Eishockey-Torwart Philipp Grubauer:Ein bayerischer Baum steht dem Titelverteidiger im Weg

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Der Älteste in der Runde deutscher NHL-Profis: Torhüter Philipp Grubauer (Seattle Kraken) gewann 2018 mit den Washington Capitals den Stanley Cup. (Foto: Ron Chenoy/USA TODAY Sports via Reuters Con)

Seattle Kraken wirft in der ersten Playoff-Runde der NHL Titelverteidiger Colorado Avalanche raus - wegen des bayerischen Torwarts Philipp Grubauer, der auch in der größten Hektik völlig gelassen bleibt.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

"Ich bin fix und fertig!" Das waren die ersten Worte von Philipp Grubauer, als er vom Eis kam; und wer wollte es dem deutschen Torwart von Seattle Kraken verübeln, dass er nach Luft japste und sich entschuldigte, dass ihm nach dieser so intensiven Partie ein paar englische Wörter nicht mehr einfielen? Seine Mannschaft hatte soeben die entscheidende siebte Partie in der ersten Playoff-Runde der nordamerikanischen Eishockeyliga NHL gegen Titelverteidiger Colorado Avalanche gewonnen, und es wäre eine gewaltige Untertreibung, würde man behaupten, dass Grubauer daran maßgeblich beteiligt war. Präzisere Beschreibung: Er war der bayerische Baum, der sich nicht daran störte, dass sich die Avalanche-Spieler an ihm rieben - insgesamt wehrte er in der Serie 213 Schüsse ab, seine Fangquote in dieser letzten Partie: 97,1 Prozent.

Als dieses Spiel am Ende hektisch wurde - Colorado bekam im Schlussdrittel den vermeintlichen Ausgleichstreffer aberkannt - da war der gebürtige Rosenheimer der Fels inmitten mehrerer Lawinen (Achtung, Übersetzungswortspiel mit dem Colorado-Team-Spitznamen Avalanche), die da auf ihn zurollten. Er nervte den hochfavorisierten Gegner nicht nur mit Glanzparaden, sondern vor allem mit einer Ruhe, die nur Bayern so gelassen und selbstbewusst hinkriegen.

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Es hilft immer, wenn jemand so eine famose Leistung wie die von Grubauer erklären kann, der so was selbst erlebt hat. Im amerikanischen TV übernahm das Torwart-Legende Henrik Lundqvist, 20 Jahre bei den New York Rangers zwischen den Pfosten. Er zog sich extra Schoner und Handschuhe an, um den Leuten zu zeigen, was Grubauer einzigartig macht. Also, erstens: "Er steht nicht mit X-Beinen da wie die meisten Torhüter, sondern nimmt die Beine zusammen - dadurch kann er explosiver auf beide Seiten gleiten." Grubauer lasse mit dieser Stellung Lücken auf den Seiten, Lundqvist sagt dazu: "Die Lücken werden noch größer, weil er die Hände sehr nah am Körper hat." Klingt gefährlich und intuitiv falsch; Grubauer tue beides allerdings bewusst, weil er dadurch zum einen schneller reagieren könne, zum anderen nach Fehlschuss oder Abwehr seinerseits weder in schlechter Position noch ohne Balance sei. Er könne somit mehrere Schüsse nacheinander abwehren.

Was es für diese Strategie braucht laut Lundqvist: "Gelassenheit, Geduld und die Gewissheit, dass man das kann." Also nicht erzwingen, sondern den eigenen besonderen Fähigkeiten vertrauen. Man mag es dem Schweden nachsehen, dass er nicht weiß, was ein bayerischer Baum ist; Lundqvist nannte Grubauer "Square", also einen Block; und er nannte ihn auch "Rock", also einen Felsen in der Brandung. Grubauer nannte sich "jemanden, der wie alle im Team ohne Rücksicht auf persönliche Statistik das tut, was die Mannschaft braucht".

Die Bruins scheitern überraschend an den Florida Panthers

Seattle hat somit den Titelverteidiger aus den Playoffs befördert, eine gewaltige Überraschung, weil Colorado in der Western Conference wieder favorisiert gewesen ist. Diese Rolle dürften nun die Edmonton Oilers von Leon Draisaitl innehaben, die am Samstag die packende Serie gegen die Los Angeles Kings gewannen; Draisaitl hat in sechs Spielen sieben Treffer und vier Zuspiele geschafft. Im Viertelfinale von Mittwoch an geht es gegen die Vegas Golden Knights.

Der Seattle-Triumph war indes nicht die größte Überraschung des Wochenendes oder der ersten Playoff-Runde: Die Florida Panthers gewannen die entscheidende siebte Partie bei den Boston Bruins 4:3 nach Verlängerung, nachdem sie weniger als eine Minute vor Ablauf der regulären Spielzeit ausgeglichen hatten. Die Bruins hatten in der regulären Saison nicht nur die meisten Siege (65) und Punkte (135) der Liga geschafft - sondern der NHL-Geschichte. Aber es ist wie bei den Golden State Warriors 2016, den Basketballern mit der Rekord-Bilanz von 73:9-Spielen: Was nützt einem so ein Rekord, wenn man keinen Titel holt? "Ich kann nicht beschreiben, wie sich das gerade anfühlt", sagte Bruins-Trainer Jim Montgomery: "Enttäuschung und Ratlosigkeit."

Die Stanley-Cup-Playoffs ziehen ihre Faszination daraus, dass es bisweilen drunter und drüber geht - da hilft es, wenn jemand zwischen den Pfosten steht, der die Tugenden Gelassenheit und Geduld auf sich vereint und dazu die Gewissheit ausstrahlt, dass er es kann. "Ach, viele Leute hatten uns doch schon zu Beginn der Saison abgeschrieben", sagte Grubauer über den ersten Sieg in einer Playoff-Serie in der erst zweijährigen Geschichte der Kraken: "Wir sind daran gemeinsam gewachsen, es hat uns stärker werden lassen." Seattle trifft in der zweiten Runde von Dienstag an auf die Dallas Stars; deren Stürmer Roope Hintz führt die Playoff-Scorer-Liste mit zwölf Punkten (fünf Tore, sieben Vorlagen) vor Leon Draisaitl an. Grubauer sagte dazu nur: "Weiter geht's - let's go!"

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