Saisonauftakt in Sölden:Kräftige Pinselstriche am Gesamtkunstwerk

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Schnellste auf der Gletscherrampe: Lara Gut-Behrami schiebt sich im zweiten Lauf von Rang vier noch an die Spitze. (Foto: Alessandro Trovati/AP)

Die Schweizerin Lara Gut-Behrami fährt mit neuer Gelassenheit und alter Stärke zum Auftaktsieg in Sölden - und den Debatten davon, die den Alpinsport in die neue Saison begleiten.

Von Johannes Knuth, Sölden

Dafür, dass es ihr einigermaßen "katastrophal" ging, wie die Skirennfahrerin Lara Gut-Behrami später einräumen sollte, machte sie noch das Beste aus ihrem Los. Sie plumpste auf den Boden im Zielgelände am Rettenbachgletscher in Sölden, verfolgte, angelehnt an eine Bande, das Finale des ersten Riesenslaloms der neuen Saison. Als die Italienerin Federica Brignone, die Führende nach dem ersten Lauf, ihre Dreiviertelsekunde an Vorsprung auf Gut-Behrami verspielt hatte, die Schweizerin also als erste Tagessiegerin der neuen Spielzeit feststand, reichte die Kraft dann schon wieder, um mit den Fäusten in der Luft zu trommeln. Ein Sieg mit eingeschränkter Schubkraft, das waren prächtige Nachrichten, wenn auch weniger für Gut-Behramis Konkurrenz.

Die Karriere der Schweizerin gleiche längst einem "Gesamtkunstwerk", pries die Neue Zürcher Zeitung hernach, und das war ein durchaus berechtigter Befund im Lichte eines Olympiasieges, acht WM-Medaillen und nun 38 Erfolgen im Weltcup. Wobei die 32-Jährige gewillt zu sein scheint, das Werk noch um ein paar Striche aufzuhübschen. Vor der Saison hatte Gut-Behrami offenbar überlegt, den Pinsel ganz beiseitezulegen, stellte dann fest, dass sie so fit sei, wie sie es nie erwartet hätte an dieser Wegmarke ihrer Karriere.

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Der Sport beschere ihr noch immer Freude, bestätigte sie in Sölden, sogar die Tüftelei, Skier, Schuhe, Bindung und Kanten so abzustimmen, dass es sie gewinnbringend gen Ziel trägt. Und sie hat gelernt, ihre Kräfte zu bündeln. Eine 18-Jährige müsse bei jedem Wind und Wetter trainieren, um Erfahrung zu gewinnen, sagte Gut-Behrami; sie habe das so nicht mehr nötig. Als Eileen Shiffrin, Mutter und Trainerin der großen Favoritin Mikaela Shiffrin, am Samstag sah, wie Gut-Behrami im zweiten Lauf die Gletscherrampe hinuntersauste, lautete ihre erste ungehobelte Rezension: "Holy shit!"

Früher fühlte sie sich von Erwartungen überrollt - heute wirkt sie gelassen wie nie

Da hat eine längst ihren Halt gefunden, nicht nur auf dem Gletschereis. Früher fühlte sich Gut-Behrami schon mal überrollt von den Erwartungen ihrer skivernarrten Heimat, den Fragen der Reporter. In Sölden parlierte sie rund eine Stunde beim Medientermin, geduldig, lächelnd, bestimmt - auch bei einem Thema, das ihr "Unsicherheit" bescherte. Die Skier im Weltcup dürfen seit diesem Winter nicht mehr mit fluorhaltigem Wachs präpariert werden, das schneller macht, aber schädlich sein kann für Umwelt und Mensch. Fast alle Profis hielten das für eine gute Idee, sagte Gut-Behrami. Weniger gut sei, wie der Weltverband Fis das Reglement derzeit gestalte. Es sei noch immer unklar, wie genau und unter welchen Umständen gemessen werde; oder was passieren könnte, wenn ein übelmeinender Konkurrent die Skier mit einem Sprühstoß kontaminiert. Eigentlich, sagte sie, müssten die Serviceleute die Rennskier ständig ins Bett nehmen.

Die Sorgen waren nicht ganz unberechtigt, wie der Samstag in Sölden zeigte: Bei den Skiern der Norwegerin Ragnhild Mowinckel flammten an mehreren Stellen Messwerte auf, die den Grenzwert laut der Regelhüter weit überschritten. Dabei seien die Skier präpariert gewesen wie das Paar an Reserveskiern, die bei Kontrollen zuvor nur an einer Stelle aufgefallen waren, sagte Rainer Salzgeber von Mowinckels Ausrüster Head (für den auch Gut-Behrami fährt). Man habe die Skier über Nacht zwar nicht im Schlafgemach, dafür im Auto eingeschlossen, um nichts zu riskieren. Mowinckel wurde trotzdem disqualifiziert.

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Gut-Behrami machte derweil mit einem Thema von sich reden, das längst ein selbstverständliches sein sollte. Der Grund dafür, dass sie sich so bescheiden fühlte am Samstag, war ihre Menstruation. Das habe viel Kraft geraubt, sagte sie, "diese zehn Prozent, die entscheiden, ob man topfit ist oder zu kämpfen hat". Und wenn der Körper nicht mitmache, müsse der Kopf noch mehr kompensieren, der am Renntag ohnehin ab fünf Uhr morgens von Nervosität umschwirrt ist und später jeden Zentimeter des Rennkurses auswendig lernen muss.

Die Schweizerin deutete zugleich an, dass die kommende Generation an Skifahrerinnen noch mehr dabei unterstützt werden sollte, wenn es um den Zyklus und die Folgen für körperliche Höchstleistungen geht. Zumal auch im Skisport noch immer Männer an allen Ecken und Enden wirken, auch als Trainer der Frauen. Als Mikaela Shiffrin im vergangenen Jahr im ORF beiläufig erwähnte, dass sie sich wegen ihrer Menstruation gerade nicht ganz so leistungsfähig fühle ("I'm at an unfortunate time of my monthly cycle"), übersetzte das der Dolmetscher mit "monatlichem Radfahren", das Shiffrin zuletzt, leider, leider, nicht habe bestreiten können.

38. Erfolg im Weltcup: Lara Gut-Behrami jubelt in Sölden. (Foto: Alessandro Trovati/AP)

Gut-Behrami sagte in Sölden zugleich: "Es ist selbst als Frau oft schwer, das zu verstehen. In den ersten Jahren im Weltcup habe ich mich am besten gefühlt und meine besten Leistungen gebracht, wenn ich menstruiert habe. In den letzten Jahren habe ich auch mal Trainingsläufe unterbrochen, weil es mir so ging wie heute." Da verstärke sich jedes schlechte Gefühl, jedes Zwicken im Rücken.

Es wird spannend zu sehen sein, wie weit es die 32-Jährige diesmal im Gesamtweltcup tragen kann, mit alter Stärke und neuer Gelassenheit. Shiffrin, die im Vorjahr zum fünften Mal in der Gesamtwertung gewonnen hatte, mit über 1000 (!) Punkten vor Gut-Behrami, wurde in Sölden nur Sechste, mit 1,38 Sekunden Verzug. Allerdings war die Amerikanerin in der Vorbereitung erkrankt gewesen, hatte eine Weile lang ihr Training nicht absolviert, und für eine, die die Konkurrenz für gewöhnlich dank ihres gewaltigen Arbeitspensums zermalmt, war das eine große Schwächung.

Noch gedämpfter fiel in Sölden der Ausblick der Deutschen aus. Bei den Frauen stocken die Nachschubrouten im Riesenslalom weiter massiv, auch wegen diverser Verletzungen - Emma Aicher wurde 41., als einzige des Skiverbands. Und bei den Männern hatte die zweite Reihe, in Abwesenheit von Alexander Schmid (Reha nach Kreuzbandriss) und Stefan Luitz (Knöchelbruch), schlicht Pech: Fabian Gratz lag im ersten Lauf auf Rang 22, ehe das Rennen abgebrochen wurde: zu viel Wind.

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