TSV 1860 München gegen Ingolstadt:Als hätte einer die Taktiktafel ausradiert

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Zu einem 2:1 gemausert: Trainer Michael Köllner vom FC Ingolstadt bejubelt mit dem Torschützen Jannik Mause den 1:1-Ausgleich. (Foto: Sven Leifer/foto2press/Imago)

Die Löwen verlieren das vierte Ligaspiel in Serie. Im Oberbayern-Derby wandelt Ingolstadt mit dem einstigen Münchner Trainer Köllner ein 0:1 in ein 2:1.

Von Korbinian Eisenberger

Der Schriftzug war den Verfassern etwas schief geraten, "Sechzig" hatten sie lange vor Anpfiff dieses Fußballspiels in unverkennbar blauer Graffitifarbe an die Bushaltestelle unweit des Stadioneingangs gesprüht. Kein Fehler, jedenfalls nicht in der Rechtschreibung. Der entscheidende Fehler des Tages ereignete sich schließlich im Stadion auf dem Rasen.

In der Drittliga-Begegnung zwischen dem FC Ingolstadt und dem TSV 1860 München lief die 58. Spielminute, als diese Fußballpartie eine überraschende Wende nahm. Die Münchner führten wie fast immer in dieser Saison mit 1:0. Das Team von Coach Maurizio Jacobacci hatte diese Angelegenheit scheinbar sicher im Griff, als Löwen-Mittelfeldmann Tim Rieder einen Rückpass im Sinn hatte, allerdings Ingolstadts Stürmer Jannik Mause übersah. So wurde Rieders Rückpass zur direkten Vorlage, Mause brauchte nur noch den chancenlosen Keeper Marco Hiller umspielen und einschieben. Und das tat er auch.

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Am Ende dieses Fußballdramas stand für die Münchner Löwen die vierte Niederlage in Serie. Nach dem 1:2 im bayerischen Derby jubelte ein Mann an der Seitenlinie, der Anfang des Jahres noch den TSV 1860 gecoacht hatte. Michael Köllner hatte vor der Partie Einblick in seine Gefühlswelt gegeben, die angesichts seiner Entlassung im Januar ins Wanken geraten war. Er sei "gefühlt ausradiert" worden, so Köllner. Nicht einmal drei Sätze habe man ihm in der Pressemitteilung zum Abschied zugestanden, das habe arg geschmerzt. Und so war klar, dass dieses Oberbayern-Derby für Köllner einen ganz speziellen Reiz haben sollte.

Zusammengesackt wie ein angepiekster Luftballon

In Halbzeit eins ließen es seine Ingolstädter gemächlich angehen, besonders in Minute 23, als Eroll Zejnullahu einen offenbar einstudierten Freistoßtrick präsentierte. Statt zu flanken setzte er per Flachpass Sturmkollege Julian Guttau in Szene, der auf diese Weise auffällig freistehend im Sechzehner zum Schuss kam und den Ball zum 1:0 im langen Eck unterbrachte.

Es sah alles danach aus, dass sich die Anreise der 6000 bis 7000 Löwen-Anhänger gelohnt hatte. Torwart Hiller verbrachte die erste Halbzeit weitgehend beschäftigungslos, nach Wiederbeginn hatte er mehr Spielanteile, groß in Bedrängnis brachten ihn die Ingolstädter jedoch nicht. Das erledigten die Gäste schließlich selbst. "Wir hatten einiges aufzuarbeiten in der Halbzeitpause", sagte Mause, der dank Rieders verunglücktem Pass mit dem 1:1-Ausgleich sein viertes Saisontor verbuchte. "Ich seh', dass er ein bisschen zögert und Druck im Rücken bekommt und spekulier' dann", führte Mause aus. Nach seinem Tor bog er direkt Richtung Auslinie ab - wo er sich eine Umarmung seines Coaches verdiente. Trainer Köllner sei zuletzt "nicht so zufrieden mit der Trainingsleistung" gewesen, bekannte Mause. "Er hat ein bisschen gemeckert und uns ein bisschen provoziert fürs Derby. Ich wollte mir zuerst von ihm ein Lob abholen."

Mit dem Schwung des zu diesem Zeitpunkt schmeichelhaften Ausgleichtreffers nahmen die Ingolstädter alsbald Fahrt auf. Und die Belegschaft von Löwen-Trainer Jacobacci sackte in sich zusammen wie ein angepiekster Luftballon. Als hätte ihnen jemand die Taktiktafel ausradiert.

"Es kotzt einen an", findet Löwen-Kapitän Jesper Verlaat

"Sehr sehr gut" habe sich sein Team in den ersten 45 Minuten präsentiert, sagte Jacobacci, "Ingolstadt hatte keinen Zugriff aufs Spiel." Das 1:1 habe dann "das Spiel auf den Kopf gedreht", anschließend habe seine Elf "zu passiv, zu wenig aggressiv" reagiert. Warum es dazu kam? Und warum schon wieder nach 1:0-Führung, in fast identischer Weise wie unlängst gegen Erzgebirge Aue (1:2) und Lübeck (1:2)?

So ganz erklären konnte es sich auch Löwen-Kapitän Jesper Verlaat nach Schlusspfiff nicht. "Es kotzt einen an", sagte der sonst eher zum Frohsinn neigende Abwehrchef. "Woran es liegt, müssen wir analysieren", erklärte er, ehe er seine Kollegen in die Pflicht nahm. "Bei einem 1:1 im Derby ist ja noch nichts gelaufen", sagte Verlaat. "Von der ganzen Mannschaft hätte ich da mehr erwartet, dass wir unseren Mann stehen."

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Verlaat war einst von Köllner nach Giesing gelotst worden. Nun gegen den alten Trainer verloren zu haben, empfinde er als "einfach scheiße". Köllner selbst sprach von einem "sehr eindrucksvollen Spiel meiner Mannschaft" in Halbzeit zwei. Seine Elf habe sich erheblich gesteigert und sei den Gästen fortan "gefühlt immer einen Schritt voraus" gewesen. In der Tabelle jedenfalls zog Ingolstadt um einen Punkt an den Sechzigern vorbei, die nun auf Rang 16 stehen.

So laufen die Oktoberfestwochen für die Münchner Löwen mit einem denkbar schlechten Start an. Am Dienstag steht ein Wiesnbesuch auf dem Programm - ein Termin, zu dem 1860-Mittelfeldmann Albion Vrenezi eigentlich sehr gerne mit einem Sieg im Gepäck erschienen wäre, erklärte er.

Es wird in der Oktoberfestzeit nicht ruhiger werden in Giesing rund um die Münchner Löwen und ihren Trainer Maurizio Jacobacci, über den sein Vorgänger auf dem Podium der Pressekonferenz am Ende noch sagte: "Wir werden uns hoffentlich im Grünwalder Stadion zum Rückspiel wiedersehen." Wegradiert wurde am Samstagabend jedenfalls nichts und niemand mehr, nicht einmal der schiefe "Sechzig"-Schriftzug an der Ingolstädter Bushaltestelle.

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