem Kartenspiel teilgenommen: "Wir hatten alle Masken an, insgesamt habe ich etwa eineinhalb Stunden mit ihm verbracht." Sie ist eine von drei Teilnehmern, die öffentlich gemacht haben, zu den Kontaktpersonen zu gehören, die anderen sind Doppelspieler Édouard Roger-Vasselin und Adrian Mannarino (beide Frankreich), der in der zweiten Runde auf den Amerikaner Jack Sock treffen wird: "Ich habe nicht besonders viel geschlafen", sagte Mannarino, "ich bin mental völlig ausgelaugt."

Nun wird es spannend: Mladenovics Gegnerin Hailey Baptiste (USA) sagte, dass sie nicht gewusst habe, dass die Frau auf der anderen Seite des Netzes zu den Kontaktpersonen von Paire gehört - hätte man sie darüber nicht informieren müssen? Baptiste gab zudem an, in einem Aufzug mit Paire gewesen zu sein, jedoch nicht zu den Kontaktpersonen zu zählen. Die mangelnde Transparenz prangern nun auch andere Spieler an. "Erzähl mir keinen Scheiß", sagte etwa der amerikanische Doppelspieler Noah Rubin im Podcast "Coffee Cast" - vielleicht auch mit Blick darauf, dass er als möglicher Nachrücker im Einzel ein Antrittsgeld in Höhe von 61 000 Dollar bekommen würde: "Mindestens ein Topspieler ist unter den Kontaktpersonen. Sie wollen ihr Turnier nicht aufgeben, oder elf ist einfach eine zu große Zahl."

Der Topspieler soll Daniil Medwedew (Russland) sein, der Finalist des Vorjahres, das vermutete auch Zverev beim Gespräch nach seiner Partie - auch der Deutsche war mit der mangelnden Transparenz der Turnierveranstalter nicht einverstanden. "Die US Open haben nicht den besten Job gemacht, uns zu informieren", sagte Zverev bei Eurosport: "Wir haben die ganze Situation mit Benoît Paire über die Medien erfahren, wie alle anderen auch. Wir müssen als Spieler auch wissen, wer mit wem zusammen war." Er habe sich mit Medwedew lange unterhalten, der habe ihm erzählt, dass er Kontakt zu Paire hatte. Moment mal: Wenn Medwedew zu den Kontaktpersonen von Paire gehört und sich danach mit Zverev getroffen hat, müsste der dann nicht auch ...? Kurz nach Zverevs Aussage meldete sich Gilles Cervara in der New York Times, Medwedews Trainer: Also, sein Athlet sei "auf gar keinen Fall" betroffen von Paires positivem Test und habe am Montag ganz normal trainiert. Ende der Debatte. Glaubt zumindest Cervara.

Allaster sagte, man werde "niemals erfahren", wie sich Paire infiziert hat. Es gibt eine Blase um die Anlage in Flushing Meadows, und es sollen möglichst wenig böse Dinge hinein-, aber möglichst auch wenig negative hinausdringen. Und wenn, dann bitte nur Aussagen wie jene von Jan-Lennard Struff, der nach seinem Auftaktsieg (6:0, 7:5, 6:4 gegen Pedro Martínez) sagte: "Es ist ganz schön langweilig. Ich habe Gott sei Dank eine Suite, also kann ich mir zur Abwechslung ein paar Partien ansehen." Auch die von Zverev übrigens.

© SZ vom 02.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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