Olympia-Abfahrt:Elf Knie-Operationen, eine Fast-Amputation, ein Olympiasieg

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Beat Feuz presst seine Skier perfekt in den pulvrigen Kunstschnee von Yanqing. (Foto: Julian Finney/Getty Images)

Der Schweizer Beat Feuz lässt auf der Abfahrt alle Zauberlehrlinge und Außenseiter hinter sich - auch die schwer enttäuschten Deutschen.

Von Johannes Knuth

Einen Preis trugen die deutschen Skirennfahrer dann doch noch davon, nach dieser bewegenden Olympia-Abfahrt am Montag in Yanqing. Aber es war ein Ehrentitel, den man in der Branche selten mit Freude präsentiert. Andererseits: Wer kommt schon zur Ehre, dass ein Streckenabschnitt nach ihm getauft wird?

Die scharfe Rechtskurve am Berg Xiaohaituo könnte zumindest bald als Schwaiger-Knick ins Gedächtnis der Alpinszene wandern. Es war nun mal leider Dominik Schwaiger, der konstanteste Schnellfahrer im Deutschen Skiverband in diesem Winter, der am Montag an dieser Stelle den Sprung nicht sauber landete, durch eine Kompression schlingerte und dann, als er die Skier hastig in die Rechtskurve riss, aus der Fahrrinne katapultiert wurde. Der 30-Jährige schlitterte durch den Steilhang, er schlug kurz ins Netz ein, schlitterte weiter, hielt sich den Arm. Schwaiger kam mit einer Prellung am Unterarm davon, die Bilder waren heftiger gewesen als die Verletzung.

Das war dann schon die wohl beste Nachricht des Tages für die DSV-Abteilung. Ihre restlichen Starter, allesamt Außenseiter, fuhren "solide" (Romed Baumann/13.), zu passiv (Andreas Sander/17.), "sehr verkrampft" (Josef Ferstl/23.), in jedem Fall: viel zu langsam für die Hauptgewinne.

Als Dominik Schwaiger den Hang herunter schlittert, muss man Schlimmeres befürchten - doch der deutsche Skirennfahrer hat Glück im Unglück. (Foto: Wolfgang Ratty/Reuters)

So geriet am Ende eine Geschichte zur Erinnerung, die man fast nicht mehr für möglich gehalten hatte nach den windigen Turbulenzen der Vortage: Die Besten setzten sich durch, und es waren nicht die Zauberlehrlinge und Underdogs, die bei Olympia gerne mal ins Licht preschen. Der Kanadier James Crawford kam den Medaillen noch am nächsten, um sieben Hundertstelsekunden, er lag sogar vor dem Norweger Aleksander Aamodt Kilde, dem großen Favoriten, und Marco Odermatt, dem besten Skifahrer des Winters. Aber das Unbekümmerte, beizeiten Ungestüme des 24-jährigen Schweizers war nicht die rechte Formel für diesen Tag und diesen Schnee.

Olympiagold fehlte Feuz noch, die einzige Leerstelle in seiner Vita

Ganz vorne feierte dann doch wieder die Ü30-Klasse: Der Österreicher Matthias Mayer, 31, Olympiasieger von 2014 (Abfahrt) und 2018 (Super-G), krallte sich Bronze. Der Franzose Johan Clarey stieg gar zum ältesten alpinen Medaillengewinner bei Winterspielen auf, mit 41 Jahren. Seine Mutter habe stets gesagt, dass er immer länger gebraucht habe im Leben, schon beim Sprechen und Gehen, sagte Clarey. Was er erst erreichen würde, würde er noch vier Jahre weitermachen? Oder sogar acht?

Und dann war da natürlich noch der Sieger: Der Schweizer Beat Feuz, der im Ziel, eher untypisch, alle Emotionen abrief: Er wirbelte seine Skier durch die Luft, raufte sich die Mütze, als die Konkurrenz an seiner Zeit rüttelte, weinte, teilte den Moment des Triumphs schließlich mit seiner Frau und der knapp zwei Wochen alten Tochter. "Da geht mir die ganze Karriere durch den Kopf", berichtete Feuz später, "mit den Hochs, mit den Tiefs, die man durchbrechen muss."

Fürs obligatorische Foto übt sich Beat wieder in Contenance. (Foto: Wolfgang Rattay/Reuters)

Feuz' Geschichte wurde schon oft rezitiert, aber ihre Konturen werden ja umso schärfer mit jedem Erfolg, den der 34-Jährige im Herbst seines Schaffens erwirbt. Er galt früh als kommender Champion, brachte dann elf Knieoperationen hinter sich - ein Infekt vor zehn Jahren hatte fast zur Folge, dass die Ärzte ihm ein Bein amputierten. Feuz erinnerte am Montag noch mal daran, wie er danach "irgendwo in der Prärie" ins Training zurückkehrte, nur ein Drittel des Pensums schaffte, das die Kollegen abarbeiteten. Aber für das eine Rennen an dem einen großen Tag bekam er sich meist noch fit, 2017 in St. Moritz etwa, als die Schweizer ihm Erwartungen schwer wie das Matterhorn auf die Schultern luden - und Feuz gewann, als sei es das Leichteste der Welt.

Und dann fing er plötzlich an, sein Können über ganze Winter zu spannen. Weil er mit der Zeit nun mal gelernt habe, die wenigen Einheiten, die ihm sein Körper noch gestattet, besser zu nutzen, sagte er immer wieder. Kein Fast Food mehr, kein Leichtsinn. Die Gesamtwertungen im Abfahrtsweltcup wanderten die vier vergangenen Winter immer in seinen Besitz, das schaffte bislang nur ein gewisser Franz Klammer.

Sogar der Hahnenkamm, wo ihm irgendwer noch immer den Hauptpreis weggeschnappt hatte, wurde zuletzt zu seinem Hügel: Vor einem Jahr gewann Feuz beide Abfahrten auf der berüchtigten Streif; vor zwei Wochen gleich noch eine, obwohl ihn sein Knie bis dahin wieder mehr geärgert hatte. Der Erfolg genügte jedenfalls, um das Selbstvertrauen aufzufrischen, das Unterfangen in Peking war ja kein Leichtes: Olympiagold fehlte Feuz noch, im Gegensatz zu all den Klammers, Russis, Zurbriggens und Svindals, zumindest in der Logik der Medaillenzähler.

Die Pläne der deutschen Skifahrer können sich nicht entfalten

Es wurde dann wieder: ein Meisterstück des Schneestreichlers. Wenn Feuz sein Können zusammenbringt, fließt seine Fahrt so schön zusammen wie eine prächtig dirigierte Sinfonie - zupackend, energisch, gefühlvoll, wenn es geboten ist. Dann presst er die Kanten stets wohl dosiert ins Eis. Und genau das brauchte es auf diesem kalten, trockenen Kunstschnee, mit dem sie im Nordwesten Pekings ihre sonst kahlen Berge eingepudert haben - und auf dem jedes zu kräftige Lenkmanöver die Skier fest ins Geläuf beißen lässt. Er habe, sagte Feuz später, beim Start noch mal mit Odermatt geplaudert, der Altmeister und der Zauberlehrling, gemeinsam gingen sie ihre Pläne durch: "Meiner ging auf", sagte Feuz, "seiner wird noch aufgehen". Große Worte, lässig dahingetupft.

Und der Plan der Deutschen? Der war auf der Olympia-Strecke am Ende etwa so sehr erblüht wie eine Sommergewächs in der benachbarten Gobi-Wüste. Aber letztlich, sagte DSV-Cheftrainer Christian Schwaiger gewohnt pointiert, "sind wir genau da, wo wir die letzten Wochen waren". Sprich: "Einfach nicht bei der Musik". Seine Abfahrer, mit Ausnahme des verletzten Thomas Dreßen, sind keine Spezialisten für den kurzen Anlauf zum Erfolg, sie müssen sich im Laufe einer Saison mit Selbstbewusstsein vollsaugen. Das war ihnen vor einem Jahr, vor der WM in Cortina, viel besser geglückt als jetzt.

Immerhin, sagte Schwaiger: Beim Super-G, der in der deutschen Nacht zum Dienstag im Programm stand, könne man "nur voll attackieren". Zu verlieren habe man jetzt wirklich nichts mehr.

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