Ronaldo gegen Casillas:Galaktisches Duell im Halbfinale

Lesezeit: 3 min

Psychospiele genehmigt: Die Real-Profis Casillas und Ronaldo treffen sich im Halbfinale. Beide schielen nicht nur auf den EM-Titel, sondern wollen auch Weltfußballer werden. Spaniens Torwart überrascht deshalb vor dem Spiel gegen Portugal mit Sticheleien gegen seinen Vereinskollegen.

Javier Cáceres

Früher, als die Karriere des spanischen Torstehers Iker Casillas noch in ihren ersten Zügen lag, pflegte er eine kuriose Marotte. Anders als viele Kollegen zog er vor den Spielen nicht frische Torwarthandschuhe über - sondern zog es vor, die alten, benutzten, ja fast abgewetzten aufzutragen. Abgesehen davon, dass er mittlerweile dazu übergegangen ist, seine Handschuhe nach den Partien den Fans auf der Tribüne zuzuwerfen, bei der laufenden Europameisterschaft hätte er Mühe, ein Paar zu finden, das so aussieht, als hätte er es bei der Arbeit getragen.

Ballartisten - einer im Sturm, einer im Tor: Cristiano Ronaldo (li.) und Iker Casillas. (Foto: AFP)

Schüsse aufs Tor hat Casillas eher wenige ertragen müssen, zuletzt gegen Frankreich flog gerade mal ein Ball auf sein Tor. An diesem Mittwoch aber, beim Halbfinalspiel gegen Portugal, dürfte sich das ändern.

Denn auf der gegnerischen Seite steht Cristiano Ronaldo, sein Mannschaftskamerad bei Real Madrid, dessen Schüsse schon mal Schmauchspuren hinterlassen. Und der auf einen Preis schielt, den auch Casillas gerne mal hätte: den "Ballon d'Or", den Goldenen Ball für den Weltfußballer des Jahres.

Richtige Hoffnungen dürfte sich Casillas nicht machen. Ronaldo hat nicht unwesentlich zu den Erfolgen von Real Madrid in der abgelaufenen Saison beigetragen, in 54 Spielen schoss er 60 Tore. Doch durch den irrsinnigen Wettstreit, den sich Ronaldo mit Messi (73 Treffer in 60 Spielen) lieferte, ist mehr denn je in Vergessenheit geraten, dass Casillas ebenfalls seine Rolle hatte. Überhaupt zählt er seit Jahren zu den weltbesten Torhütern. Und sollte Spanien gegen Portugal gewinnen und ins EM-Finale einziehen, würde Casillas, 31, auf 100 Länderspielsiege kommen - als erster Fußballer überhaupt.

"Wenn ein Torwart den Titel (des weltbesten Fußballers; d. Red.) wirklich verdient, dann wird er ihn auch kriegen. Aber traditionell stehen bei diesen Wahlen eben die im Fokus, die Tore schießen", sagte Casillas vor Jahren mal. Und auch wenn er sich seinerzeit weigerte, auf den Traum zu verzichten, so klang er doch resigniert, dass Sowjet-Legende Lew Jashin auch über seine, Casillas', Zeit hinaus der einzige Torwart bleiben würde, der je den Goldenen Ball in den Händen hielt. 1963 war das.

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Meriten hat Casillas zuhauf erworben. Nicht nur, weil er 2010 zum dritten Torwart nach den Italienern Giampiero Combi und Dino Zoff wurde, der sein Team als Kapitän zum Weltmeistertitel führte. Dass Spanien seit 18 Pflichtspielen ohne Niederlage dasteht, liegt auch an ihm. Elf Mal hat Spanien bei den letzten beiden großen Turnieren "zu null" gespielt, darunter auch bei der WM 2010 gegen Portugal (1:0). Ronaldo war damals so entnervt, dass er in Richtung eines Kameramanns spuckte, als er vom Platz ging.

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Die Revanche nahmen die Portugiesen noch im selben Jahr. Bei einem Freundschaftsspiel in Lissabon spielten sie die Spanier mit 4:0 Toren an die Wand - Ronaldo selbst wurde von seinem Teamkameraden Nani um einen Treffer betrogen. Nachdem Ronaldo die spanische Abwehr ausgewackelt und den Ball über Torwart Casillas hinweg gelupft hatte, tippte Nani den Ball völlig unnötig mit der Stirn über die Linie - weil Nani im Abseits stand, annullierte der Schiedsrichter einen der schönsten Treffer der Karriere Ronaldos überhaupt.

Die Ästhetik wird am Mittwochabend in Donezk freilich nur am Rande eine Rolle spielen. Es geht um den Finaleinzug, und da sind kleine Psychosticheleien auch unter Kollegen genehmigt. Casillas überraschte mit ein paar Äußerungen, in denen er Ronaldos EM-Feldzug als nicht makellos bezeichnete. "Ich finde nicht, dass Ronaldo auf seinem höchsten Level ist", sagte Iker Casillas. Wenn er Schulnoten vergeben müsste, würde er Ronaldos Performance "irgendwo zwischen Eins minus und Zwei plus" ansiedeln.

Gleichwohl: Ein Rückfall in die alten Zeiten der Dauerkonflikte scheint nicht in Sicht zu sein. Xabi Alonso bekundete gerade erst, dass er mit Ronaldo gesprochen habe; bei der WM hatten alle Spieler von Real noch verabredet, Ronaldo keines Blickes und keines Wortes zu würdigen. Und bei der Meisterfeier von Real Madrid lagen sich Casillas und Ronaldo fast schon demonstrativ in den Armen, während sie sich vor zwei Jahren noch in der Wolle lagen, weil Casillas Verlobte Sara Carbonero, die im weiteren Sinne als Journalistin bei einem Fernsehsender tätig ist, Ronaldo öffentlich Egoismus unterstellt hatte.

Handgreiflich wurde es aber nur zwischen Ronaldo und seinem mutmaßlichen Manndecker Álvaro Arbeloa. Die Zeitung El País berichtet, dass sich Arbeloa und Ronaldo nach dem Champions-League-Aus gegen den FC Barcelona 2011 prügelten - und die Mannschaftskameraden mehr als eine Minute brauchten, um die beiden wieder zu trennen. Mittlerweile sollen sie auch wieder ein einigermaßen harmonisches Auskommen haben. Doch 90 Minuten, in denen es um alles geht, können ziemlich lang und nervenzehrend sein. Dass sie Ronaldo gut kennen, sei jedenfalls keine Hilfe, sagte Xabi Alonso: "Es ist egal, ob Du weißt, was er mit Dir anstellen wird. Denn er macht es so oder so. Darin liegt die Stärke Ronaldos." Und das weiß auch Casillas.

© SZ vom 27.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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