Spanien vor Qualifikationsspiel in Kosovo:Ein Gegner, dessen Namen sie nicht nennen

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Gestenreich: Kosovos Fans beim Spiel gegen Griechenland. (Foto: Laura Hasani/Reuters)

Spanien erkennt die Unabhängigkeit des Kosovo nicht an. Das führt zu Animositäten - und zu Verrenkungen des Verbandes. Dabei hätte der dem kommenden Gegner aus dem Weg gehen können.

Von Javier Cáceres, Pristina

Das Fadil Vokrri Stadion liegt mitten in der Innenstadt Pristinas. Und wer einen Vorgeschmack darauf haben wollte, was die Spanier am Mittwoch bei ihrem WM-Qualifikationsspiel erwarten könnte, der musste am Sonntag dort vorbeischauen, als die Kosovaren in der WM-Qualifikation in letzter Sekunde noch ein 1:1 gegen die Griechen retteten. Es diente in vielerlei Hinsicht als Muster.

Atmosphärisch, weil das Stadion nur zu zehn Prozent ausgelastet werden darf - wegen Corona. Vor allem aber auch politisch. Denn Griechenland erkennt die 2008 erklärte Unabhängigkeit des Kosovo nicht an. Das haben die Griechen unter anderem mit den Spaniern gemein, sie dürfen sich daher wohl auch darauf einstellen, dass die kosovarischen Ultras auf der nicht überdachten Gegengerade des Vokrri-Stadions demonstrativ sitzen bleiben, wenn die Töne der spanischen Nationalhymne erklingen. So handhabten sie es jedenfalls am Sonntag, als das Lied der Hellenen erklang. Das ist nicht sonderlich nett, aber immerhin nicht so unfein wie die Pfiffe, die zum Beispiel bei der Europameisterschaft von den englischen Fans bei gegnerischen Hymnen zu hören waren. Und es ist auch weit weniger martialisch, als man im Lichte der Schriftzüge auf dem Rücken der Kapuzenpullover der Ultras hätte vermuten können. "Raised by war - stronger than fear", steht dort zu lesen.

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Die Partie der Spanier ist mit allerlei Verrenkungen und Animositäten verbunden. Als die Kosovaren neun Jahre nach dem Ende des Kriegs ihre Unabhängigkeit von Serbien verkündeten, verweigerten die Spanier - wie die EU-Länder Griechenland, Rumänien, Slowakei und Zypern - die Anerkennung des neuen Gebildes. Der Grund, verkürzt: Da könnte ja jeder kommen; im Falle der Spanier zum Beispiel Katalanen oder Basken, wo es signifikante separatistische Strömungen gibt. Jene Tage gebaren eine kuriose Allianz: Der rechtskonservative spanische Ministerpräsident José María Aznar und der mittlerweile verstorbene kubanische Staatschef Fidel Castro betrachteten die einseitige Unabhängigkeitserklärung als einen völkerrechtlichen Sündenfall - ebenso China oder auch Russland.

Anders die USA, die seinerzeit die Unabhängigkeit massiv unterstützten und dort später einen gigantischen Militärstützpunkt aufbauten, und mehr als 100 andere Länder. Die Dankbarkeit der Kosovaren gegenüber den US-Amerikanern sieht man nicht nur im Stadtbild, wo dem früheren US-Präsidenten Bill Clinton ein Standbild gewidmet ist, sondern auch im Stadion Fadil Vokkri. Dort sieht man auch Banner, auf dem die blaue kosovarische Fahne und das Stars & Stripes-Banner der USA miteinander verwoben sind. In der Fußgängerzone von Pristina werden US-Fahnen feilgeboten, ebenso französische und deutsche, nicht aber spanische, denen man eher kratzbürstig gegenübersteht.

Vor dem Hinspiel nannte Spaniens Verband den Gegner nicht beim Namen

Das war auch schon im Qualifikationsspiel vom März zu sehen, das Spanien in Sevilla mit 3:1 gewann. Seinerzeit gipfelte die angespannte Lage in Boykottdrohungen der Kosovaren. Sie waren pikiert, weil Spaniens Verband ihr Land in den offiziellen Verlautbarungen nicht beim Namen nannte, sondern auf Drängen der Regierung bloß als die Vertretung des "kosovarischen Territoriums" bezeichnete. Tagelang wurde spekuliert, die Spanier würden in Sevilla weder die Hymne spielen noch die Fahne des Landes hissen - am Ende gehorchten sie den Protokollanweisungen des Fußballweltverbandes Fifa. Aber: Die Mitarbeiter der staatlichen TV- und Radiosender Spaniens erhielten die Anweisung, das Wort "Kosovo" zu umschiffen. Die Reporter mussten das dreisilbige Wörtchen durch das weit sperrigere "Mannschaft des kosovarischen Verbandes" oder "des kosovarischen Territoriums" ersetzen.

Auch diesmal ist zu erkennen, dass der Kosovo für die Spanier etwas anderes ist als ein eigenständiger Staat. Im Kalender der spanischen Nationalmannschaft taucht der Kosovo abgekürzt mit drei Buchstaben auf, aber im Gegensatz zu allen anderen Mannschaften, die sich mit dem Team von Luis Enrique messen, wurden keine Versalien, sondern kleine Buchstaben benutzt. Und laut den Accounts des Verbandes in den sozialen Netzwerken brach die "Selección" am Dienstag zum Kampf um wichtige Qualifikationspunkte nach Pristina auf, nicht nach "Kosovo".

Spanien hat in der laufenden Qualifikation schon fünf Punkte liegen lassen. Am Donnerstag verlor Spanien in Schweden, zuvor hatte es gegen Griechenland nur zu einem Unentschieden gereicht. Jenseits davon bleibt aber vor allem dies kurios: Spaniens Verband hätte sich die Verrenkungen ersparen können. Wenn er vor der Auslosung darum ersucht hätten, nicht gegen Kosovo gelost zu werden, wie es die Serben taten und sie selbst auch, im Falle von Gibraltar, der britischen Exklave auf der iberischen Halbinsel. Aber das ist eine andere Geschichte.

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