Schwimm-WM:Wunderkinder, die auf die Erde fallen

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Schön bunt - aber nicht alles ist so, wie es scheint: Die Schwimm-WM in Fukuoka. (Foto: Francois-Xavier Marit/AFP)

Japanische Sicherheitsleute mit Luke-Skywalker-Ausrüstung, deutsche Flohmarkt-Enthüllungen und ein 18-Jähriger, der lieber Mensch als Roboter ist: Die besten Geschichten von der Schwimm-WM in Fukuoka.

Von Sebastian Winter, Fukuoka

Inspiration Ikee

Wieder da nach ihrer Blutkrebs-Diagnose: Rikako Ikee. (Foto: Eugene Hoshiko/AP)

Es gibt Sarah Sjöström bei dieser WM. Katie Ledecky sowieso. Summer McIntosh. Ariarne Titmus. Und viele andere. Vielfach-Weltmeisterinnen, Stars ihres Sports, Frauen-Power. Und dann gibt es Rikako Ikee. Anfang Februar 2019 war Ikee im Trainingslager in Australien. Sie fühlte sich nicht gut, reiste früher ab. Von den Ärzten erhielt sie dann eine erschütternde Diagnose: Blutkrebs. Sie machte eine Therapie, glaubte zwischenzeitlich nicht mehr an ihr Überleben - und schaffte es dann, 2021 bei den Olympischen Spielen in ihrer Heimat Japan zu starten. Seither ist sie dort eine Art Nationalheilige, vor der sich alle verneigen. Bei der WM absolvierte sie nun ein riesiges Programm, Medaillen gab es für sie nicht - dafür nach dem Finale über 50 Meter Schmetterling eine Umarmung von Sjöström, die in Fukuoka binnen 20 Minuten Weltmeisterin und Weltrekordlerin geworden war. "Es ist fantastisch, ihr Comeback zu verfolgen. Sie ist eine wahre Inspiration", sagte Sjöström. Eine Inspiration, die, natürlich, an Schnelligkeit eingebüßt hat, womit sie hadert. Der SZ sagte Ikee Mitte der vergangenen Woche: "Ich bin frustriert darüber, dass ich die Erwartungen vieler Menschen nicht erfüllen konnte. Aber ich möchte weiterhin stärker werden, bei Olympia starten. Ohne Ausreden dafür zu finden, weil ich krank war." Jetzt versteht man, warum hier so viele Rikako Ikee verehren.

Männer der Straße

Sicherheitsmann an der Schwimmarena in Fukuoka. (Foto: Winter/oh)

Sie sind überall, in voller Montur, Mütze auf dem Kopf, manche tragen noch eine Sturmhaube darunter. Haben ihre Uniformen eingebaute Klimaanlagen? Jedenfalls weisen die Sicherheitsleute dem Japanbesucher zu jeder Tages- und Nachtzeit den Weg. Ist ja Linksverkehr, da kann man als Deutscher schnell mal über den Haufen gefahren werden. Also begleiten sie einen, bewaffnet mit roten Leuchtstäben, die Luke Skywalker problemlos als Laserschwert in der nächsten Star-Wars-Trilogie verwenden könnte (manche tragen auch blinkende Halsketten), immer sicher über die Straße. Auch, wenn weit und breit kein Auto zu sehen ist. Und nicken dabei stets freundlich. Kurzer Blick auf den Stoffaufnäher am Arm: "Vertrauen und Sicherheit", steht da auf Englisch. Man fühlt sich wirklich sehr gut aufgehoben.

Mensch statt Roboter

Diesmal kein Weltmeister: David Popovici. (Foto: Yuichi Yamazaki/AFP)

Fukuoka, das war auch die WM von Popovici. Von Constantin Popovici. Der Rumäne gewann nach Sprüngen aus 27 Metern Gold in der spektakulären Disziplin High Diving. Aber was war los mit seinem Landsmann und Namensvetter David Popovici? Als Wunderkind wurde er nach seinem Gold über 100 und 200 Meter Freistil vor einem Jahr in Budapest in den Himmel gehoben. Der damals 17-jährige Rumäne hatte das Publikum verzaubert, auch mit seinem smarten, bescheidenen Auftreten. In Fukuoka sahen die Zuschauer einen 18-Jährigen, Inhaber des 100-Meter-Freistil-Weltrekords, der wieder auf die Erde zurückfiel. Platz vier über 200 Meter, Rang sechs über 100 Meter. Popovici aber blieb bei seiner Haltung: "Es ist eine Erleichterung, dass mir nicht alles zufliegt. Ich bin lieber so als ein perfekter Roboter, der immer gewinnt."

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:Ich denke, also schwimm ich

David Popovici ist ein 18-jähriger Gymnasiast - und doch bereits der schnellste und anmutigste Schwimmer, den die Welt je gesehen hat. Was ist das Geheimnis des Jahrhunderttalents? Spurensuche in einem alten Freibad in Bukarest.

Von Christof Gertsch

Keine Mülleimer - aber auch kein Müll

Es gibt kaum Mülleimer in Japans Öffentlichkeit, auch nicht in Fukuoka. Weder im Park noch sonst wo auf der Straße, allenfalls sieht man sie in großen Einkaufszentren. Oder im Pressezentrum der Schwimmarena. So schleppt man eben auch seinen Müll tagein, tagaus mit sich herum. Der Grund für diesen Mangel liegt schon eine Weile in der Vergangenheit: Nach dem Giftgasanschlag der Aum-Sekte am 20. März 1995 auf die Tokioter U-Bahn, an dessen Folgen 14 Menschen starben und mehr als 6000 verletzt wurden, haben die Behörden fast alle Mülleimer als mögliche Ablageorte, die Terroristen nutzen könnten, abgebaut. Trotzdem ist auch Fukuoka fast besenrein. Zigarettenkippen? Plastikflaschen? Anderer Unrat? Fehlanzeige. Das disziplinierte Volk nimmt alles mit nach Hause. Die letzten Mitglieder der Aum-Sekte wurden übrigens 2018 hingerichtet. Mülleimer hat Japan verbannt, die Todesstrafe nicht.

Angelina und Ole

Angelina Köhler im Halbfinale über 100 Meter Schmetterling (Foto: Adam Pretty/Getty Images)

Die vielleicht coolsten Socken dieser WM, zumindest aus deutscher Sicht, sind Ole Braunschweig und Angelina Köhler. Ausgestattet mit Berliner Schnauzen - sie starten für die SG Neukölln - blicken sie entwaffnend offen über den Tellerrand hinaus. Braunschweig bezeichnete eines seiner Rennen als "Bullshit", Köhler beschrieb ihre Beste-Freunde-Beziehung zu Braunschweig und erzählte, dass sie in Berlin auch mal gerne auf den Flohmarkt gehen. Was Braunschweig mit dem Hinweis darauf dementierte, dass er Flohmärkte nicht ausstehen könne - "aber nen Döner essen wir schon mal zusammen". Nach der WM wollen sie zusammen zehn Tage durch Japan reisen, sich drei Städte anschauen, Braunschweig will sich "auf jeden Fall vollfressen und dann mit drei Kilo Extragewicht in die neue Saison starten", Köhler hat vor, sich als Anime-Fan ganz viele dieser Sticker kaufen. Die beiden verbindet auch in sportlicher Hinsicht einiges, selbst ohne Treppchenplatz: Sie gehören neben Lukas Märtens, dem einzigen deutschen Medaillengewinner im Becken, Lucas Matzerath und Isabel Gose zu den Entdeckungen aus deutscher Sicht.

Beifall für Olamide Sam

50 Meter Brust, Vorlauf, auf Bahn acht kämpft sich Olamide Sam am Samstagmorgen durchs Wasser, in 1:04,98 Minuten kommt sie an. Den Weltrekord, 29,30 Sekunden, wird später Ruta Meilutyte einstellen. Sam hat im Frühjahr am Aberdeen Beach in Freetown mit den Sierra Dolphins trainiert, von ihrer Heimatzeitung A-Z wird sie so zitiert: "Obwohl das Wasser hochgradig gefährlich und kalt ist, haben wir die Situation gut gemeistert." Dass Sam, 23, die aus Sierra Leone stammt, nun in der Marine Messe in Fukuoka wohl eine der langsamsten Schwimmerinnen dieser WM ist - egal. Denn das Publikum würdigt sie mit so viel Applaus, als wäre sie gerade Weltmeisterin geworden. Da schlägt es wieder, Japans Herz für jene, die eben auch dabei sind, wenn auch nicht im Blitzlichtgewitter.

Schalke 04 im Yatei

Ein Yatei in Fukuokas Ausgehviertel Tenjin. (Foto: Ann-Kathrin Rose/oh)

Yatei heißen die traditionellen Essensstände, für die Fukuoka berühmt ist. Sie sind in Familienbesitz, werden jeden Tag gegen 18 Uhr aufgebaut, ob am Fluss Naka, der die Stadt durchfließt, oder in den Ausgehvierteln Tenjin und Nakasu. Samt mobiler Garküche. Und jedes ist individuell eingerichtet, spezialisiert mal auf Fisch, mal auf Fleisch, mal auf Häppchen und Cocktails. Um Mitternacht schließen die Yatei wieder - danach dauert der Abbau schon mal drei Stunden. Ein Knochenjob, eigentlich. Aber für Gäste wunderbar. Man sitzt da mit Einheimischen, unterhält sich mit Händen und Füßen, isst hervorragend und trinkt Bierchen oder Moscow Mule. Und manchmal trifft man ältere, vom Cocktail schon etwas angedüdelte Männer, die einem von Schalke 04 und Gelsenkirchen erzählen. Aber von Bayern München haben sie noch nie gehört.

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