DFB-Gegner Niederlande:Kultur-Revolution in Orange

Lesezeit: 3 min

4-3-3? 3-4-3? 3-5-2-? Oder 1-3-4-3? Louis van Gaal, hier im Gespräch mit Abwehrspieler Tyrell Malacia, hat Erklärungsbedarf. (Foto: Koen van Weel/AFP)

Bondscoach Louis van Gaal krempelt das traditionelle taktische System der Niederlande um. Das finden nicht alle Nationalspieler gut - helfen soll ihm ein Torwart mit deutscher Fußballprägung.

Von Ulrich Hartmann

"Deutsches Blut" und der "König von Spanien" kommen in der ersten Strophe der niederländischen Nationalhymne vor. Das hat historische Gründe. Wilhelm von Nassau, geboren 1533 im heute mittelhessischen Dillenburg, hat die Niederlande im Freiheitskampf gegen Spanien angeführt. Mit Fußball hat das nichts zu tun, auch wenn die Hymne mit diesem Text vor jedem Länderspiel gesungen wird.

Louis van Gaal ist noch weit davon entfernt, eine Strophe der Nationalhymne gewidmet zu bekommen. Dabei hat auch der Nationaltrainer eine spanische (Trainer des FC Barcelona 2002 bis 2003) und eine deutsche Episode (Trainer des FC Bayern 2009 bis 2011) vorzuweisen. Der heute 70-jährige hat mit seiner durchaus eigenwilligen Art in Deutschland Eindruck hinterlassen. Drei Spiele gegen deutsche Teams hat er seither mitgemacht: als Bondscoach 2012 beim 0:0 gegen Joachim Löws Nationalmannschaft sowie als Trainer von Manchester United 2015 zwei Mal gegen Dieter Heckings VfL Wolfsburg (2:1 und 2:3).

MeinungWM in Katar
:Wo van Gaal und Flick sich irren

WM in Russland und Katar, Olympia in China: Es gehe bei großen Sportevents "nur noch um Geld", beklagen die beiden Nationaltrainer. Doch das ist nur die halbe Wahrheit.

Kommentar von Claudio Catuogno

An diesem Dienstagabend gibt es ein viertes Wiedersehen beim Testspiel in Amsterdam. Van Gaal kann sich dabei allerdings nicht allzu sehr mit deutschen Befindlichkeiten beschäftigen, denn er bewältigt in seiner eigenen Mannschaft gerade eine Mammutaufgabe: Umstellung vom 4-3-3-System auf ein 3-4-3, von der Viererabwehrkette auf die Dreierkette mit zwei offensiven Außenverteidigern.

Das ist für die Niederlande ein bisschen so, als wolle man aus der nationalheiligen Frikandel-Hackfleischwurst eine Weißwurst machen oder aus der Tulpe eine Nelke. Es ist eine Kulturrevolution, die nicht allen gefällt, unglücklicherweise nicht mal dem eigenen Abwehrchef Virgil van Dijk. Der 30-Jährige vom FC Liverpool sagte am Samstagabend trotz des vorangegangenen 4:2-Siegs gegen Dänemark: "Ich bin weiter fürs 4-3-3."

Dass van Gaal am 3-4-3 (respektive 3-5-2) die Chance zum breiteren Pressing unter gleichzeitiger Verdichtung des Zentrums gefällt, hatte er bereits im vergangenen Herbst deutlich gemacht, als er Thomas Tuchels Fußball beim FC Chelsea über den grünen Klee lobte.

Bei seinem dritten Versuch als Nationaltrainer ist van Gaal bereit, ins Risiko zu gehen

Nach der enttäuschenden Europameisterschaft der Niederländer unter dem Trainer Frank de Boer (Achtelfinal-Aus gegen Tschechien) im vergangenen Sommer hat van Gaal zum dritten Mal das Amt des Bondscoachs übernommen und die Niederlande im klassischen 4-3-3 zunächst zu fünf Siegen in sieben Spielen ohne Niederlage geführt. Jetzt aber will er sein Nationalteam so richtig fit machen für die Weltmeisterschaft im Dezember in Katar und ist offenbar bereit, mit dem nicht kollektiv akzeptierten neuen System ein gewisses Risiko einzugehen.

Von den fünf Spielern seiner Abwehrkette jüngst gegen Dänemark spielen drei dieses System nicht in ihrem Heimatklub: Virgil van Dijk in Liverpool, Nathan Aké bei Manchester City und Linksaußen Daley Blind bei Ajax Amsterdam. Dort wird überall eine Viererkette praktiziert. Für die beiden Italien-Legionäre Matthijs de Ligt bei Juventus Turin und Rechtsaußen Denzel Dumfries bei Inter Mailand hingegen ist die Dreierkette Alltag.

SZ PlusStandards der Nationalmannschaft
:Alles einstudiert beim DFB

Unter Hansi Flick vertraut die Nationalmannschaft wieder auf die guten alten Ecken und Freistöße. Trainiert werden die Standards aber mit modernsten Methoden - von einem bisher wenig bekannten Spezialtrainer.

Von Christof Kneer

Einer, der aus seinem Klub beide Systeme kennt und dem Nationaltrainer van Gaal als versierter Passgeber sowie Spieleröffner gilt, ist der Torwart Mark Flekken vom SC Freiburg. Der 28-Jährige, der bereits mit 16 Jahren nach Deutschland wechselte und seither auch schon für Alemannia Aachen, Greuther Fürth und den MSV Duisburg gespielt hat, feierte am Samstag sein spätes Debüt im Nationalteam.

"Mark Flekken eignet sich hervorragend, hinter einer Dreierkette zu spielen", sagt van Gaal, weil dieser Torwart mitspielen kann und jene Fähigkeiten im Fuße trägt, die ihn zu einem sogenannten Tor-Spieler machen. Manch progressiven niederländischen Fußball-Analysten hat dies dazu veranlasst, die neue taktische Struktur der Nationalelf als 1-3-4-3 zu bezeichnen.

Es soll Niederländer geben, die sich am "deutschen Blut" in der Nationalhymne stören. Van Gaal nicht. "Ich bin nach dem Krieg geboren", sagt er, "ich finde, die Deutschen sind sehr freundliche Menschen; ich habe da gewohnt, ich kann das beurteilen." Ein Kompliment auch für Thomas Müller. Nur mit ihm gibt es an diesem Dienstagabend in Amsterdam ein Wiedersehen. Müller ist der letzte aktive Nationalspieler, der beim FC Bayern noch unter van Gaal gespielt hat. "Er ist ein offensiver Spieler mit defensivem Denken", lobt ihn van Gaal. "Er ist für jeden Trainer ein perfekter Spieler."

Für van Gaal endet die dritte Episode als Bondscoach nach der WM. Er würde sie gerne mit dem Titel garnieren. Als Nachfolger gilt Ronald Koeman. Er war bereits von 2018 bis 2020 Nationaltrainer, wechselte dann zum FC Barcelona, wurde dort Ende Oktober entlassen - und ist jetzt wieder frei. Van Gaal empfiehlt ihn dringend. Das genügt als Referenz.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Freiburgs Torwart Mark Flekken
:Mit den Füßen von Edwin van der Sar

Zu Freiburgs Hoffnungsträgern im DFB-Pokal zählt der Torwart Mark Flekken. In Deutschland fliegt er immer noch unter dem Radar - in den Niederlanden hat ihn Trainer Louis van Gaal bereits in die Nationalmannschaft berufen.

Von Ron Ulrich

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: