Tumulte vor Champions-League-Finale:Image-Fiasko für Paris

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Großer Andrang: 2700 Fans mit gültigen Tickets kamen offenbar nicht ins Stadion zum Champions-League-Finale. (Foto: David Klein/Imago)

Frankreichs Innenminister macht die Fans des FC Liverpool für chaotische Szenen vor dem Stade de France verantwortlich, die Polizei treffe angeblich keine Schuld. Augenzeugenberichte deuten dagegen auf eine desaströse Organisation hin.

Von Javier Cáceres, Paris

Auch zwei Tage nach dem Champions-League-Finale von Paris halten die Debatten um das Chaos vor dem Stadion an. Nach einer Krisensitzung mit der Sportministerin und dem europäischen Fußballverband Uefa beharrte Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin am Montag darauf, den Liverpooler Fans die Hauptverantwortung für die teils lebensbedrohlich anmutenden Szenen vor dem Stadion anzulasten. Die Uefa wiederum kündigte am Abend an, sie habe bei einem Team unter Leitung des ehemaligen portugiesischen Sportministers Tiago Brandão Rodrigues einen Bericht in Auftrag gegeben. "Bei der umfassenden Überprüfung werden Entscheidungsfindung, Verantwortung und Verhalten aller am Finale beteiligten Stellen untersucht", betonte der Verband.

Das dürfte spannend werden, denn Berichte von Augenzeugen legen nahe, dass das größte Problem am Samstag die desaströse Organisation war - in einem 80 000 Menschen fassenden Stadion, das ästhetisch attraktiv ist, aber unter städtebaulichen Gesichtspunkten eine Katastrophe. Ein sicherer Zugang von Menschenmassen ist angesichts enger Unterführungen und Rampen zum Stadion kaum zu gewährleisten. Es soll in zwei Jahren die Hauptbühne der Olympischen Spiele von Paris sein.

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Vor diesem Hintergrund und der im kommenden Jahr stattfindenden Rugby-WM sind die Geschehnisse vom Samstag für die französische Regierung ein Image-Fiasko - auch wenn die dort zu erwartenden Zuschauer einem anderen Profil entsprechen als Fußballfans. Darmanin zufolge sei die Wurzel allen Übels eine "massive, industrielle" Fälschung von Tickets gewesen. Vor dem Stadion hätten sich "30 000 bis 40 000" vornehmlich englische Fans mit falschen oder ohne Tickets befunden. Ob diese Zahl stimmt, muss dem Augenschein nach bezweifelt werden. Er gehe davon aus, so Darmanin, dass die Fälschung "auf der anderen Seite des Ärmelkanals" organisiert worden sei.

Darmanin warf Liverpool-Trainer Jürgen Klopp vor, für die hohe Zahl englischer Fans ohne Tickets am Stadion mitverantwortlich zu sein, wegen dessen Bemerkung, Paris sei "groß genug, um dort ohne Ticket hinzugehen und eine gute Zeit zu haben". Das habe das Sicherheitssystem der Polizei, die Darmanin gegen jeden Vorwurf in Schutz nahm, aus dem Gleichgewicht gebracht.

Ihrem umsichtigen Verhalten sei es zu verdanken, dass es keine Toten gegeben habe. Auch das widerspricht Augenzeugenberichten, die der Polizei einen Schwenk von offenkundiger Teilnahmslosigkeit in repressives Verhalten anlasten. Auf einem Video ist zu sehen, wie ein Gendarm einem sich völlig ruhig verhaltenden Mann Pfefferspray ins Gesicht sprühte.

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Die Liverpooler Polizei, die szenekundige Beamte nach Paris geschickt hatte, sprach in einem am Sonntag verbreiteten Statement von einem "beispielhaften Verhalten" der mitgereisten Anhänger Liverpools. Sie hätten sich zeitig zum Stadion begeben. Die Uefa hatte am Samstag die 37-minütige Verzögerung des Anpfiffs auf die verspätete Anreise von Zuschauern zurückgeführt.

Die größten Sicherheitsprobleme ergaben sich offenkundig auf dem Weg zwischen dem Bahnhof Stade de France, wo unter anderem die von einem Bummelstreik betroffene Regionalbahn RER D hält, und dem Aufgang zum Stadion, wo eine erste, bedrohlich enge Schleuse errichtet wurde, durch die nur Menschen mit Tickets kommen sollten. Darmanin zufolge seien 70 Prozent der vorgezeigten Tickets als falsch identifiziert worden. Auch diese Zahl erstaunt. Die Sportministerin Amélie Oudéa-Castéra sprach von rund 2700 Personen, die trotz gültiger Tickets den 1:0-Sieg von Real Madrid gegen Liverpool verpasst hätten. Sie sollten entschädigt werden.

Ein Zeuge sieht, wie Polizisten ihre Waffe auf Menschenmassen vor der Metro richten

Probleme entstanden offenbar auch, weil die Eintrittskarten, die man über eine App der Uefa herunterladen konnte, nochmals in einen QR-Code umgewandelt werden mussten - vor der Partie aber brach rund ums Stadion das Handynetz zusammen. Das Problem habe "unzählige Leute um mich herum" betroffen, sagte ein aus der Schweiz angereister Liverpool-Fan der SZ. Er hatte legal ein Ticket der Kategorie 2 für 450 Euro erworben - und sei am Ende ohne Kontrolle durchgewunken worden, weil der Druck auf das Stadiontor, vor dem er stand, so groß gewesen sei, dass ihn die Stewards im Vertrauen auf seine Zugangsberechtigung einließen.

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Der Augenzeuge beobachtete auch, dass sich vor Tor R Fans des FC Liverpool aufgebaut hätten, um sich augenscheinlich gewaltsam Zutritt zu verschaffen. Die Reaktion war die etwa 15-minütige Schließung eines Tores, vor dem sich die Massen ballten, Menschen gegen Zäune gedrängt wurden - eine knappe Stunde vor dem ursprünglich geplanten Spielbeginn. Parallel dazu war der Andrang auf die Einlässe so groß, dass die umliegende Fahrbahn schließlich doch geöffnet wurde, um den Fans den Weg zum Stadion zu ebnen. Es kam zu einem derart monumentalen Verkehrsstau, dass sowohl die Angehörigen der Spieler Real Madrids wie auch des FC Liverpool erst kurz nach 21 Uhr im Stadion waren.

Der Rückweg der Fans verlief ebenfalls beängstigend unruhig. Es kam - wie schon vor der Partie - zu Diebstählen auf dem Weg zur Metro-Station, offenbar von örtlichen Jugendlichen begangen.

Der Paris-Korrespondent des spanischen Radiosenders RNE schilderte der SZ, dass überfordert wirkende französische Polizisten nach der Festnahme einer Handvoll Diebe die Waffe auf die Masse richteten, wohl um einer möglichen Gefangenenbefreiung zu begegnen. Der Augenzeuge sagte, er wolle sich angesichts der dicht gedrängten Menschen nicht ausmalen, was geschehen wäre, wenn sich versehentlich ein Schuss gelöst hätte. Eine Massenpanik wäre unvermeidlich gewesen.

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