Neapel gegen Juve in der Serie A:Finalissima im Winter

Lesezeit: 4 min

Juve-Trainer Massimiliano Allegri mit seinem Spieler Leandro Paredes: Die Turiner stehen vor einem großen Duell mit Napoli an diesem Freitagabend. (Foto: Isabella Bonotto/AFP)

Seit 33 Jahren, seit Maradona also, warten die Neapolitaner auf den dritten Meistertitel. Nun empfängt Napoli den Rivalen Juventus zum Schicksalsspiel Süd gegen Nord. Mit dabei: zwei Toskaner auf der Trainerbank und ein "Kvaradona".

Von Oliver Meiler, Rom

Das Gerede von der Finalissima ist natürlich heillos übertrieben. Oder etwa nicht? Im "Stadio Diego Armando Maradona" von Neapel, dem früheren "San Paolo", draußen in Fuorigrotta, tragen Napoli und Juventus an diesem Freitagabend ein schon ziemlich entscheidendes Spiel aus, ein Wegscheidespiel sozusagen. Und da in dieser Begegnung auch immer Italien mitverhandelt wird, Süden gegen Norden, späte Bourbonen gegen späte Savoyer, ist wieder alles drin, das volle Maß an Drama und Hype.

So viel vorweg: Gewänne Neapel, der schönste italienische Wintermeister seit geraumer Zeit, ein perfekt intoniertes Ensemble aus spiellustigen und noch recht namenlosen Choristen, dann würde es wahrscheinlich schon eine Finalissima gewesen sein.

Gewalt von Fußballfans in Italien
:Im Stau prügeln sich die Ultras

Anhänger von Napoli und der Roma liefern sich mitten im Rückreiseverkehr aus den Weihnachtsferien eine Straßenschlacht auf der Autobahn. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, aber Medien und Experten werfen den Behörden Heuchelei vor.

Von Oliver Meiler

Sieben Punkte liegen zwischen Napoli und Juve, das sich den zweiten Tabellenplatz in der Serie A gerade mit Milan teilt. Mit einem Sieg der Süditaliener wären es zehn. Und wenn den Turinern in ihrer Vereinsgeschichte auch memorable Aufholjagden gelungen sind, so ist diesmal vielleicht doch alles ein bisschen anders.

Verliert Neapel gegen Juve, ist die Magie wahrscheinlich weg

Seit 33 Jahren warten die Neapolitaner auf ihren dritten Meistertitel, seit Maradona eben. Und selten schienen die Aussichten so gut zu sein wie in dieser Saison, da die Rivalen aus Turin, Mailand und Rom allesamt unstet sind, ach was: dramatisch unterlegen in Spiel und Konstanz. Bislang wenigstens. Aber es ist noch eine Weile Winter, dann kommt der Frühling, der frühe Sommer. Verlöre Napoli gegen Juve, wäre der große Vorsprung fürs Erste dahin, dann zerbräche vielleicht auch die Magie, dann könnte das Momentum ganz plötzlich verwehen. Ist Neapel nicht oft eingebrochen in der Rückrunde?

Also doch: Finalissima!

Im großen Duell gibt es auch ein kleineres, ein philosophisches zwischen den Trainern: von zwei Herrschaften mit je sehr unterschiedlichen Spielideologien, beide aus der Toskana, der geografischen Schnittstelle zwischen Süd und Nord, Herkunftsstätte vieler italienischer Fußballlehrer. Luciano Spalletti, der Coach von Napoli, 63 Jahre alt, kommt aus Certaldo, einer Kleinstadt im Landesinneren zwischen Siena und Florenz; Massimiliano Allegri, 55, fünf Mal Meister mit Juve, kommt aus der Hafenstadt Livorno.

Er ist der Zampano bei Napoli: Trainer Luciano Spalletti, der eigentlich aus der Toskana stammt. (Foto: Jennifer Lorenzini/Reuters)

Luftlinie: vielleicht sechzig Kilometer. Dazwischen: tausend toskanische Hügel. Es trennen sie Welten. Beide waren Mittelfeldspieler in ihrer Aktivzeit, keine sehr erinnerungswürdigen Profis. Spalletti, ein Wasserträger im Mittelfeld, blieb in der Serie C hängen, der dritten italienischen Liga. Allegri, ein Spielgestalter, brachte es bis in die Serie A, Spuren hinterließ er da aber keine. Einmal sagte er in seiner unnachahmlich dürren Art: "Ich war ein mediokrer Spieler."

Spannend ist dieser Rückblick auf ihre Aktivzeit nur, weil die Spieler, die sie waren, so gar nicht zu den Trainern passen wollen, die sie geworden sind.

Der Ästhet auf dem Traktor: Wie Luciano Spalletti sein Napoli intoniert hat

Spalletti hat ziemlich viel Sinn für Ästhetik, fast schon manieriert wirkt das manchmal. Seine Mannschaften spielen choral und rund und trotzdem vertikal, mit Überfallspielern in der Spitze, die dort eigentlich nichts zu suchen haben: die "incursori" aus dem Mittelfeld und der Abwehr. Spalletti kokettiert damit, dass er vom Land kommt und gerne auf dem Traktor sitzt, er besitzt einen Hof in Certaldo, ein Weingut. Aber sein Fußball ist modern und geradezu urban. Gibt man ihm genügend Zeit, verpasst Spalletti jeder Mannschaft seine Matrix.

Im vergangenen Sommer zwang ihm sein Boss, Vereinspräsident Aurelio De Laurentiis, eine Sparkur auf. Reihenweise Bekanntheiten gingen: Lorenzo Insigne, Dries "Ciro" Mertens, Kalidou Koulibaly, Fabian Ruiz. Es kamen Leute, von denen man davor wenig gehört hatte: der Südkoreaner Kim Min-jae, der 21-jährige Georgier Khvicha Kvaratskhelia, Giovanni Simeone, der Sohn von Diego Simeone. Okay, man leistete sich für 30 Millionen Euro den jungen Nationalstürmer Giacomo Raspadori. Aber insgesamt war das ein Downgrading. Es hieß, so wird das nie mehr etwas werden.

Doch Spalletti gelang es, aus einem höchstens durchschnittlich bemittelten Personal ein selbstbewusstes Team zu komponieren. Spieler, von denen niemand mehr viel erwartet hatte, feiern Triumphe über die Prognostiker. Mario Rui, Juan Jesus, Stanislaw Lobotka? Wird man bald kennen. Dieser Kim? Hat Koulibaly vergessen lassen. Und klar, dann ist da noch das "genietto", das kleine Genie aus Georgien mit dem unaussprechbaren Namen, das an guten Tagen zu unerhörten und wohl auch ungesunden Vergleichen verleitet: Kvaradona! Spalletti schützt ihn vor den Hochjublern, wenn es mal nicht so rund läuft wie zuletzt. Aber was für eine Wonne.

Allegri ist ganz anders. Als Spieler war er eine 10, als Trainer aber gibt er mit viel Lust den Maurer und Zyniker. Ästhetik hält er für eine dramatisch überbewertete Kategorie.

Serie A
:Juventus-Vorstand um Agnelli und Nedved tritt zurück

Überraschung in Turin: Die gesamte Juve-Führungsriege hat ihre Posten niedergelegt. Geschäftsführer Arrivabene wird noch im Amt bleiben, bis ein neuer Vorstand übernimmt.

Es ist noch nicht lange her, da wünschten sich die Juventini den Trainer weg. Allegri hätte nie zurückgeholt werden sollen, hörte man, Rückkehrer servierten meistens nur Aufgewärmtes, selten Gourmet. Juves Spiel passte dann auch perfekt zum Desaster in der Vereinsleitung, zu den vielen Wirren mit der Justiz wegen der "Plusvalenze". Der Tricksereien auf dem Transfermarkt und der Schönung in der Buchhaltung, die nun bald in einem Strafprozess verhandelt werden. Alles sehr hässlich. Im Herbst war Juventus Achter, eine Katastrophe. Aus der Champions League flog man auch wieder früh, von wegen Super League. Das üppig gepolsterte Selbstverständnis, es lag am Boden.

Nun ist man plötzlich zurück, wenigstens sportlich. Acht Siege hintereinander. Kein einziges Gegentor. Überhaupt hat Juve in dieser Saison erst sieben Tore kassiert, so wenige wie kein anderer Verein in den großen Ligen Europas. Zwölf Mal spielten die Turiner schon zu null. Und, jetzt kommt's: Im aktuellen Lauf gab es fünf 1:0. Oftmals fiel das eine Tor kurz vor Schluss, selten sehr verdient in der Summe. Mehr "Allegrismus" geht gar nicht. 1:0 ist sein Traumresultat, die Quintessenz seiner Philosophie, alte italienische Schule.

Hier muss nun kurz von Pferdesport und vom Begriff "corto muso" die Rede sein - wörtlich: kurze Schnauze. In Pferderennen kommt es ja mal vor, dass ein Pferd in allerletzter Sekunde und ganz knapp noch am Leader vorbeizieht, um eine Schnauzlänge eben. Allegri ist ein Pferdefreund, er besitzt selbst welche, Vollblüter. Er soll in Livorno schon oft auf der Rennbahn gesehen worden sein. Und so brauchen die italienischen Zeitungen nun die Metapher als ständige Illustration für Juves Verfassung. Als Siegstrategie ist "corto muso" allerdings eine riskante Sache. Mal steht zum Schluss dann noch ein Pfosten im Weg, mal ein gegnerisches Bein. Oft ist es einfach Dusel.

Das "Maradona" wird zum ersten Mal in dieser Saison voll sein, 60 000 Zuschauer sollen kommen. Nun ja, es ist halt eine Finalissima.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

MeinungItaliens neuer Meister
:Modell Zlatan statt Modell Berlusconi

Der AC Mailand ist italienischer Meister, aber anders als früher: mit Nachhaltigkeit und Sinn fürs Kollektiv. Und mit dem Vorpensionär Ibrahimovic als Männermacher.

Kommentar von Oliver Meiler

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: