Ginnis vor Kollega. Es klingt nach Rap-Konzert im Irish Pub. Tatsächlich aber handelt es sich bei Samuel Kollega und Alexander Ginnis um Skirennläufer aus Kroatien und Griechenland. Und Ginnis, der Mann aus Athen, ist an diesem Samstag in die Geschichte dieser Sportart eingegangen, oder besser, eingecarvt. Als erster Grieche ist ihm eine Fahrt aufs Podest eines Weltcuprennens gelungen. Und nur einer konnte ihn an diesem denkwürdigen Tag bezwingen.
Chamonix, Frankreich, letzter Slalom-Weltcup vor der Ski-Weltmeisterschaft, Lauf zwei, Entscheidung. Oben im Starthaus steht ein Mann mit der Startnummer 45 auf der Brust. In Durchgang eins war dem einzigen Griechen im Starterfeld ein ausgezeichneter Tanz durch den Torlauf unterhalb des Mont Blanc gelungen. Als 23. des ersten Durchgangs ging er nun ins Finale dieses Rennens und legte einen griechischen Sirtaki zwischen die Tore. Ginnis fuhr mit Bestzeit und acht Zehntel Vorsprung auf Kollega über die Ziellinie. Mit dieser Vorgabe hatten sie nun alle Probleme, fast alle.
Der Deutsche Alexander Schmid, unerwartet stark und Zehnter nach Lauf eins, schied am vorletzten Tor aus. Der Italiener Alexander Vinatzer indes stürzte erst nach dem letzten Tor und plumpste als Tages-Achter über die Ziellinie. Linus Straßer, beim Nachtslalom in Schladming noch dramatisch am zweiten Tor eingefädelt, fuhr mit zwei eher verhaltenen, aber soliden Darbietungen auf Rang sechs. Der Norweger Lucas Braathen war wegen einer Blinddarm-OP gar nicht erst angetreten, sein Landsmann Henrik Kristoffersen schied in Lauf zwei aus - genau wie der Franzose Clement Noel und Schladming-Sieger Loic Meillard aus der Schweiz. Nur einer hielt dem Druck der griechischen Bestzeit stand: Ramon Zenhäusern zeigte seinerseits Talent im Pisten-Sirtaki, auch wenn er nicht aus Griechenland stammt, sondern aus der Schweiz. So wie Daniel Yule, der knapp hinter Ginnis Dritter wurde.
Im Januar 2021 hat Ginnis als erster Grieche überhaupt Weltcuppunkte bei einem Skirennen verbucht
Später an diesem Samstagnachmittag sah man in Alexander Ginnis' Augen Tröpfchen im Sonnenlicht glänzen. "Absolut unglaublich", sagte er am TV-Mikrofon: "Ich habe noch überhaupt nicht begriffen, was los ist." Minuten später näherte er sich dem Begreifen an. "Ich habe so lange gekämpft", erklärte der 28-Jährige, "so viele verfluchte Verletzungen." Er wolle "einfach allen danken, die trotzdem an mich geglaubt haben". Der Familie, den Sponsoren, den Freunden.
"AJ" nennen sie ihn, und seit zwei Jahren ist AJ in der Ski-Szene nicht mehr nur Insidern ein Begriff. Im Januar 2021 hatte Ginnis als erster Grieche überhaupt Weltcuppunkte bei einem Skirennen verbucht, beim Slalom in Flachau war er als Elfter ins Ziel gefahren, was ihm 24 Zähler einbrachte. Und so kurios das klingt, auch damals war Alexander Ginnis mit der Startnummer 45 ins Rennen gegangen.
Die hübsche Geschichte des Geschichtsschreibers aus Athen ist auch und vor allem geprägt von massiven Rückschlägen, genauer: schweren Verletzungen. Sechs Kreuzbandrisse ziehen sich durch seine Laufbahn, Ginnis' Fluch der Rekorde. Sechs Knieoperationen hat er hinter sich, daran erinnerte Ginnis, ehe er neben Sieger Zenhäusern aufs Treppchen stieg. "Ich bin so oft zurück gekommen", sagte er. Nun wurde er - zu einem nicht ganz ungünstigen Zeitpunkt - belohnt. In zwei Wochen, am 19. Februar, findet bei der Ski-WM in Courchevel und Méribel der Männer-Slalom statt. Mit dem neuen griechischen Geheimfavoriten "AJ" Ginnis.