Basketball-Rekorde in der NBA:Eine Liga hat Schnappatmung

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Luka Doncic hat anders als Nowitzki noch keine Statue in Dallas stehen - aber wenn er so weitermacht, dürfte sich das eines Tages ändern. (Foto: LM Otero/AP)

60 Punkte, 55 Punkte, 71 Punkte: Spieler wie Luka Doncic oder Donovan Mitchell sorgen im US-Basketball für eine nie da gewesene Fülle an Scoring-Rekorden - die Gründe dafür sind vielfältig.

Von Jonas Beckenkamp

Wenn es im Basketball einen Experten für besondere Zuspitzungen gibt, dann ist es Svetislav Pesic. Der alte Trainerfuchs, einst Europameister mit Deutschland und Weltmeister mit Jugoslawien, wunderte sich schon vor einigen Jahren über das Spiel in den USA. "Jeden Morgen siehst du die NBA-Ergebnisse, und es steht 129:119 oder 122:120. Jeder feiert das und ist glücklich", polterte er nach einer Euroleague-Partie.

Ihm selbst erwärme sich bei derart hohen Punkteausbeuten ausdrücklich nicht das Herz - solche Auswüchse ließen laut Pesic, heute 73, nur einen Schluss zu: "Das ist kein richtiger Basketball." Was richtig oder falsch ist, darüber eröffnen sich neben den Parketten der Welt vortreffliche Debattenklubs. Manche schätzen eben mehr das Spektakel in Amerika, andere eher den puristischen Euro-Basketball. Fest steht indes: Was derzeit in der nordamerikanischen Profiliga vor sich geht, würde Pesic gar nicht gefallen.

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Ein paar Beispiele aus der vergangenen Woche, als das Rekordfestival in der NBA ein neues Level erreichte: Luka Doncic, der Zauberschütze aus Dallas, erzielte gegen die New York Knicks 60 Punkte und wischte damit Dirk Nowitzkis Bestmarke von 53 Zählern bei den Mavericks aus den Büchern. Klay Thompson von den Golden State Warriors schenkte den Hawks 54 Punkte ein, darunter sagenhafte zehn Dreier.

Giannis Antetokounmpo von den Milwaukee Bucks spielte mit den Wizards derart Jo-Jo, dass viele seiner Körbe wie aus einem 90er-Jahre-Videospiel wirkten: Dunks am Fließband, 55 Punkte, Karriere-Bestwert. Und schließlich erstaunte Donovan Mitchell von den Cleveland Cavaliers mit einem 71-Punkte-Rausch gegen die Chicago Bulls. Er kratzte damit sogar an jenen 81 Punkten von Kobe Bryant gegen die Raptors aus dem Jahr 2006, und unweigerlich dachten viele an den 100-Punkte-Surrealismus von Wilt Chamberlain gegen die Knicks (1962).

Donovan Mitchell lief gegen die Knicks auch nach 50 Minuten Spielzeit noch wie verrückt übers Feld - dann beim Feiern. (Foto: Ken Blaze/USA Today Sports)

Die NBA bietet diese Erdrutschmomente fast jeden Abend, allein 14 Mal übertraf diese Saison bereits ein Akteur die 50-Punkte-Marke - und das nach nicht einmal der Hälfte der Spielzeit. Gab es zwar alles schon mal Anfang der Sechzigerjahre, aber das waren jene Zeiten, als mit Chamberlain der erste echte Basketballriese den Betrieb dominierte - er war schlicht zwei Köpfe größer als der Rest. Mit einem Anfall von Größenwahn geht die Liga nun wieder ins neue Jahr. Oder soll man sagen: mit Dauer-Schnappatmung? Highlight-Videos wabern durchs Netz, flankiert von fast schon grotesken Statistiken, mit denen sich das Produkt bestens vermarkten lässt. Das Problem ist nur: Wenn alles historisch ist, was sind Rekorde dann noch wert?

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Klay Thompson trifft in der NBA zehn Dreier, Donovan Mitchell erzielt 71 Punkte

Wer nüchterne Ursachenforschung betreibt, landet bei Begriffen wie "Spacing" oder "offensive Effizienz". Die Raumaufteilung hat sich in den vergangenen Jahren derart verbessert, dass mittlerweile überall auf den NBA-Parketten "Feuer frei"-Bereiche entstanden sind. Auf den im Vergleich zu Europa größeren Spielfeldern nutzen Teams jeden Winkel, um das Geschehen in die Breite zu ziehen. Der Dreipunktewurf hat Hochkonjunktur, Spieler drücken heute fast doppelt so oft von draußen ab wie vor zehn Jahren. Gleichzeitig gelangen Akteure auch öfter in die Zone zum Abschluss.

Weil viele Franchises Formationen mit bis zu fünf Wurfspezialisten aufbieten können (reine Schwerstarbeiter unter den Körben gibt es kaum mehr), müssen die Verteidiger ihren Gegner bis in jede Ecke verfolgen. Ein Spieler mit einem so hohen Basketball-IQ wie Doncic kann mit Täuschungen und Dribblings leicht an seinem Bewacher vorbeiziehen und findet danach ein Bouquet an Möglichkeiten vor sich: Pass zum freien Mitspieler, Abschluss per Dreier oder ab durch die Mitte.

"Er kennt zu jedem Zeitpunkt all seine Optionen. Er kann werfen, da ist er brandgefährlich, hat aber auch Power, wenn er zum Korb geht", sagt der deutsche Dallas-Export Maxi Kleber über seinen Mitspieler bei den Mavericks. "Luka kreiert für sich selbst so viele gute Würfe, aber eben auch für Kollegen." Gute Würfe sind jene, die hochprozentige Trefferquoten versprechen. Nach ihnen streben immer mehr NBA-Teams, indem sie sich die Fähigkeiten ihrer Feingeister zunutze machen und Basketball heliozentrisch denken: Der Beste kriegt den Ball, der Rest kreist um ihn wie Planeten um die Sonne, so ergeben sich mehr Chancen auf einen vielversprechenden Spielzug. "So etwas habe ich noch nie gesehen", schwärmte Mark Cuban über Doncic nach dessen 60-Punkte-Show. Und der Mavs-Besitzer durfte immerhin 21 Jahre lang einem Nowitzki aus der ersten Reihe zuschauen.

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Doncic selbst (einst bei Real Madrid) erzählt immer wieder, dass er es in der NBA vergleichsweise einfach findet zu punkten. Ähnlich formulierte es zum Saisonstart der Grieche Antetokounmpo: "Natürlich sind die Jungs hier talentierter, aber es gibt eben viel mehr Platz, überall tun sich Löcher auf, durch die man schlüpfen kann." Die entstehen nicht zuletzt durch Lustlosigkeit in der Defensive - über das Laissez-faire während der regulären NBA-Saison wundern sich Kritiker des US-Basketballs schon lange. Wahr ist aber auch: Die Regeln erlauben anders als in den Klopperjahren der 80er und 90er kaum noch harten Körperkontakt. Wer foult, riskiert Freiwürfe oder gleich einen Feldverweis, so kasteien sich die Abwehrkräfte - zumindest bis zum Start der Playoffs.

Alles entscheidend ist aber wohl das Talent in den Angriffsreihen: Noch nie gab es eine derartige Generation an Ausnahmekönnern zur selben Zeit. Spieler wie Steph Curry, James Harden, Kevin Durant oder LeBron James sind auch in gehobenem Alter noch produktiv. Und am Ende gibt es auch ganz banale Gründe für den Punkteregen: Donovan Mitchell genoss bei seiner Gala schlicht eine Extraportion Spielzeit. Es gab einmal Verlängerung, dabei dauern NBA-Partien ohnehin schon acht Minuten länger als Spiele in Europa. Dagegen kann selbst der alte Pesic wohl keine Einwände vorbringen.

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