Leon Draisaitl in den NHL-Playoffs:Der stille Anführer sagt, wo's langgeht

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Jungs, wir müssen nur zusammenhalten: Leon Draisaitl, in der Mitte zwischen Stuart Skinner (links) und Brett Kulak, war der zentrale Akteur beim 4:2-Erfolg der Edmonton Oilers im zweiten Spiel der Serie gegen die LA Kings. (Foto: Jason Franson/AP)

Die Edmonton Oilers gleichen in der Playoff-Serie gegen die provokanten Los Angeles Kings aus - weil der deutsche Eishockeyprofi Leon Draisaitl seine Mitspieler in Wort und Tat mitreißt.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Die Leute in der Arena von Edmonton kreischten, obwohl ihre Oilers gar keinen Treffer erzielt hatten. Das sollte erst eine Minute später passieren, als Leon Draisaitl ein Zuspiel von Connor McDavid ins Tor hämmerte. Nun stehen Kanadier nicht im Ruf, mit prophetischen Gaben gesegnet zu sein, doch die brauchte es jetzt gar nicht: Die Leute jubelten, weil eine Strafzeit gegen die Los Angeles Kings angezeigt wurde - und die Oilers in dieser Saison den besten Powerplay-Wert seit 46 Jahren haben. Und eine Strafzeit für die Gegner bedeutet in Edmonton eben auch: Draisaitl und McDavid, die beiden besten Angreifer der nordamerikanischen Eishockeyliga NHL, werden gemeinsam auf dem Eis sein, was wiederum eine Garantie für Tore bedeutet.

Es war das 2:0 in der zweiten Partie der ersten Playoff-Runde zwischen Oilers und Kings; doch war Draisaitl nach diesem Treffer (den ersten hatte er vorbereitet) gar nicht zufrieden. Beinahe wütend fuhr er zur Bank und ermahnte seine Kollegen, jetzt bitteschön nicht nachzulassen gegen die Kings, den derzeit wohl unbequemsten Gegner in der NHL. Die Oilers hatten nämlich auch in der ersten Partie 2:0 geführt - und sie 3:4 nach Verlängerung verloren. "Cleverer und erwachsener" müsse man sein, hatte Draisaitl danach gemotzt.

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Ein 0:2-Rückstand in dieser Best-of-seven-Serie, gegen diese Kings, vor zwei Auswärtsspielen in Los Angeles, das wäre verheerend gewesen für die Oilers, die in dieser Saison endlich, nach 33 Jahren Durststrecke und im achten Jahr der Ära McDavid/Draisaitl, den Stanley Cup gewinnen wollen.

Es passierte nämlich, wovor Draisaitl gewarnt hatte: Wie in der ersten Partie glichen die Kings aus, scheinbar irgendwie und aus dem Nichts - doch diesmal rissen sich die Oilers zusammen und siegten durch zwei Treffer im Schlussdrittel mit 4:2; den letzten bereitete wieder Draisaitl vor. "Wir sind diesmal ruhig geblieben, so wie es unsere Anführer gefordert haben", sagte Angreifer Zach Hyman nach der Partie: "Die Botschaft: immer selbstbewusst bleiben, weil das gegen die nun mal immer passieren kann."

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Die Kings sind in Edmonton beliebt wie Fußpilz, seit sie den legendären Wayne Gretzky 1988 nach LA gelotst hatten. Die Oilers gewannen zwei Jahre später letztmals den Stanley Cup, ihre große Ära mit fünf Titeln in sieben Jahren war vorbei, und Gretzky sagt in der Doku "King's Ransom" selbst, dass es noch viele, viele, viele Titel mehr gewesen wären, wäre er geblieben. Aktuell sind die Kings unbeliebt in Edmonton, weil sie mit ihrer Spielweise einfach nur kolossal nerven.

Die komplette Spielzeit über agiert das Team des vormaligen Oilers-Trainers Todd McLellan wie jemand, der in einer Kneipe unbedingt eine Schlägerei anzetteln will - und sich zu Beginn der Prügelei unbemerkt hinter die Bar schleicht und sich dort genüsslich Freibier zapft. Aktuelles Beispiel: die erste Partie. Die Oilers dominierten, die Kings rempelten hier und stichelten dort, erzielten im Schlussdrittel drei Treffer, darunter den hineingestocherten Ausgleich 17 Sekunden vor dem Ende. In der Verlängerung provozierten sie dann eine Strafzeit der Oilers, und die nutzten sie eiskalt mit einer schönen Direktpass-Kombination hinter dem Tor. Noch aktuelleres Beispiel: die zweite Partie, als die Kings im zweiten Drittel Hektik erzeugten und daraus zwei Treffer ins Oilers-Tor wurstelten. Es wirkt zufällig. Wer aber hin und wieder beim Training der Kings zusieht, weiß: Die planen das genau so.

"Du musst geduldig sein gegen die Kings", sagte Draisaitl vor Beginn der Serie zur SZ: "Die sind defensiv eingestellt, erzielen aber dennoch viele Tore - das macht sie so gefährlich. Du darfst nicht in diese Falle reinlaufen, gleich zu viel zu wollen und hastig zu werden, wenn mal lange kein Tor fällt. Und du musst gegen sie 60 Minuten lang hellwach sein und darfst nie nachlassen." Genau deshalb war es ihm während der zweiten Partie so wichtig, die Kollegen zu ermahnen.

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Es ist erstaunlich, dass Draisaitl gerade der Wortführer auf der Bank der Oilers ist und nicht McDavid. Auf der anderen Seite: Draisaitl hat in diesen beiden Playoff-Spielen bereits drei Treffer erzielt und zwei vorbereitet. Für die mittlerweile 61 Playoff-Scorerpunkte seiner Karriere brauchte er gerade einmal 38 Spiele - schneller waren in der NHL-Geschichte lediglich Gretzky (26) und Mario Lemieux (34), zwei Säulenheilige der Liga.

"Wir sind sehr eng befreundet, wir spielen gerne zusammen", sagt Draisaitl über die Beziehung zu McDavid - und betont, dass beide vom Naturell her nicht zu den großen Wortführern gehören, sondern lieber Tatführer sind: "Wir gehen lieber mit gutem Beispiel voran, ob beim Training, in der Kabine oder bei Spielen."

Also: Wenn sich die beiden besten Eishockeyspieler der Welt nicht zu schade sind für Rangeleien mit den Kings, wenn sie sich reinhauen und dennoch in entscheidenden Momenten treffen: Wer würde es wagen, nicht mitzuziehen? Und, natürlich, wenn einer wie Draisaitl dann doch mal seinen Mund aufmacht, bei 2:0-Führung - welcher Mitspieler würde da schludrig werden? Wie der Typ in der Kneipe, der seine Kumpels vor einer Dummheit bewahrt - weil sie wissen, dass ihr Anführer sie zur Not raushaut, sie ihm aber am besten helfen können, wenn sie keinen Blödsinn treiben.

Die Oilers haben gleich zwei dieser Typen, und nur so viel: McDavid hat noch nicht getroffen in dieser Best-of-seven-Serie. Drei Spiele ohne Tor nacheinander, das kommt nicht oft vor bei ihm; in mehr als 80 Spielen in dieser Saison nur vier Mal. Die Fans in Edmonton können rein statistisch also schon mal jubeln: Bis zum nächsten Tor kann es nicht mehr lange dauern.

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