Tischtennis vor der Winterpause:Der Nikolaus und die Vorweihnachtswunder

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Fühlt sich nach Abschied an: Truls Moregardh beim mutmaßlich letzten Auftritt in Pfaffenhofen an der Roth. (Foto: Hafner/Nordphoto/Imago)

Mit nur drei Profis bewältigt Bad Königshofen die Bundesliga-Vorrunde und peilt die Playoffs an. Frauen-Erstligist Dachau klettert einmal quer durch die Tabelle - in 24 Stunden. Und der TTC Neu-Ulm verabschiedet sich wohl für immer von seinem Publikum.

Von Andreas Liebmann

Am Abend betrat noch der Nikolaus die Halle. Ob er eine Eintrittskarte besaß, ist unbekannt, aber selbstverständlich durfte man erwarten, dass sich auch der Heilige im roten Gewand sehr für Tischtennis interessiert. Also sollte er um die Tragweite der von ihm besuchten Partie gewusst haben. Sicher hatte er mitbekommen, dass der gastgebende TTC Neu-Ulm sich in der vergangenen Saison mit der Tischtennis-Bundesliga (TTBL) überworfen und deshalb keine Mannschaft mehr in den deutschen Ligabetrieb geschickt hatte. In der Champions League ist das Team um Dimitrij Ovtcharov und den schwedischen Star Truls Moregardh trotzdem erneut angetreten. Seit einigen Wochen aber ist klar, dass diese einmalige Konstellation - ein Nichtbundesligist vertritt Deutschland international - künftig vom Deutschen Tischtennis-Bund nicht mehr zugelassen wird, damit ist es wohl die letzte Saison, bevor der 2019 gegründete Klub sich von der Tischtennisbühne zurückzieht. Und weil das Rückspiel am Sonntag gegen den polnischen Klub Dartom Bogoria Grodzisk Mazowiecki zugleich die letzte Partie vor dem Champions-League-Final-Four war, hieß es also Abschied nehmen: Letztes Neu-Ulmer Heimspiel, letzter Auftritt in Pfaffenhofen an der Roth, hoffentlich noch nicht der letzte Auftritt überhaupt.

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:Bereit für die letzte Mission

Der aus der Bundesliga ausgestiegene TTC Neu-Ulm darf im kommenden Jahr nicht mehr in der Champions League antreten. Aktuell gilt das Team um Dimitrij Ovtcharov dort noch als Favorit - und will sich unbedingt mit dem Titel verabschieden.

Von Andreas Liebmann

Mit 3:0 Siegen und 9:0 Sätzen wurde die Begegnung zur Gala, die nach dem Geschmack des Klubchefs Florian Ebner "fast ein bisschen kurz" geriet. Im Vergleich zum 2:3 im Hinspiel, das der TTC um ein Haar verloren hätte, fehlte den Gästen der spektakuläre Abwehrspieler Panagiotos Gionis. Ovtcharov und Quadri Aruna revanchierten sich deutlich für ihre Hinspielniederlagen gegen Milosz Redzimski und Takuya Jin. Und nun steht der TTC also im Final Four, das Ende März in Saarbrücken stattfindet. Kurs: Titelgewinn.

"Für die Zuschauer war es ein Abschied", sagte Ebner, "und auch die Spieler finden es schade, wenn es hier aufhört." Trotzdem gehe er davon aus, dass es nach der Saison "nicht weitergeht". Auch wenn der Nikolaus schon einige Wunder vollbracht haben soll.

Völlig verrückte Liga

Eigentlich war Alexander Yahmed innerlich "leer" am vergangenen Sonntag, er stellte das selbst mit Verwunderung fest. Ein Lachen brachte der Trainer aber doch zustande, als nämlich jemand auf ihn zukam und behauptete, sein TSV Dachau wäre nun Tabellendritter. Das, dachte er, könne nur ein Scherz sein.

War es aber nicht.

Sein Frauen-Erstligist, der im Sommer vom TSV Schwabhausen in die Kreisstadt umgezogen war, hatte zum Hinrundenende ein 5:5 erkämpft gegen Tabellenführer Langstadt, es war ein Remis mit Vorgeschichte. Denn tags zuvor hatte das Team bereits die TTG Bingen/Münster-Sarmsheim empfangen und 6:2 bezwungen. Coach Yahmed sprach von der seit Jahren besten Leistung, der am Sonntag jedoch - vielleicht aus Erleichterung - ein kolossaler Fehlstart folgte: Beide Doppel verloren, beide Spitzenspielerinnen - Liu Yangzi und Sabine Winter - lagen in ihren Einzeln mit 0:2 Sätzen zurück, bei Winters 0:3 im dritten Satz nahm Yahmed dann ein Timeout. "Ich habe gesagt, wir verwerfen jetzt jede Taktik und gehen nur noch auf Kampf." Es wurden zwei enge Fünfsatzmatches, Winter gewann das ihre gegen Jungnationalspielerin Franziska Schreiner, und am Ende hatte Yahmed einen weiteren Beweis dafür, "wie verrückt diese Liga" ist: "Am Tag vorher hatten wir noch Angst vor dem Abstieg!"

Naheliegend, Dachau stand mit weniger Spielen als die Konkurrenz im Tabellenkeller. "Wir mussten liefern." Selbst die Vereinsführung sei nervös geworden vor dem Doppelspieltag. "Dabei hatten wir bisher kein einziges Mal schlecht gespielt." Wie Kolbermoor eine Woche zuvor gelang nun Dachau ein Marsch durchs Klassement von unten nach oben binnen 24 Stunden; seit einem Nachholspiel vom Montag überwintern sie nun als Vierte. Den Tabellenzweiten Berlin trennen ganze vier Punkte vom Tabellenende. Und weil sich die Hälfte der Liga zur Rückrunde Verstärkung besorgt hat, kann man fast sagen: Im Januar geht alles bei null los.

Ein kleines Weihnachtswunder

Ihr Erlöser wird erst nach Weihnachten erwartet. Dieses Wissen hat der TSV Bad Königshofen schon länger, schließlich hat er diese Verspätung selbst verschuldet - durch eine kleine Schusseligkeit mit großen Folgen. Für den japanischen Routinier Jin Ueda, der im Sommer mit der ganzen Familie ins unterfränkische Städtchen gezogen ist, hatte der Erstligist damals vergessen, ein Wechselformular an den Verband zu schicken, weshalb der 32-Jährige zur Vorrunde nicht spielberechtigt war. Die Sache hätte in einer sportlichen Katastrophe enden können, denn als zudem das Eigengewächs Kilian Ort mit Bandscheibenvorfall ausfiel, war klar: Für zehn Ligaspiele blieben genau drei Profis übrig, ein einziger Ausfall wäre fatal gewesen. Und einer der drei, der Belgier Martin Allegro, hatte bis dahin noch nie ein TTBL-Einzel gewonnen, in 33 Versuchen.

Was daraus wurde, grenzt an ein Weihnachtswunder. Neun der zehn Partien haben sie tatsächlich zu dritt bewältigt, die zehnte folgt an diesem Donnerstag in Mühlhausen. Und das Trio dümpelt nicht etwa im Tabellenkeller herum, sondern ist Fünfter, punktgleich mit den viertplatzierten Nachbarn aus Mühlhausen, die es theoretisch also noch überholen kann. Anführer Bastian Steger weist auch mit inzwischen 42 Jahren erneut eine positive Bilanz auf. "Er hat es den Jungen wieder gezeigt", lobt Manager Andreas Albert. Und auch Allegro hat inzwischen drei wichtige Spiele gewonnen, zuletzt am Sonntag beim 3:1-Sieg in Grünwettersbach: Sieben Matchbälle wehrte er dabei gegen den ausgebufften Tiago Apolonia ab, im dritten Satz gleich vier in Serie. Albert erwartet "eine volle Hütte" am 5. Januar zum Rückrundenauftakt gegen Werder Bremen. Ueda wird dann sein verspätetes Debüt feiern. Die Rolle des Erlösers muss er nun gar nicht mehr einnehmen. Als Ablösung sehnen sie ihn trotzdem herbei.

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