Deutsche Nationalmannschaft:Der Fluch der Blockbildung

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Gehörte gegen Ungarn noch zu den besseren Akteuren, war aber natürlich trotzdem nicht zufrieden: Joshua Kimmich. (Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images)

Der FC Bayern und das DFB-Team bestehen zu einem großen Teil aus denselben Spielern - und haben nun vergleichbare Probleme. Eine alte Uli-Hoeneß-Weisheit gilt plötzlich nicht mehr.

Kommentar von Philipp Selldorf

Trotz 261 Bundesligaspielen für den 1. FC Köln und Borussia Dortmund ist Karsten Baumann, 52, bisher nicht durch Taten und Worte bekannt geworden, die dem Fußball-Land den Weg gewiesen haben. Am Freitagabend aber, während des Länderspiels gegen Ungarn, verbreitete der frühere Verteidiger zwei Sätze, die die Not der Nationalmannschaft in brillanter Kürze erfassten. "Lewandowski hätte schon zwei Buden gemacht - warum hat man ihn gehen lassen?", twitterte Baumann.

In dieser ironischen Analyse wird mit künstlerischer Freiheit unterstellt, dass der FC Deutschland und der FC Bayern identisch wären, was natürlich nicht stimmt. Ein hoher Verwandtschaftsgrad der beiden Parteien ist jedoch offensichtlich. Hätten sich Manuel Neuer und Leon Goretzka nicht angesteckt, hätten am Freitagabend vermutlich sechs Münchner Spieler in der Startelf gestanden. Die ketzerische Frage lautet, ob es nicht sogar besser war, dass die beiden nicht mitspielen konnten - womöglich hätten sie für noch mehr Schaden gesorgt.

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Die Rhetorik des Bundestrainers ist auch in der Krise auf banale Weise hoch versiert. Er hat eines besser verstanden als viele seiner Trainerkollegen: Öffentliche Sätze richten sich eher nach innen als nach außen.

Von Christof Kneer

"Ein guter FC Bayern ist gut für die Nationalmannschaft", lautet zwar eine alte Uli-Hoeneß-Weisheit. Doch so gut ist der FC Bayern im Moment nicht, und das war dem Spiel der Nationalmannschaft jederzeit anzusehen, auch wenn nicht mehr als vier Münchner Spieler gleichzeitig auf dem Platz gestanden hatten und Joshua Kimmich sowie Leroy Sané zu den besseren Akteuren zählten.

Die DFB-Elf und der FC Bayern teilen jetzt auch eine Leerstelle: den fehlenden Mittelstürmer

Offensichtlich war jedoch, dass sich diesmal der Vorteil einer Blockbildung im Nationalteam zum Nachteil wendete. Das Gefüge wurde in der vertrauten Zusammenarbeit nicht stabiler, sondern brüchig. Serge Gnabry und Thomas Müller übertrugen ihre Probleme aus dem Verein in die DFB-Elf. Gnabry steckt in einem chronisch anmutenden Formtief, Müller wirkte im ungeordneten deutschen Spiel wie ein Mann, der an einem Ort mit fremden Schriftzeichen keine Orientierung findet. Der Mini-Block aus Leipzig trug zu den strukturellen Verwerfungen seinen Teil bei: David Raum und Timo Werner haben durch ihre Wechsel aus Hoffenheim und London zu RB Leipzig keine Fort-, sondern Rückschritte gemacht - offenbar in Siebenmeilenstiefeln.

Außer dem Gros an Stammspielern teilt die Nationalelf mit dem FC Bayern neuerdings auch eine gravierende Leerstelle im System. Daraus resultiert der Eindruck einer nicht nur personellen, sondern auch programmatischen Fusion, auf die Baumann jetzt anspielte. In München erfährt man gerade, wie segensreich und nutzbringend es war, den Mittelstürmer Robert Lewandowski in der Angriffsmitte zu wissen. Hansi Flick hantiert seit dem Dienstantritt vor einem Jahr im verwaisten Sturmzentrum mit verschiedenen Strategien und Kandidaten. Werner ist seine - mit Beharrlichkeit betriebene - Wunschlösung, hat sich aber allenfalls momentweise als solche bewährt. Kai Havertz kann die Position besetzen, ist aber auch nicht der Spieler mit den typischen Eigenschaften für die Rolle des Strafraumräubers.

Hansi Flick ist als Bundestrainer zwar zur Überparteilichkeit verpflichtet, aber wenn er in den nächsten sechs Wochen zum Bayern-Fan wird und ab und an auch Leipzig die Daumen drückt, dann darf man ihm das nachsehen. Es dient der Sache. Was Hoffnung macht: Bayern und Leipzig müssen vor der WM nicht mehr gegen Union Berlin antreten, das DFB-Team nicht mehr gegen den Angstgegner Ungarn - das Union-Berlin-Pendant auf Nationen-Ebene.

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