Ski alpin:Flutlicht provoziert das größte Drama

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Spektakuläre Einlage: Der Italiener Hannes Zingerle stürzt ins Ziel, und sein Lauf wird sogar gewertet. (Foto: Giovanni Auletta/AP)

Nachtrennen wird eine besondere Aura nachgesagt. In Schladming liefern die beiden Wettkämpfe Argumente dafür. Es könnte bald häufiger abends gefahren werden - die Frage ist, wie sich das mit der Umwelt verträgt.

Von Korbinian Eisenberger, Schladming

Es war der spektakulärste Moment dieses nächtlichen Spektakels: Der Skirennläufer Hannes Zingerle aus Südtirol war in Bestzeit unterwegs und hatte nur noch drei Kippstangen vor sich. Da verlor er vor lauter Tempo den Kurvenrhythmus, stellte die Riesenslalom-Skier vor dem letzten Tor quer und flog von dort wurfsternartig ins Ziel. Ja, ins Ziel trifft es. Genauer traf er, mit nur noch einem Ski ausgerüstet, frontal die Zielumrandung, ein glücklicherweise butterweiches Material, das Zingerle durchschlug, ehe er im Zielhang liegend Richtung Leinwand schaute. Bestzeit.

Nächtlichen Sportwettkämpfen wird ganz gerne eine melodramatische Aura nachgesagt. Das lässt sich im Fußball erkennen, etwa wenn in der Champions League vor Anpfiff die zugehörige Hymne durchs Stadion hallt. Und im Alpin-Sport gilt es mindestens genauso. Verstärkte Hinweise hinterließen nun die Nächte von Schladming. Erstmals in seiner Geschichte hatte der Weltcuport in der Steiermark zu einem Doppelschlag geladen: Dienstag Slalom, Mittwoch Riesentorlauf. Und Akt eins begann mit einem tragischen Element: Der beste deutsche Skifahrer Linus Straßer, der Vorjahressieger, schied an Tor zwei aus. Es wurde wieder deutlich, dass Schladming unter Flutlicht zu Dramen neigt.

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Auf der "Planai", dem Schladminger Hausberg, ging es in Akt zwei zunächst noch um die Frage, wer die Riesenslalom-Premiere dort gewinnen sollte. Der Deutsche Alexander Schmid hätte sich gerne rege an der Entscheidungsfindung beteiligt, nach Rang sieben in Durchgang eins fuhr er als Gesamtneunter ins Ziel, ohne selbiges zu rammen. Laut wurde es, als Österreichs Marco Schwarz nach rutschfreier Darbietung auf der Schladminger Eispiste ins Ziel einfuhr. Er überholte elf Konkurrenten aus dem ersten Lauf. Dann aber unterboten Gino Caviezel und Sieger Loic Meillard seine Gesamtzeit. Zwei Schweizer, die den Österreichern ihre Heim-Party crashten. Und Ziel-Crasher Zingerle? Die Fis wertete seine Fahrt tatsächlich: Mit drittschnellster Laufzeit fuhr der Italiener von Rang 26 auf 14 vor. Er war der Mann für den größten Sprung nach vorne - und für die dramatischste Einlage.

Später im Zielraum und noch später in der Schladminger Nacht ging es zuvorderst um Zukunftsfragen. Vor den Mikrofonen und in den Tennen wurde laut darüber nachgedacht, den nächtlichen Doppelschlag von Schladming auch in Zukunft zu etablieren. Die Premiere war ja dem Umstand zu verdanken, dass der abgesagte Garmischer Riesentorlauf nun hier nachgeholt wurde. "Es ist ganz etwas Besonderes und Spezielles und macht Lust auf mehr", erklärte der Oberstdorfer Alexander Schmid. "Es kann von mir aus gerne mehr Nachtrennen geben." Sein zweites Argument: die Fairness. "Mit Flutlicht ist es einfach besser zu fahren, und alle haben gleiche Sichtverhältnisse", so der 28-Jährige. Wenngleich, auch das sagte er noch, "das Ganze schwierig zu rechtfertigen ist in einer Energiekrise".

Die Kombi aus Kunstschnee und Kunstlicht dürfte noch diskutiert werden. In Schladming allerdings hatten sie ja tatsächlich natürlichen Schnee zur Verfügung, fast zu viel war vom Himmel gefallen. Alles war angerichtet, unter anderem mit drei 9900-Euro-Flaschen im "Platzhirsch" direkt am Zielstadion. So kehrte das Fest nach zwei Jahren Pause in die Stadt zurück. 40 000 Leute bevölkerten Schladming am Dienstag, von der Fanmeile ging es in die Arena oder an den Hang, Bierdosen, Fähnchen und Sektflaschen säumten die Gassen der Stadt. Toni Polster war zu sehen, Maria Höfl-Riesch in leuchtendem Lila, Renate Götschl und Hannes Ringlstetter. Am Mittwoch dann, zum recht spontan einberufenen zweiten Schladming-Teil, waren die meisten Promis abgereist. 7000 Besucher kamen noch zum Zusehen. Es war, als verdaue Schladming gerade noch den intensiven Vorabend.

Nach Garmisch signalisiert auch Kärnten ein Interesse

Flachau und Zagreb bei den Frauen, Madonna di Campiglio und Schladming bei den Männern - das waren bis vor Kurzem die klassischen Standorte für Nachtevents im Skisport mit je einem Slalomrennen. Sind mehr überhaupt verträglich? Um die Frage wird es gehen, sollte Schladming tatsächlich Eigenwerbung für eine Wiederholung des Zweitrennens betreiben. Der viermalige Schladming-Sieger Benjamin Reich, inzwischen als ORF-Experte im Einsatz, hat bereits ein Bekenntnis abgelegt. "Ein Riesentorlauf in Schladming sollte dauerhaft das Ziel sein", wird er in der österreichischen Kronenzeitung zitiert, das Blatt ist Sponsor des Events. Oder eben: der Events.

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In Schladming waren dem Vernehmen nach unter anderem Tickets im hohen dreistelligen Eurobereich auf dem Markt. Dem ORF zufolge ist das Nachtrennen dort seit 14 Jahren unter den zehn quotenstärksten Sendungen, 2018 und 2019 sahen bei Lauf zwei je 1,8 Millionen Menschen zu. Eventuell kennen sie diese Zahlen in Garmisch, wo heuer die Nachtslalom-Premiere ausgetragen wurde. Oder in Kärnten, wo der dortige Landesskiverband 2024 erstmals ein Slalom-Spektakel in Bad Kleinkirchheim ausrichten will. Der Kärtner Franz Klammer wird bald 70, ihm zu Ehren soll dort unter Flutlicht gefahren werden, heißt es.

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