European Championships:Das ist die Sammel-EM in Glasgow und Berlin

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Britische Bahnradsportler beim Training in Glasgow. (Foto: dpa)
  • Mehrere Sportarten wollen aus dem Schatten des Fußballs treten - deshalb veranstalten Leichtathleten, Schwimmer, Turner, Golfer, Triathleten, Radfahrer und Ruderer ihre EM als "European Championships" in Glasgow und Berlin.
  • Die Idee folgt jener aus dem Wintersport: In kurzer Zeit sollen viele Wettbewerbe gezeigt werden. Man hofft auf 1,3 Milliarden Zuschauer am Fernseher.
  • Trotzdem besteht ein Risiko, denn dies sind nur Europameisterschaften. Und in manchen Sportarten haben die Besten gerade Besseres zu tun.

Von Volker Kreisl, Glasgow

Der Haken könnte der Schnee sein. Denn in ganz Europa ist gerade kein Anzeichen davon. Nicht mal eine Kaltfront ist in Sicht, auch kein Matschregen, der die Menschen an den Fernseher treiben könnte. Dabei wäre etwas Schmuddelwetter eine nicht zu unterschätzende Voraussetzung für das finanzielle Gelingen dieses ehrgeizigen Projekts, das ab Donnerstag mit den ersten Vorläufen und Qualifikationen in Glasgow und Berlin startet.

Alle möglichen Versuche gab es schon im Sport, um sich mehr Geltung zu verschaffen: spektakuläre neue Schauplätze, rasantere Wettbewerbe, oder auch die Olympia-Kopie, die Europaspiele in Baku. Jetzt folgt der nächste Versuch, mit dem die klassischen Disziplinen aus dem Schatten des Fußballs treten wollen, und diesmal ist die Blaupause der Wintersport mit seinen umfangreichen Übertragungen.

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Die Leichtathletik-Europameisterschaft 2018 in Berlin hat begonnen. Bis zum 12. August treten Athleten aus 51 Ländern im Kampf um die Medaillen an. In unserem Zeitplan finden Sie alle Entscheidungen der Leichtathletik-EM im Überblick.

Am Donnerstag beginnt für die nächsten elf Tage also die - ja, wie heißt sie eigentlich? Vereinigte Europameisterschaft? Die Sammel-EM? Die Siebener-Euro? EM-Slam?

Orientierungshilfe gaben die langen und dunklen Wintersportwochenenden

Nein, die Veranstalter haben sich klugerweise keinen Modenamen verpasst, es sind einfach The European Championships. Sieben olympische Disziplinen ermitteln in der gleichen Zeitspanne ihre Europameister: Die Leichtathletik in Berlin und in Glasgow Schwimmen, Turnen, Radsport, Rudern, Triathlon und Golf. Rund 4500 Athleten sind dabei, 188 Medaillen werden vergeben in Finalentscheidungen und Wettkämpfen, die so aufgebaut sind wie immer. Es gibt ist also nichts Neues, es findet nur alles auf einmal statt.

Der entscheidende Punkt aber ist: Ab zirka neun Uhr morgens wird übertragen, europaweit im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und bei Eurosport, 100 Live-Stunden sind vorgesehen. Die Organisatoren hoffen auf gut anderthalb Millionen Zuschauer in den Stadien, Arenen und auf den Tribünen der Außenanlagen. Diese laufenden Besucher sind wichtig, aber noch ein bisschen bedeutsamer sind die Sitzenden zuhause, man hofft auf 1,3 Milliarden am Fernseher.

Denn das Projekt Raus-aus-dem-Schatten soll nicht nur ein reales Fest werden, sondern auch einen großen Werbeeffekt erzielen. Deshalb hatten sich die Erschaffer an den langen und dunklen Wintersportwochenenden in den Alpen und in Skandinavien orientiert, an denen der Zuschauer nur noch aufsteht, wenn es unbedingt sein muss, denn kaum ist die eine Loipen-Entscheidung vorbei, schon folgt das nächste Rodelfinale. Uwe Bender, Bundestrainer des Ruder-Achters, sagt über Glasgow: "Wenn das so wird wie im Winter, dann könnte das Erfolg haben."

Und Wolfgang Willam, der Sportdirektor des Deutschen Turnerbundes, denkt an den dauernden Überlebenskampf gegen den Fußball. Ohne Bildschirmpräsenz sei man schon der erste Verlierer, sagte er der Agentur sid . Das Projekt Glasgow gelte daher als gelungen, "wenn wir neben einer guten Leistung unsere Athleten in ausreichender Minutenzahl auf dem Bildschirm gesehen haben." Das Kalkül dahinter ist es, auch schwerer verständliche Disziplinen wie das Turnen den Fernsehzuschauern immer wieder nahe zu bringen. Wenn die nach etlichen Wiederholungen erkennen, warum ein Skispringer gewinnt, obwohl er gar nicht den weitesten Satz hingelegt hat, dann kann man auch eine unterlegene Schwebebalken-Übung in Zeitlupe zerlegen und darstellen, warum sie zwar großartig aussah, aber eben viel leichter und weniger wert war.

Dass die Rechnung aufgeht, darüber sind sich die Organisatoren um die Marketing-Experten Marc Jörg und Paul Bristow, die als Ideengeber gelten, einig. Das hängt damit zusammen, dass Anfang August stets zwei Unterhaltungsflauten zusammenfallen: Das Fußball-Sommerloch und die allgemeine Saure-Gurken-Zeit in den Medien. Deshalb gelang es schnell, Europas öffentlich-rechtliche Sender zu überzeugen und zugleich viele Disziplinen nach Glasgow zu locken; weitere Sportarten hatten zwar Interesse, aber noch andere Verpflichtungen. Optimistisch sind die Championships-Macher auch deshalb, weil, nachdem Berlin als einziger Austragungsort nicht infrage kam, Glasgow übernahm. Schottlands größte Stadt hat unter anderem schon mit gelungenen Commonwealth Games (2014) und kürzlich einer gut in Szene gesetzten Turn-Weltmeisterschaft überzeugt.

Trotzdem besteht ein Risiko, denn dies sind nur Europameisterschaften, und die stehen im Rang eben hinter Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften. Und in manchen Sportarten haben die Besten gerade Besseres zu tun, etwa im Golf. Da ist alles, was jenseits der Majors, der PGA- und der European Tour liegt, eigentlich nicht mehr als Großereignis zu verkaufen. Sehr überschaubar dürfte in Glasgow auch die Leistungsdichte im Triathlon und in den Straßenradrennen sein. Gerade deshalb benötigt das neue Format die Wettkämpfe in der Leichtathletik, im Schwimmen und im Turnen, in denen Europameisterschaften Tradition haben und die Besten, falls verletzungsfrei, immer dabei sind.

Bleibt als Problem der Hochsommer, der die Menschen in Mitteleuropa vor die Tür und an die Badeseen treibt, wie im Jahr 2015. Die Einschaltquoten bei den Europaspielen in Baku blieben für den Sender Sport1 damals mit 1,2 Prozent Marktanteil enttäuschend. Andererseits: Dauert die Hitzewelle 2018 noch eine weitere Woche an, mit 35 Grad im Schatten und stehender Luft, dann kann das eigene Wohnzimmer schön kühl wirken, und vielleicht funktioniert das Wintersportrezept doch auch im Sommer.

© SZ vom 02.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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