Bobfahrer Francesco Friedrich:Am Ziel, aber längst nicht am Ende

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Wiederholte als erster Bobpilot einen olympischen Doppelerfolg: Francesco Friedrich mit seinen Goldmedaillen bei den Spielen in Peking. (Foto: Robert Michael/dpa)

Francesco Friedrich hat seinen Doppelsieg von 2018 wiederholt und zählt nun zu den erfolgreichsten Bob-Piloten. Vor allem eine Eigenschaft soll ihm auch in vier Jahren bei den Spielen in Cortina d'Ampezzo helfen.

Von Volker Kreisl

Irgendwann kam dann die Zeit, in der Francesco Friedrich seine ersten Interviews geben musste. Und er erinnert sich noch genau, was er geantwortet hatte, wohl auch deshalb, weil es nur drei Wörter waren, die je nach Frage variierten, nämlich: "Ja", "Nein" oder, immerhin: "Vielleicht". Etwas später, und da war er immer noch jung, musste er auf einmal Interviews auf Englisch geben. Das, so blickt der 31-Jährige nun zurück, "war auch nicht so der Bringer".

Aber was soll's. Er war eben jung. Maßgeblich für den Erfolg des Bob-Piloten Francesco Friedrich war die Tatsache, dass er bald ausführlich geantwortet hatte und dies auch in englischer Sprache. Und dass er überhaupt erkannt hat, worauf es in seinem Sport, der auch sein Job ist, ankommt - nämlich immer weiter zu lernen.

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Friedrich ist jetzt der beste Bobfahrer der Geschichte. Am Schlusssonntag der Spiele von Peking hat er noch einmal gezeigt, was er kann. Nach dem Rennen im Zweierbob hat er auch im Vierer gewonnen, womit er nun mit fünf Olympiasiegen so viele hat wie sein deutscher Vorgänger André Lange. Dabei hat er offenbar immer mehr Erfahrung gesammelt, sonst hätte er nicht 2018 und 2022 je zwei Doppelsiege aneinandergereiht. In Peking war es nun der Berchtesgadener Johannes Lochner, der ihm zunächst die Stirn bot, bis im zweiten Part dann Friedrich die Aufgabe verstanden hatte und ihm davongefahren war.

Friedrich zeigt keine Muskeln, brüllt nicht in Kameras und nutzt keine Psychotricks

Es ist vielleicht doch nicht so ungerecht, dass die große Bühne des Finaltages schon seit einiger Zeit auch immer dem Vierer-Bob gehört, auf der dann gefühlt immer der Lenker aus Oberbärenburg sein Können präsentieren darf. Denn er wird zwar so genannt, aber sein Auftreten entspricht eher dem Gegenteil eines Dominators. Friedrich zeigt keine Muskeln, er brüllt nicht in Kameras, provoziert nicht in Interviews, verwendet keine Psychotricks, inszeniert sich nicht. Er zeigt nur, was man erreichen kann, wenn man seinen Respekt vor den Details behält.

Auch in Peking, in dieser komplizierten drucklosen Schlitterbahn, ist ihm die Grundaufgabe des Bobfahrens geglückt, nämlich nahezu jede Passage pünktlich zu meistern. Der Grund liegt in seiner jahrelangen Lernphase in den Kanälen in den USA, Kanada und Nordeuropa und nun auch in Peking. Es sei überall dasselbe, sagte er vorher: "Man weiß, was zu tun ist. Wenn die Reihenfolgen und Abläufe stimmen, ist das ein gutes Zeichen." Denn dann funktioniere alles wie automatisch. Friedrich spricht höflich, aber ohne Emotionen, wie ein Mathematiklehrer, der die Schüler zum Ergebnis führt: "Wenn das alles funktioniert", so Friedrich, dann fahre der Bob mit seinen vier Insassen wie von selber, "dann geht das in Richtung Roboter".

Francesco Friedrich, Candy Bauer, Alexander Schüller und Thorsten Margis (v.r.n.l.). (Foto: Kyodo News/imago)

Das hat auch mit einem anderen Erfolgsgesetz zu tun. Schon die Voraussetzungen in Deutschland sind bestechend. Vier Bahnen in vier Bundesländern, ein Haufen Konkurrenz und Schüler, die direkt von den großen Siegern lernen können. "Ein Riesensystem ist das", sagt Friedrich und schließt: "Wenn ein Detail nicht klappt, dann funktionieren immer noch woanders die Details besser." Wenn tatsächlich das Fahrwerk etwas ruckelt, dann sind eben noch Startzeiten, Einsprungphase, Kufen, Lenkung, Windschlüpfrigkeit, Rhythmusgefühl, allgemeine Erfahrung und der Teamgeist überragend. Ergo: Die deutsche Bob-Exzellenz fußt auf den meisten positiven Faktoren. Conclusio: Der somit beruhigte Pilot fährt noch sicherer.

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Wie irgendwann die englische Sprache, so hat Friedrich nun auch die Grammatik dieser Pekinger Eisbahn studiert und kapiert. Schon beim Sieg im Zweierbob befand er sich auf einem hohen Niveau, was ihm aber für beide Siege auch zugutekam, das war eine spezielle Lernhilfe. Weil die Bob-Piloten nur wenige Trainingsläufe nutzen konnten, fing die Vorbereitung schon früher an - zu Hause, am Bobsimulator. Der entstand aus einem Projekt, an dem auch der ehemalige Berchtesgadener Weltcup-Rennrodler Julian von Schleinitz mitgearbeitet hatte. Denn alles dreht sich um den instinktiven richtigen Rhythmus in der Bahn. Und so, wie ein Gitarrist zum Schlagzeugtakt aus der Box üben kann, so kann es auch ein Bobfahrer zum gefilmten Kurvenrhythmus vor dem Bildschirm.

"Wir sind noch nicht müde", sagt Friedrich, "es kommen noch vier Jahre"

Aber Simulieren ist schön und gut, entscheidend war dann das Training in China. Friedrich und seine Anschieber Thorsten Margis, Candy Bauer und Alexander Schüller stürzten sich in die Bahn und zogen aus jedem Lauf ihre Lehren. Sie verstanden, wie man verhindert, nicht schon nach der ersten Kurve als Verlierer dazustehen, weil die Kufen mangels Anpressdruck über Eis kreuzten. Sie tauchten windschnittig im Inneren der langen Bob-Zigarre ab und gingen im Rhythmus der Bahn mit. Sie kamen dank der Lenkung von Friedrich von Mal zu Mal besser durch die weiteren unangenehmen Stellen, etwa die im Mittelteil, wo der Bob auf einmal leicht aufwärts fahren muss und schon wieder Haftung auf dem Eis verliert.

Sie spürten, dass Friedrich auch diese Stelle, vor allem in den Läufen drei und vier, immer besser beherrschte, und genossen womöglich dann die nächsten Kurven sieben bis zwölf, darunter auch den weiten Kreisel, eine 360-Grad-Kurve, in der die innere Anspannung wieder steigt, weil bald darauf die Entscheidung fällt: die mittlerweile bekannte Linksbande nach der 13, auf die jedes Gefährt, ob Rodelschlitten, Skeleton oder Bob, bei diesen Spielen unweigerlich aufgefahren ist, wenn der Fahrer nicht schon 30 Meter vorher richtig gelenkt hat.

Nahezu jede Passage pünktlich gemeistert: Francesco Friedrich, Thorsten Margis, Candy Bauer und Alexander Schüller bei ihrer Goldfahrt am Sonntag im Yanqing Sliding Center. (Foto: Thomas Peter/Reuters)

Im letzten Bob, der in Peking über die Ziellinie schoss, saß also Francesco Friedrich und gejubelt haben sie dann alle, auch der Pilot, obwohl er nicht so stark wie andere Dominatoren aus sich heraus geht. Einer seiner ersten Sätze war ja: "Wir sind einfach froh, dass wir es hier geschafft haben, es herrschte ein Top-Niveau." Ergo: "Da fällt eine Last von den Schultern."

Ob Bobbahn-Bauen auch einer Mode unterworfen ist, ob die nächste Olympia-Bahn in Cortina d'Ampezzo ähnliche Schwierigkeiten enthält, ist fraglich. Denn es wird dort das alte Areal in den Dolomiten genutzt, auf dem noch die fast verfallene Bahn der Spiele von 1956 steht. 2024 soll sie renoviert sein, damit sie rechtzeitig in Wettkämpfen getestet werden kann. Die Last auf seinen Schultern hat Friedrich dann doch schnell vergessen, sonst hätte er nicht noch verkündet, dass er bis 2026 in Cortina weiter im Bob fahren werde. Er ist ja erst 31 Jahre alt. "Wir sind noch nicht müde", sagte er, "es kommen noch vier Jahre."

Und es gibt weiterhin viel zu lernen.

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