Riesenslalom bei Olympia:Spaß haben diesmal die anderen

Lesezeit: 3 min

Hie und da kommt doch etwas nach bei den deutschen Skirennfahrerinnen: Emma Aicher setzt ein kleines Zeichen bei Olympia. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Ausgerechnet Topfavoritin Mikaela Shiffrin patzt in Peking, ihr erster von sechs Medaillenträumen verpufft nach wenigen Sekunden. Davon profitiert auch die einzige deutsche Starterin: Emma Aicher, 18, die auf ungewöhnlichem Weg zum deutschen Verband kam.

Von Johannes Knuth

Die Skirennfahrerin Mikaela Shiffrin musste zuletzt ein paar ungewohnte Dinge einstudieren, zum Beispiel dieses: Wie scheidet man eigentlich vorschriftsgemäß bei einem Skirennen aus? Die 26-jährige Amerikanerin kettet ja für gewöhnlich nicht nur Sieg an Sieg, sondern einen Schwung fürs Lehrbuch an den nächsten, auf den schwersten Eisrampen der Welt. Vor ein paar Wochen, nachdem Shiffrin in Kranjska Gora auf eine Slalomstange geprallt war, schossen ihr auf dem Hang also ein paar Fragen in den Kopf: Wie verlasse ich jetzt den Kurs? Rutsche ich ins Ziel? Löse ich dann nicht die Zeitnahme aus für die nächste Läuferin, die sich schon wieder aus dem Starthaus geschoben hat?

Am Montag, nach dem olympischen Riesenslalom der Frauen, war Shiffrin nicht mehr so ganz danach zumute, sich mit ihrer eigenen Unsicherheit aufzuziehen. Das hier war immerhin ein Olympiarennen, in dem sie nach dem fünften Tor aus dem Kurs gepurzelt war: nach einem "ganz kleinen Fehler, als ich gerade richtig pushen wollte auf der Kante" (ihre Teamkollegin Nina O'Brien erwischte es nach einem Sturz deutlich heftiger). Ein Fehlerchen also, und der erste von sechs Medaillenträumen - verpufft.

Olympia-Abfahrt
:Elf Knie-Operationen, eine Fast-Amputation, ein Olympiasieg

Der Schweizer Beat Feuz lässt auf der Abfahrt alle Zauberlehrlinge und Außenseiter hinter sich - auch die schwer enttäuschten Deutschen.

Von Johannes Knuth

Shiffrin hatte zuletzt zumindest überlegt, in Peking in allen Disziplinen mitzuwirken, sogar im Team-Event, es sollte ein Statement sein - nach langer Pause, dem Tod ihres Vaters und einem Winter, in dem sie (fast) wieder zu alter Stärke gefunden hatte. Aber das alles erkläre gar nicht so sehr ihre "riesige Enttäuschung", die ihr auf immer nachhängen werde, sagte Shiffrin nun. Sie habe sich großartig gefühlt auf diesem Hang und dem Schnee, auf dem das Fahren so viel Spaß bereite. Zumindest für rund zehn Sekunden.

Im Riesenslalom klafft im deutschen Team eine große Lücke seit dem Karriereende von Viktoria Rebensburg

Den Spaß hatten zur Abwechslung dann mal die anderen, die Olympiasiegerin Sara Hector aus Schweden natürlich, Federica Brignone (Italien) und Lara Gut-Behrami, die Silber und Bronze gewannen. Und auch für die einzige deutsche Starterin Emma Aicher, 18, vom Skiclub Mahlstetten, hielt dieses Rennen eine nette Volte parat. Hätte Shiffrin das Ziel erreicht, wäre Aicher im ersten Lauf wohl 31. statt 30. geworden, hätte den zweiten Lauf, in dem die besten 30 in umgekehrter Reihenfolge starten, nicht eröffnet, sich vielleicht nicht bis auf Rang 21 vorgearbeitet und nebenbei ein kleines Zeichen abgesetzt: dass hie und da doch etwas nachkommt bei den deutschen Skirennfahrerinnen.

Kleiner Fehler, große Wirkung: Mikaela Shiffrin scheidet beim Riesenslalom von Peking aus. (Foto: Tom Pennington/Getty Images)

Die Auswahl von Jürgen Graller hatte es in den vergangenen Wintern nicht leicht gehabt; auf jeden Schritt nach vorn folgte oft einer zurück, mindestens. Kira Weidle stieg zu einer WM-Silbermedaillenbesitzerin auf (und einer Anwärterin im olympischen Abfahrtslauf), ihr kamen dabei aber auch alle Teamkolleginnen im Weltcup abhanden, in Viktoria Rebensburg, Michaela Wenig (Karriereende) und Meike Pfister (wechselte zum Skicross).

Im Slalom stellte sich Lena Dürr zuletzt nach vielen Jahren das erste Mal auf dem Podest vor, die zweite Reihe rückte zuletzt aber nur langsam nach. Und im Riesenslalom, der Basisdisziplin, die die Kurventechnik für fast alle anderen Disziplinen schult, klaffte die Lücke noch größer: die wenigen Kräfte, die sie nach Rebensburgs Rückzug blieben, meldeten sich für Peking früh ab, verletzt oder außer Form.

Allzu düster mochte Wolfgang Maier, der Alpin-Vorstand im Deutschen Skiverband, das Bild zuletzt aber auch nicht malen. Vor einem Jahr beschloss er, bei der WM wenigstens ein Talent aus der Technik-Sparte zu präsentieren, ungeachtet der Tatsache, dass dieses Talent die verbandsinterne Norm nicht erfüllt hatte. Und Emma Aicher, die Frühberufene und spät Nominierte, fuhr dann so herzhaft, wie Maier es sich erhofft hatte, unter anderem zu Bronze mit dem Team.

Aicher debütiert im Riesenslalom-Weltcup erst vor einem Monat

Dabei war Aicher in Schweden aufgewachsen, der dortige Verband hatte ihr Talent aber offenbar etwas verkannt. Aicher stellte sich also - mit ihrem deutschen Vater - beim DSV vor, besichtigte das Ski-Internat in Berchtesgaden, entschied sich für eine Karriere aus Schul- und Leistungssport. "Man muss schon schauen, dass man mit den Kräften haushaltet", sagte Jürgen Graller zuletzt - bloß nicht das nächste Talent in den Krankenstand verlieren.

Die Trainer dosierten ihre Einsätze also, im Riesenslalom debütierte sie erst vor einem Monat im Weltcup. Aber wenn sie fuhr, dann machte sie so unbekümmert weiter wie immer: Sie qualifizierte sich als 14. und 13. über den Slalom ganz handelsüblich für die Spiele, gewann ein paar Rennen im Europacup, der zweiten Rennsport-Liga, schwang wie immer keine große Reden: "Ich habe mir eigentlich nichts vorgenommen, einfach das Beste geben und sehen, wie weit es reicht", sagte sie. Und der Slalom, der ihr noch mehr liegt, kommt ja noch, am Mittwoch. Dann könnte es noch etwas günstiger ausgehen, auch ohne Shiffrins Hilfe.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Olympia 2022
:Alles Wichtige zu den Winterspielen in Peking

Finden Sie alle aktuellen Nachrichten, Liveberichte und Ergebnisse zu den Olympischen Winterspielen in unserer Themen-Übersicht.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: