Tennisprofi Novak Djokovic:Der Holzfäller aus dem Botanischen Garten

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Noch etwas hüftsteif: Novak Djokovic in seinem Auftakmatch bei den Australian Open (Foto: Martin Keep/AFP)

Novak Djokovic, der 24-malige Grand-Slam-Sieger, hat zum Auftakt Mühe bei den Australian Open. Im Alter von 36 Jahren ist sein größter Widersacher nun: die Zeit.

Von Barbara Klimke, Melbourne

Auf einem kleinen, noch unbebauten Flecken im Tennispark von Melbourne würdigt Australien seine Cracks dieses Sports. Dort, wo im Trubel der Australian Open die Familien picknicken, sind die Bronzebüsten ehemaliger Spieler und Spielerinnen des Landes aufgebaut: von Rod Laver und Margaret Court bis Lleyton Hewitt und Pat Cash. Doch kaum jemand hat dieses Turnier so geprägt wie der Beste der Gegenwart, Novak Djokovic, der die schwere silberne Siegerschüssel seit 2008 zehnmal davongetragen hat. Der einzige Grund, weshalb man ihm - trotz fehlenden australischen Passes - eine Statue auf der Anlage bislang verweigert, besteht wohl darin, dass er noch immer den Schläger schwingt und gewinnt.

Wer sollte ihn diesmal hier schlagen? Das war die Frage, die am Sonntag den Auftakt des Turniers bestimmte und auf die zunächst Djokovic selbst eine Antwort fand. Als er gebeten wurde, seine ärgsten Widersacher zu bestimmen, sagte er: "Ich selbst - wie immer an erster Stelle." Erst danach erwähnte er "die anderen besten Tennisspieler der Welt", ohne auch nur einen von ihnen mit Namen zu nennen.

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Es wäre allzu leicht, in dieser Attitüde nur die Arroganz des Siegers zu vermuten, denn zur Wahrheit gehört, dass Djokovics Einschätzung den Fakten entspricht. 24 Grand-Slam-Titel hat er gewonnen, so viele wie kein männlicher Tennisspieler vor ihm. Der Spanier Carlos Alcaraz, 20, der nach dem Abschied Roger Federers und in Abwesenheit des verletzten Rafael Nadal als sein größter Herausforderer gilt, hat in seiner Karriere bislang zwei dieser Pokale erobert. Also einen weniger, als Djokovic allein in den vergangenen zwölf Monaten ergatterte, in denen er 36-jährig noch einmal bei den Australian Open, French Open sowie US Open triumphierte.

49 ungewöhnlich leichte Fehler leistet sich Djokovic gegen den Debütanten Dino Prizmic

Als sein ärgster Rivale hat sich Djokovic dann tatsächlich selbst entpuppt, als er am Sonntag in seinem Erstrundenmatch dem erst 18-jährigen, phänomenal spielenden Qualifikanten Dino Prizmic gegenüberstand. 49 ungewöhnlich leichte Fehler leistete sich der Beste der Zunft, nur 60 Prozent der ersten Aufschläge landeten im Feld. Er drosch die Rückhand zwei Meter ins Aus, setzte zu Stoppbällen an, die kaum das Netz erreichten, traf die Kugel mit dem Rahmen. Und als er schließlich mit Mühe nach vier Stunden in der Rod-Laver-Arena seinen siebten Matchball genutzt hatte - 6:2, 6:7 (5), 6:3 und 6:4 -, war ihm die Erleichterung anzusehen. Prizmic, dem mutigen Gegner, der sein erstes Grand-Slam-Turnier spielte, der noch nie vor 14000 Zuschauern aufgetreten war, applaudierte er demonstrativ auf dem Platz. Er lobte die Schnelligkeit, Energie, Variabilität und Übersicht des Kroaten, der im vergangenen Jahr das Pariser Juniorenturnier gewonnen hatte und erst sein zehntes Match bei den ATP-Profis bestritt: "Er hat mich wirklich laufen lassen für mein Geld", sagte Djokovic und verhieß Prizmic eine glänzende Zukunft.

Denn für die Youngster, für den hoch veranlagten Kroaten, aber auch für Wimbledonsieger Alcaraz oder den 22-jährigen Jannik Sinner, Nummer vier der Welt, spricht die Zeit - ein Faktor, der Djokovics mutmaßlich größte Bedrohung sein dürfte. Die Hatz nach dem Ball fordert bei aller Beweglichkeit und Resilienz des Maestros aus Serbien ihren Tribut. Zu Beginn des Jahres hat Djokovic über Schmerzen in der Schlaghand geklagt. Sie plagen ihn seit seiner Niederlage am 3. Januar im United Cup gegen den Australier Alex de Minaur - es war sein erster Matchverlust auf dem australischen Kontinent seit sechs Jahren.

Die Schwere der Blessur spielte er vor Beginn der Australian Open herunter. Dem Handgelenk gehe es gut, erklärte er: "Es ist nicht so schlimm wie andere Verletzungen, die ich hier schon hatte. 2021 und letztes Jahr hatte ich mit schwerwiegenderen Verletzungen zu kämpfen." Der erste Vorfall von 2021, auf den er anspielte, war eine Bauchmuskelverletzung. Vor Jahresfrist war dann sein Oberschenkel lädiert - es hieß, es habe sich um einen drei Zentimeter langen Muskelriss gehandelt. In beiden Jahren hat Djokovic selbstverständlich, allen medizinischen Gewissheiten zum Trotz, in Melbourne den Sieg davongetragen.

Jugendstilviertel statt Quarantäne-Hotel

Die Australian Open sind immer sein Lieblingsturnier gewesen, seine Festung, seine Burg. Er wird sie auch diesmal bis zum letzten Ball verteidigen, unterstützt vom Publikum in der Rod-Laver-Arena, die "fast sein Zuhause ist", wie Alcaraz richtig anmerkte.

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Diese Zuneigung war lange gegenseitig, kühlte sich aber ab vor zwei Jahren, als Australiens Regierung dem ungeimpften Tennis-Dauersieger die Einreise juristisch untersagte und ihn bis zur Abschiebung ohne Rücksicht auf seinen Prominentenstatus in einem schäbigen Quarantänehotel unterbrachte. In diesem Jahr wohnt Djokovic wieder standesgemäß in South Yarra, einem gediegenen Stadtteil mit Jugendstilvillen. "Ich mag das lieber als die City, weil es ruhiger ist", sagte er. Die Grand-Slam-Wochen seien eine körperlich, geistig und emotional zehrende Zeit: "Es ist schön, wenn man Orte findet, an denen man entspannen kann, um Energie für die nächsten Tage zu sammeln." Zu seinen bevorzugten Rückzugsorten gehört der nahe gelegene Botanische Garten, ein "wunderschöner Park", wie er sagte, in dem er seit 15 Jahren "zu sich kommen, Bäume umarmen oder auf Bäume klettern" könne. Vielleicht, so sinnierte er, sei das ein Geheimnis seines australischen Erfolgs.

Doch niemand sollte sich täuschen lassen von einem Teilzeit-Baumumarmer: Wenn es darauf ankommt auf dem Platz, wird er, wie zum Schluss gegen Prizmic, das Racket mit der Wucht eines kanadischen Holzfällers schwingen, um zu gewinnen. Denn Rekorde jagt Novak Djokovic noch immer. Ein weiterer Titel, und er hätte Margaret Court überholt, die ebenfalls 24 Grand-Slam-Trophäen sammelte, allerdings in den 1960er- und 1970er-Jahren. Er wäre dann tatsächlich der Beste in der Statistik dieses Sports - ein Mann, der Statuen verdient.

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