Missbrauch im US-Fußball:Die Unbehelligten

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Paul Riley, einer der populärsten Coaches im US-Frauenfußball, muss sich nun Anschuldigungen erwehren. (Foto: Anne M. Peterson/dpa)

Ein umfangreicher Report kommt zu dem Ergebnis, dass in der US-Frauenliga "verbaler und emotionaler Missbrauch sowie sexuelles Fehlverhalten zum System geworden sind". Und noch schlimmer: dass jahrelang nichts dagegen unternommen wurde.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es sind verstörende Szenen, über die man liest. Zum Beispiel: Ein Trainer trifft sich mit einer Spielerin zur Videoanalyse; währenddessen jedoch zeigt er einen Pornofilm und masturbiert. Oder: Ein Trainer beleidigt seine Spielerinnen, dann befragt er sie nach deren sexuellen Erfahrungen. Oder: Ein Trainer zwingt Spielerinnen zu sexuellen Gefälligkeiten.

So beschreiben Zeuginnen die Zustände im amerikanischen Frauenfußball. Und noch schlimmer: Es wurde nichts dagegen unternommen, sondern es wurde jahrelang unter den Teppich gekehrt. Das ist das Ergebnis eines in dieser Woche vorgestellten 319-Seiten-Reports zu sexuellem Missbrauch im US-Fußball.

US-Spielerinnen, die sich emotional nicht in der Lage fühlen, müssen nun in London nicht antreten

"Den Spielerinnen geht es nicht gut. Sie sind traurig, frustriert, entsetzt, vor allem aber wirklich, wirklich wütend", sagt Becky Sauerbrunn, Kapitänin des US-Nationalteams, das an diesem Freitag im Wembley-Stadion von London gegen Europameister England antreten wird. Trainer Vlatko Andonovski sagte, dass keine Spielerin auflaufen müsse, die sich dazu emotional nicht in der Lage fühle - das verdeutlicht, wie einschneidend die Erkenntnisse aus dem Report sein müssen.

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Vor exakt einem Jahr veröffentlichte das Sport-Portal The Athletic Anschuldigungen gegen Paul Riley, einen der bekanntesten und erfolgreichsten Trainer im US-Frauenfußball (drei Titel, zwei Mal Trainer des Jahres). Daraufhin kündigte die Frauenliga NWSL eine Untersuchung an - von der man so lange nichts hörte, dass man glauben musste, es handele sich um das übliche zögerliche Vorgehen von Sportverbänden bei Skandalen. Doch nichts hätte der Wahrheit ferner liegen können. Die Ergebnisse des Reports, der sich auf Aussagen von mehr als 200 Spielerinnen stützt, sind schlimmer als alles, was man sich hätte vorstellen können.

Die NWSL sei eine Liga, "in der verbaler und emotionaler Missbrauch sowie sexuelles Fehlverhalten zum System geworden sind - und sich über mehrere Teams, Trainer und Opfer erstreckt", heißt es in der Zusammenfassung der Untersuchung, die von der einstigen US-Justizministerin Sally Q. Yates geleitet wurde. Dieser Missbrauch sei verwurzelt "in einer Kultur im US-Frauenfußball, die in Jugendligen beginnt, die verbale Entgleisungen von Trainern normalisiert und die Grenzen zwischen Trainer und Spielerinnen verschwimmen lässt".

Die Lektüre des Reports wirkt verstörend, nicht nur wegen der erwähnten Vorwürfe. Sondern vor allem deshalb, weil die Fußball-Verantwortlichen eine ganze Reihe an potenziellen Tätern im Ergebnis zu einwandfreien Betreuern und Trainern erklärt haben - wissend, dass Personen, die mit ihnen in Berührung kommen, irreparable Schäden davontragen könnten.

Spielerinnen, die Vorwürfe erhoben, mussten fast sechs Monate weiter unter Riley spielen

Gerade das Beispiel Riley sticht hervor: 2015 hatte es Vorwürfe gegen ihn gegeben, er war damals Trainer der Portland Thorns. Der Verein leitete eine Untersuchung ein, die diese Bezeichnung nicht verdient, und am Ende der Saison hieß es, man trenne sich einvernehmlich. Spielerinnen, die sich mit diesen Vorwürfen gemeldet hatten, mussten also während der Untersuchung fast sechs Monate lang weiter unter Riley spielen. Nur ein paar Monate später wurde Riley Cheftrainer bei Western New York Flash, und in einem Twitter-Eintrag wünschte ihm Portland "nur das Beste" für die neue Aufgabe. Man hatte sich des Problems auf einfache Weise entledigt.

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Der neue Verein von Riley zog kurz darauf um und nannte sich North Carolina Courage. Dort warfen ihm Spielerinnen vor, dass er sie zu Geschlechtsverkehr gedrängt und zwei seiner Spielerinnen aufgefordert habe, sich vor seinen Augen zu küssen, um dem Team eine Konditionseinheit am Tag darauf zu ersparen. Die damalige NWSL-Chefin Lisa Baird hatte von den Vorwürfen 2015 gewusst, nach den neuerlichen Anschuldigungen gab sie sich verblüfft und erklärte, "angewidert und schockiert" zu sein. Riley streitet die Vorwürfe nach wie vor ab, die Liga hat ihm mittlerweile die Lizenz entzogen.

Immer schön die eigenen Kreise beschützen, das war offenbar das Motto im US-Frauenfußball. Wie sehr das bis heute zu gelten scheint, zeigt sich daran, dass laut Report die Portland Thorns - also jener Klub, der Riley trotz der Vorwürfe monatelang mit den mutmaßlichen Opfern arbeiten ließ und ihm später nur das Beste wünschte - nicht mit den Ermittlern kooperiert hätten. Die Thorns hätten "den Zugang zu Zeugen behindert und mit juristischen Scharmützeln versucht, uns den Zugang zu relevanten Dokumenten zu verweigern".

Der Report zeigt, wie einfach es im Sport ist, Macht- und Vertrauensverhältnisse zu missbrauchen

Der Report ist eine sehr detaillierte und damit verstörende Untersuchung dazu, wie einfach es im Sport ist, Macht- und Vertrauensverhältnisse zu missbrauchen. Und auch wenn die Untersuchung nur die US-Profiliga NWSL - in der sich in der vergangenen Saison fünf von zehn Vereinen von ihrem Trainer wegen Fehlverhalten getrennt haben - behandelt, so heißt es darin auch, dass man sich dringend den US-Jugendfußball und andere Länder ansehen müsse.

Wie geht es weiter? Natürlich geben sich nun alle betroffen und versprechen Veränderungen. Merritt Paulson zum Beispiel, Eigentümer der Thorns, feuerte am Mittwoch zwei hochrangige Mitarbeiter und sagte dann, dass er sich erst einmal aus dem Tagesgeschäft zurückziehe - es gibt aber derzeit keine Anzeichen, dass er das Team verkaufen will. Es klingt nach Bauernopfer, um möglichst unbehelligt weiterzumachen.

Star-Verteidigerin in Portland ist übrigens Nationalteam-Kapitänin Becky Sauerbrunn, und die sagt klipp und klar: "Es ist frustrierend, dass es eine Untersuchung und 200 Leute brauchte, die ihre Traumata aufarbeiten. Die Verantwortlichen, die das zugelassen haben, sollten weg." Das ist eine klare Ansage, auch an Eigner Merrit Paulson. So wie es auch ihre Antwort auf die Frage war, ob sie sich denn sicher gefühlt habe bei den Thorns: "Das ist doch völlig egal. Solange sich nicht alle sicher fühlen, ist die Situation nicht gut genug."

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