Olympia:"Vertrauen gibt es gerade nicht"

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Das 60-Meter-Hürden-Finale bei der Hallen-EM der Leichtathleten in Torun. Mehr als 50 Sportler haben sich mittlerweile bei dieser Veranstaltung infiziert. (Foto: Jasper Jacobs/Belga/Imago)

Dutzende Corona-Infektionen beim Fecht-Weltcup und bei der Leichtathletik-EM - und in vier Monaten sollen sich mehr als 10 000 Sportlerinnen und Sportler zu Olympischen Spielen in Tokio treffen?

Von Johannes Aumüller und Johannes Knuth, München

Es ist ziemlich genau ein Jahr her, dass es in der olympischen Welt zu einem bemerkenswerten Aufstand kam. Die Verbreitung des Coronavirus schreckte die Menschheit auf, doch das Internationale Olympische Komitee (IOC) ließ sich davon zunächst nicht beeindrucken: Es beharrte darauf, die Sommerspiele 2020 in Tokio auszurichten - bis die Athleten ihre Stimmen erhoben. Hayley Wickenheiser, ehemalige kanadische Eishockeyspielerin und nun IOC-Athletenvertreterin, monierte das Festhalten als "unverantwortlich", in vielen Ländern regte sich Protest. Auch in Deutschland schalteten sich potenzielle Olympiastarter zusammen, ihr Sprecher, der Säbelfechter Max Hartung, teilte im ZDF mit, dass er entschieden habe, den Spielen fernzubleiben.

Am 24. März 2020 sah dann auch das IOC keine andere Möglichkeit mehr und verlegte die Spiele um ein Jahr. Nun sind es noch vier Monate bis zum neuen Startschuss - und die Unsicherheit von damals ist wieder da.

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Zwar hat sich die Corona-Situation gravierend verändert: Es gibt Schutz- und Hygienekonzepte, mehr Erfahrung mit dem Virus und Impfstoffe. Auch will Japans Regierung trotz steigender Infektionszahlen und einer gewaltigen Ablehnung in der eigenen Bevölkerung die Spiele durchziehen. Aber kürzlich zeigte sich auf bedrückende Art, dass das Blasenkonzept, dessen sich der Sport so gerne rühmt, nicht verlässlich ist. Zwei Veranstaltungen erwiesen sich als Virusschleudern: Beim Fecht-Weltcup in Budapest infizierten sich offenkundig etwa 30, bei der Leichtathletik-EM in Torun/Polen mindestens 50 Sportler. Zugleich erscheint kaum vorstellbar, dass bis Juli alle Olympia-Sportler geimpft sein werden - manche Funktionäre mutmaßen, Japan werde nur Geimpfte ins Land lassen. Mehr denn je zeichnet sich also das Szenario ab, dass Tokio nicht stattfinden kann.

"Ich hatte die Hoffnung, dass es besser wird. Aber in den letzten zwei Wochen kamen so viele Rückschläge", sagt Athletensprecher Hartung. Der Fechter ist nach dem Weltcup in Ungarn gerade in Quarantäne. Ob Tokio nochmal kippt? "Man wird es nicht zu 100 Prozent sicher kriegen, aber das Vertrauen, dass eine Veranstaltung mit geringem Infektionsrisiko stattfinden kann, muss geschaffen werden. Das gibt es gerade nicht", sagt der 31-Jährige: "Wir sind nicht umfassend informiert, wie man die Schwächen und Engpässe, die sich gerade gezeigt haben, in Tokio verhindern will." Das sogenannte Playbook des IOC, das Verhaltensregeln vorschreibt, hält er jedenfalls nicht für ausreichend.

Olympia ist mit kaum einem anderen Sportevent vergleichbar

Olympische Spiele haben ihren besonderen Charakter: Sie vereinen im Grunde viele Fecht-Weltcups und Leichtathletik-EMs auf einmal, mehr als 10 000 Athleten aus aller Welt mitsamt ihrem Gefolge versammeln sich an einem Ort, binnen kurzer Zeit treffen Spieler verschiedenster Nationen aufeinander. Wenn das Virus einmal in der Blase ist, ist es schwer, es zu stoppen. Deswegen ist Olympia auch nicht mit anderen Events vergleichbar - wie der Handball-WM zuletzt oder der ebenfalls in diesen Sommer verlegten Fußball-EM, wo die Athletenkreise kleiner sind und gezielter reagiert werden kann.

Dabei bedrückt Hartung eine Erkenntnis aus Budapest besonders: Die Fechter reisten individuell im Auto an, sie aßen ihre Mahlzeiten auf den Hotelzimmern. Die Ansteckungen, mutmaßt er, konnten nur im unmittelbaren sportlichen Betrieb erfolgt sein: beim Aufwärmen - oder direkt auf der Planche. Ähnlich sind die Schlussfolgerungen der Leichtathleten. "Es gibt leider noch keine wissenschaftlichen Erkenntnisse, wie Infektionen bei Sportveranstaltungen entstehen. Niemand weiß, wie sich Aerosole in einer Fechthalle ausbreiten und wie die Übertragungswege sind", sagt er. Das hätte man in der Tat längst angehen können, gerade mit Blick auf die vielen Hallensportarten bei Olympia.

Thomas Röhler glaubt, dass sich Infektionsherde in Tokio kaum vermeiden lassen werden

Dabei geht es bei dieser Diskussion gar nicht nur um Olympia an sich. In vielen Sportarten stehen noch die Qualifikationen aus, etwa in der Kernsportart Leichtathletik. Thomas Röhler, 2016 Olympiasieger im Speerwurf und Mitglied der Athletenkommission im Weltverband, bastelt gerade täglich an seinem Fahrplan für den Sommer. "Es kommen Termine rein, die doch nicht stattfinden können, dann plötzlich wieder Wettkämpfe, die stattfinden", sagt er. Je nachdem, welche Schranken ein Land, eine Region oder gar eine Stadt gerade hebt - oder senkt. Erschwerend wird es, weil das Fenster für die Zulassung diesmal sehr kurz geöffnet ist, von Anfang Mai bis Anfang Juli. In manchen Disziplinen, in denen Wettkämpfe ohnehin rar sind, wie bei den Läufern, dürfte die Nachfrage das Angebot gewaltig übersteigen. "Das ist keine einfache Situation", sagt Röhler, "aber es ist eine". Besser, als würde der Betrieb brachliegen, so sieht das der 29-Jährige.

"Alle sind sich bewusst, dass die Spiele andere sein werden"

Röhlers Stimmung ist wohltemperierter als jene von Hartung. Er weilt gerade im Trainingslager in Belek, mit dem Speerwurf-Kader des deutschen Leichtathletik-Verbands und einigen paralympischen Athleten; unter Auflagen, betont er, aber ohne Zwischenfälle. Vor einem Jahr, als die Pandemie aufzog, waren sie am selben Ort, damals verließen sie nachts "fluchtartig" das Hotel und trudelten gerade noch in Deutschland ein, ehe die Grenzen geschlossen wurden. Jetzt, sagt Röhler, sei man bewusst wieder in der Türkei: "Das zeigt ganz schön, dass die Welt gelernt hat, mit der Situation umzugehen." Er spreche mit vielen Athleten, nicht nur, weil es zu seinem Jobprofil gehört: "Alle sind sich bewusst, dass die Spiele andere sein werden." Aber alle seien happy, dass der Sportwagen wieder laufe, zumindest im Hochleistungsgewerbe.

Röhler gibt sich freilich keinen Illusionen hin: "Ich glaube, es wäre auch fatal zu denken, dass sich in Tokio niemand anstecken wird, oder dass es keine Infektionsherde geben wird." Er findet, jeder Athlet müsse in den kommenden Monaten "auf sich aufpassen und verantwortungsvoll mit der Situation umgehen".

Apropos verantwortungsvoll: Rund um die Hallen-EM in Torun, bei der sich so viele Sportler ansteckten, posierten Funktionäre des Europa-Verbandes im Kraftraum fröhlich mit Weltverbandschef Sebastian Coe, im Sportoutfit, Schulter an Schulter, ohne Maske. Ein Belegexemplar der Zusammenkunft war später auf Facebook zu sehen. Mittlerweile ist es gelöscht.

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