Tennis:Ein Syrer inspiriert die Tenniswelt

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Hazem Naw beim Turnier der Challenger-Serie in Lille. (Foto: Laurent Sanson/PanoramiC/Imago)

Hazem Naw überlebte Bombenangriffe, ohne Familie und Deutschkenntnisse landete er in Köln - und wurde Tennisprofi. Der 24-Jährige nähert sich bereits den Top 300 der Weltrangliste und träumt nun von Grand Slams und Olympia.

Von Gerald Kleffmann

Hazem Naw war 15 Jahre alt, als er fast getötet wurde. Eine Bombe schlug 80 Meter neben ihm ein. Sein Glück war, dass er sich nach einer ersten Detonation verschanzt hatte, als er sich 2015 in Damaskus auf einer Tennisanlage aufhielt. Splitter trafen ihn in der Hand, im Arm. Die Wunden wurden im Krankenhaus gereinigt, verbunden. Narben blieben. Es waren Momente, die er am liebsten vergessen würde. Das gelingt nur nicht immer.

Wenn Naw Nachrichten zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sieht, tauchen alte Bilder in ihm auf. Oder auch, wenn er sich bei Rot-Weiss Köln, seinem Tennisklub, wo er eine neue Heimat gefunden hat, mit einem dort spielenden Ukrainer unterhält. "Man lernt im Krieg, negative Gedanken und Ängste nicht zu sehr an sich ranzulassen", sagt Naw, "man lernt das Durchhalten." Er lächelt.

Hazem Naw, 24, wurde in Aleppo geboren und wuchs im Norden Syriens auf. Er hat das Elend gesehen, erlebt, wie das Regime von Präsident Baschar al-Assad das eigene Volk brutal niederstreckte. Verwandte wurden ermordet, Angriffe waren Alltag, oft genug fiel der Strom aus, es mangelte an Wasser, Lebensmittel zu organisieren, war ein Wagnis. In all diesen Jahren hielt sich Naw an einem Tennisschläger fest. Wenn er auf dem letzten noch halbwegs heilen Platz in Aleppo stand und Bälle schlug, war der Krieg weit weg. "Für uns war das der Höhepunkt des Tages, zum Tennis zu gehen", sagt er. Die Jahre vergingen, der Krieg dauerte an, Naw hielt weiter den Schläger. So nahm sein Leben eine Wendung.

Hazem Naw (rechts) mit seinem fünf Jahre älteren Bruder Amer. (Foto: Privat/oh)

An diesem Apriltag 2024 sitzt Naw in Köln vor dem Bildschirm und spricht per Videotelefonat - auch wenn sein Deutsch gut ist - auf Englisch nicht nur über seinen Weg als Mensch. Er redet auch als Tennisprofi. Naw ist die Nummer 342 der ATP-Weltrangliste. Seit sechs Jahren lebt er in Köln, spielt für Rot-Weiss in der Bundesliga. Gerade trainiert er auf Sand und bereitet sich auf ein Challenger-Turnier in Ostrava vor; diese Serie zählt zur zweiten Liga der Profitouren. "Ich bin glücklich, dass ich diesen Schritt geschafft habe", sagt Naw. "Ich folge meinem Traum, dass ich eines Tages auf der ATP Tour spielen kann."

"Es ging meinem Vater nicht darum, dass wir Champions werden"

Naws Geschichte ist eine, die im Tennis aus dem Rahmen fällt. Kinder eines Krieges, wegen dem viel Blut verschüttet wurde, der das Land in Schutt und Asche legte und Millionen zur Flucht zwang, dringen selten in Bereiche des Spitzensports vor, aber es gibt Ausnahmen. Im Tennis ist der Serbe Novak Djokovic das prominenteste Beispiel dafür, wie jemand von dunklen Zeiten geprägt wurde und vielleicht deshalb einen Ausweg im Sport fand.

Wie bei dem erfolgreichsten männlichen Tennisspieler war es bei Naw der Vater, der ihn lenkte. Er war Tennislehrer. Nach der Schule, erinnert sich Naw, durfte er mit zum Al-Hamadaniah Tennis Complex, fünf Plätze gab es. "Es ging meinem Vater auch nicht darum, dass wir Champions werden", sagt Naw. "Wir sollten Freude haben an dem, was wir tun. Und wir hatten Spaß."

Als Kind durfte Hazem Naw einmal als Balljunge auf dem Platz stehen. (Foto: Privat/oh)

Naw wurde besser, nahm an Turnieren teil, gewann. Nur, was sollte er mit dem Talent machen? Schon ohne Krieg waren die Bedingungen in Syrien schwer. "In einem Jahr hatten wir sechs Turniere, so viele haben wir hier in Nordrhein-Westfalen schon mal in einer Woche", erklärt Naw. Amer, sein fünf Jahre älterer Bruder, war schon richtig gut und zählte zu den besten Spielern Syriens. Nur als 2011 der Krieg begann, war das Überleben das Wichtigste.

Bei einem Angriff 2014 wurden vier der fünf Plätze im Tenniskomplex zerstört. Zunehmend verließen Naws Spielpartner das Land, sodass sein Vater ihm Aufgaben als Beschäftigung stellte. "Er gab mir einen neuen Ball und sagte mir: Ich komme in zwei Stunden, dann will ich kein Logo mehr auf dem Ball sehen." Naw sollte den Ball gegen die Wand schlagen. "Eine Zeit lang war das okay, irgendwann wurde es langweilig. So fing ich an, das Logo mit einem Stein abzureiben."

Längst war klar, dass es auch für ihn in diesem Land keine Zukunft gab. Aber den Jungen weit wegzuschicken, konnte sich die Familie nicht leisten. 2015 zog Naw nach Damaskus, der syrische Tennis-Verband half, das langsame Internet lief sogar manchmal stabiler. So konnte er Fetzen von der Tenniswelt mitbekommen. "Einmal sah ich die ATP Finals, Murray gegen Nishikori. Ich erinnere mich an diesen Tag, weil so viele Kampfflugzeuge in der Luft waren." Es waren harte Jahre für den Teenager. "Ich war von der Familie getrennt, ich musste alles alleine machen, die Wäsche, die Schule."

Naw verfolgte beharrlich seinen Weg, spielte erste kleine Turniere des Internationalen Tennis-Verbandes im benachbarten Ausland, der syrische Verband unterstützte ihn weiter. Der Tennis-Weltverband (ITF) vergab zweimal ein Stipendium an ihn, aus einem Fonds, mit dem Talente aus armen Krisenländern gefördert werden. Nur so ging es. Mit 17 bestritt Naw seine ersten Turniere in Europa, in Italien, Frankreich, Belgien. Über einen Freund seines Vaters landete er in Köln.

Zurzeit suchen Hazem und Amer einen Sponsor - sein Bruder würde ihn gerne dauerhaft als Trainer begleiten

Eine Familie, die Mitglied bei Rot-Weiss ist, nahm ihn auf. Da er noch keine 18 war, musste er jede Nacht ein Heim des Jugendamtes aufsuchen und dort schlafen. Er beantragte Asyl. Er lernte Deutsch, spielte sich bei Rot-Weiss von der vierten Männermannschaft in die erste hoch. Ein Trainer nannte ihn Hans, seitdem ist das sein Spitzname. Davis-Cup-Spieler Oscar Otte etwa, den er kürzlich besiegte, ist einer seiner Teamkollegen. 2019 spürte er erstmals: Er kann sich mit Tennis seinen Lebensunterhalt verdienen. Naw gab Trainerstunden, erste Preisgelder flossen, kleine Summen, aber "ein eigenes Einkommen spornte mich noch mehr an". Inzwischen hat Naw eine deutsche Freundin und arbeitet am Einbürgerungstest.

In diesem Jahr gelang ihm als Profi eine Art Durchbruch. Beim Challenger in Koblenz gewann er als erster Syrer ein Challenger-Match und erreichte das Halbfinale, in den sozialen Medien wurde er gefeiert. Viele Medien, auch ausländische, berichteten über ihn. Eine Tennisschule in Syrien schickte ihm ein Video mit Grüßen, "das bewegte mich sehr, das macht mich stolz, wenn ich Kinder zu Hause inspirieren kann". Der beste Spieler Syriens ist er längst, zweimal spielte er für sein Land im Davis Cup. Naw hofft, dass er in den nächsten Jahren an Grand Slams teilnehmen kann, und sei es nur in der Qualifikation. Auch Olympia sei ein Traum für ihn. Er sei ein Läufer, inzwischen habe er "mentale Härte" auf dem Platz entwickelt. Einmal trainierte er mit dem ehemaligen US-Open-Sieger Dominic Thiem, da konnte er viel lernen, sagt er. Zurzeit suchen er und Amer, der den A-Trainerschein in Oberhaching macht, einen Sponsor, damit ihn der Bruder dauerhaft als Trainer begleiten kann.

Seltenes Familientreffen: Höchstens einmal im Jahr verbringt Hazem Naw Zeit mit seiner Familie - für diese Zusammenführung müssen alle stets nach Kish Island in Iran reisen. (Foto: Privat/oh)

Naw bedrückt allerdings, dass er seine Eltern und seine Schwester nur einmal im Jahr sehen kann. Sie treffen sich stets in Iran, in Kish Island, dort spielt er das ITF-Turnier, die Familie erhält ein Visum für die Ausreise, nur so klappt es. Seine Eltern sind stolz auf ihn und wollen, dass er in Köln bleibt. "Sie vermissen mich, aber sie wären noch trauriger, wenn ich zurückgekommen würde in ein Land, in dem ich nichts machen kann." Der Krieg habe sich etwas beruhigt, "aber die Inflation ist schlimm. Geld ist wie, sorry, Toilettenpapier".

Naw weiß zu schätzen, dass ihm Deutschland diese Chance auf eine zweite Heimat gab. "Wenn ich von heute auf morgen nicht mehr Tennis spielen könnte, bin ich trotzdem sehr dankbar und glücklich", sagt er. "Ich habe gute Menschen um mich herum. Das zählt für mich."

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