Niklas Süle bei der Nationalmannschaft:Balou trägt ein dickes Fell

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Er labert nicht: Nationalspieler Niklas Süle demonstriert beim Training der Nationalmannschaft Feingefühl im Fuß. (Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Der begnadigte Innenverteidiger Niklas Süle räumt offen ein, dass ihn die Ausbootung durch Bundestrainer Flick mit dem Hinweis auf seine mangelnde Fitness getroffen hat. Sein grundsätzliches Selbstvertrauen bleibt aber unerschütterlich.

Von Javier Cáceres, Wolfsburg

Der Dortmunder Verteidiger Niklas Süle ist landsmannschaftlich Hesse, geboren zu Frankfurt am Main. Doch mitunter könnte man meinen, er sei Ostfriese oder ein anderweitig verwurzeltes Nordlicht. Denn er spricht entwaffnend lapidar und verbittet sich jedes überflüssige Wort.

Zu Wochenbeginn begab es sich, dass Süle den Zitatenschatz der deutschen Fußballkultur um einen Satz mit vier Worten bereicherte. In der längst berühmten "All or Nothing"-Doku des Streaming-Anbieters Amazon über den "Nothing"-Auftritt des deutschen Nationalteams bei der WM 2022 in Katar hatte Süle einen überragenden Cameo-Auftritt.

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"Laber mich nicht voll", sagte Süle in der Kabine des Wembley-Stadions, als ihn Joshua Kimmich am Rande des Nations-League-Spiels belehren wollte, und stampfte davon. Am Dienstag saß Süle in Wolfsburg vor dem Pressetross, der die Aktualität des DFB-Teams verfolgt. Und lieferte eine noch viel kürzere, gar einsilbige Antwort, als er gefragt wurde, ob er nach dem Denkzettel, den ihm der Bundestrainer Hansi Flick per Nicht-Einladung zu den Länderspielen gegen die Ukraine, Polen und Kolumbien im Juni verpasst hatte, irgendetwas an seiner Saisonvorbereitung geändert hätte.

Süle beugte sich auf dem Podium kurz vor, sagte: "Nein", und lehnte sich wieder zurück.

Wäre Süle nicht Süle, und damit eine Figur, die eher an den Bären Balou aus dem "Dschungelbuch" erinnert denn an einen Rächer in eigener Sache, so ließe sich seine schmallippige Replik leicht zu einem Akt der Insubordination stilisieren. Frage und Antwort lassen sich nämlich nur im Kontext eines Interviews lesen, das Bundestrainer Hansi Flick Anfang Juni der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gegeben hatte. "Für mich könnte Niki einer der besten Innenverteidiger sein, die es gibt. Sein Potenzial ist riesig", hatte Flick da einerseits gelobt. Andererseits hatte er eben auch gewettert: "Ich finde, er lässt noch einiges liegen. Ich will, dass er von seiner Einstellung, von seiner Mentalität einen Schritt nach vorne macht." Er solle an sich arbeiten und profihafter leben, so las sich dieser Hinweis. Süles Reaktion? Siehe oben: "Nein."

Oder sagte er doch leise: Okay? Dortmunds Sportdirektor Sebastian Kehl attestierte dem Innenverteidiger zuletzt, Lehren gezogen zu haben. "Ich kann sagen, dass er im Urlaub deutlich mehr gemacht hat als alle anderen, weil er sich auf diese Saison einfach besser, intensiver vorbereiten wollte", erzählte Kehl. Warum Süle nicht in diese Kerbe schlug und sie vertiefte, blieb am Mittwoch ein Geheimnis. Aber eine Vermutung könnte lauten: Süle lässt sich nicht nur ungern volllabern. Er labert auch nicht.

Was Süle auch macht: Das Image, er würde bei jeder Rast Wildschweine verspeisen wie Obelix, wird er nicht mehr los

Das dürfte auch darauf zurückzuführen sein, dass er in seinen 28 Lebensjahren und Profieinsätzen für Hoffenheim, Bayern München und eben Dortmund Folgendes gelernt hat: Egal, was er auch macht (und erzählt), das Image, er würde bei jeder denkbaren Form von Rast Wildschweine verspeisen, als wollte er sich um eine Rolle als Depardieu-Ersatz im nächsten Asterix-Film bewerben, wird er eh nie mehr los.

Er reißt auf der Körperwaage die 100-Kilo-Marke; dass sich sein Gewicht auf eine Körpergröße von 1,95 Metern verteilt, mildert die harten Urteile der Öffentlichkeit nur selten ab. "Es ist nicht erst seit der letzten Maßnahme so, dass irgendjemand meint, darüber urteilen zu müssen, in was für einer körperlichen Verfassung ich bin", sagte Süle am Mittwoch in Anspielung auf seine Nichtnominierung.

Es darf wohl bezweifelt werden, dass Süle mit dem Pronomen "irgendjemand" explizit den Bundestrainer im Sinn hatte. Vor allem deshalb, weil Süle mit seiner Meinung selten hinterm Berg hält. Am Mittwoch fand er nichts dabei, den Termin der im Oktober anstehenden USA-Reise der Nationalmannschaft offen zu kritisieren ("Zeitpunkt schlecht gewählt") oder offen einzugestehen, das ihn die Nichtberücksichtigung durch Flick getroffen hatte. Dass er sie als ungerecht empfand. "Ich habe eine gute Saison gespielt und hätte es aus meiner Sicht schon verdient gehabt, beim letzten Lehrgang dabei zu sein", sagte er. Das war nicht ganz auf dem Level, aber doch recht nahe an der Selbstsicherheit, die Torwart Marc-André ter Stegen vom FC Barcelona am Mittwoch an den Tag legte, als er auf Nachfrage eine Selbstverständlichkeit erläuterte, die sich vor allem aus der Konvaleszenz von Bayern-Torwart Manuel Neuer ergibt: "Im Moment bin ich die Nummer eins."

Eine "Nummer eins" ist Süle in der Abwehr im Moment auf keiner der Positionen, die er zu bekleiden imstande wäre. Aber das liegt an der Konkurrenzsituation im Kader, nicht an etwaigen Dissonanzen mit Flick. "Er hat mir seine Beweggründe genannt. Die muss ich akzeptieren", sagte Süle in sülehafter Direktheit, "aber ich muss sie nicht eins zu eins verstehen". Gleichwohl: "Schmollen" komme für ihn nicht infrage. Er versuche, "jedes Wochenende, in jedem Spiel, meine beste Leistung zu bringen. Jetzt hat's Hansi wieder gefallen anscheinend - deswegen bin ich jetzt wieder dabei". Ohne Blabla.

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