Nun sind wieder alle empört, natürlich vor allem die Politiker, die sind immer die Ersten. Italien wird sich einmal mehr gewahr, zum tausendsten Mal, dass es ein Problem mit seinen Ultras hat, den harten und organisierten, oft neofaschistischen und kriminellen Fußballfans. Aber ob es diesmal etwas bringt, nach dem Wahnsinn auf der Autostrada del Sole?
A 1, früher Sonntagnachmittag. Viele Fans aus dem Süden sind unterwegs in den Norden. Die Neapolitaner sind früh losgefahren. Ihr Napoli, Tabellenführer der Serie A, spielt um 18 Uhr in Genua gegen Sampdoria, es ist ein weiter Weg, sieben Stunden. Etwas später fahren die Romanisti los. Ihre Roma spielt erst um 20.45 Uhr in Mailand gegen Milan, sie haben es weniger weit, 570 Kilometer. Sie könnten auch mit dem Zug fahren, Italien hat gute, schnelle, pünktliche Züge. Aber die Ultras fahren lieber mit dem Auto und kleinen Vans. Das ist am Ende billiger, und vor allem: Kontrollen sind schwieriger.
Nachruf auf Gianluca Vialli:Italiens goldener Stürmer
Das Land trauert um Gianluca Vialli, Held der Sampdoria, der auch im Leid viel lachte - und damit einen besonderen Anteil am EM-Titel der Italiener 2021 hatte.
Um 13 Uhr fahren plötzlich und wie auf Kommando viele Autos und Busse mit neapolitanischen Nummernschildern raus bei der Raststätte Badia al Pino, im toskanischen Val di Chiana. Eine ganze Kohorte, 350 Ultras. Die Polizei weiß um die Gefahren an diesem Sonntag. Weil die rivalisierenden Hooligans von Roma und Napoli sich an diesem Spieltag fast gleichzeitig verschieben, hat sie ihre Präsenz in allen Autobahnraststätten verstärkt, für alle Fälle. Der Autogrill von Badia al Pino ist ein spezieller Ort, dort starb 2007 Gabriele "Gabbo" Sandri, ein Fan von Lazio Rom. Er stritt sich mit einigen Juventini. Ein Polizist schoss und tötete Sandri. Sein Name prangt seither auf den Mauern Roms, als wäre er ein Märtyrer. Ultras nennen die Raststätte "Stazione Sandri".
350 Ultras von Napoli steigen also aus ihren Vans und Autos: schwarz gekleidet, vermummt, mit Stöcken und Petarden. Die Polizei sperrt die Zufahrt zur Raststätte, es wirkt alles geplant. Nur kurz darauf passieren die ersten Fans der Roma die Stelle, und weil die Zufahrt zu ist, parken sie ihre Autos auf dem Pannenstreifen, parallel zur Raststätte. Sie werden beworfen mit Steinen und Sprengkörpern, da ist die A 1 bei Arezzo noch offen. Die Gegenstände fliegen auf die Fahrbahn. Es ist viel Volk auf der Straße, der Weihnachtsurlaub endet, viele Familien mit Kindern sind auf dem Heimweg. Es sind Momente der Panik. "Wilder Westen der Ultras", wird La Stampa schreiben. Der Wahnsinn mit Ansage.
Die Polizei sperrt die Autobahn, weil Fans aufeinander losgehen
Die Polizei beschließt, die Autobahn zu sperren. Bald staut sich der Verkehr Richtung Norden auf 13 Kilometern, Italien ist blockiert. Nun prügeln sich die Ultras auf der Autobahn, schlagen mit Stöcken aufeinander ein, drücken einander gegen die Leitplanke, und über allem liegt der Rauch der Petarden. Man kann sich die Videos im Netz anschauen, jeder mit einem Handy filmte mit. Ein Wunder, dass es nur einen leicht Verletzten gab.
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Haben sich die Ultras verabredet in Badia al Pino? Oder gerieten die Römer in einen Hinterhalt der Neapolitaner? Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Die meisten Teilnehmer sind identifiziert worden, durften dann aber weiterreisen nach Genua und Mailand.
Es gab tatsächlich einmal eine Zeit, da waren die Anhängerschaften von Napoli und Roma verbrüdert, bis Mitte der 1980er-Jahre war das so: Man teilte den Hass auf die mächtigen Vereine aus Mailand und Turin - Süden gegen Norden. Doch als dann Napoli Diego Armando Maradona zu sich holte und auch Titel gewann, wuchs sich die Rivalität in diesem "Derby der Sonne" zum tragisch trüben Dauerkonflikt aus. In Chören wünschen etwa die Römer den Neapolitanern ein Bad im Feuer des Vesuvs. Die Sportjustiz erfand für solche Gesänge einen neuen Tatbestand: "Territoriale Diskriminierung", Rassismus unter Italienern.
2014 geschah dann etwas Irreparables: Der römische Ultra Daniele De Santis tötete mit fünf Schüssen einen Fan von Napoli, Ciro Esposito, 31 Jahre alt. Der war für das Pokalfinale gegen Fiorentina nach Rom gereist und geriet in eine Straßenschlacht, zufällig. Seither ist immer Alarm. Espositos Mutter wird nun nach dem Vorfall von Badia al Pino wieder interviewt von den Medien und sagt: "Ich bin müde, Appelle zu lancieren, seit neun Jahren mache ich das, und es bringt nichts, den Institutionen ist es egal."
Nur die Empörung ist immer groß. Der Sportminister sagt, diese Ultras seien "Kriminelle". Rechtspolitiker und Transportminister Matteo Salvini findet, die Ultras müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Sehr glaubwürdig wirkt Salvini nicht, er zeigte sich auch schon gerne in Gesellschaft mit einem vorbestraften Boss aus der Kurve seines Lieblingsvereins Milan. Es gibt nun wieder Forderungen nach hartem Durchgreifen, nach Stadionsperren auf Lebenszeit, nach sicheren Strafen. La Repubblica schreibt, das sei "Heuchelei". "Von den schlimmsten Ultras kennt man die Namen, Nachnamen und Wohnadressen." Doch der Staat schaue weg, viel zu lange schon. "Für die Ultras ist der Calcio ein Ventil für ihre Brutalität, und viel zu oft kommen sie ungestraft davon."