Formel 1 in Austin:Flucht ins Ziel im Mercedes-Revier

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Zu früh gefreut nach dem Start: Lewis Hamilton schiebt sich gleich zu Beginn an Max Verstappen vorbei, verliert die Führung aber später in der Box. (Foto: Mike Blake/REUTERS)

Beim Großen Preis der USA verliert Max Verstappen zunächst den Start gegen Lewis Hamilton, gewinnt aber das Rennen dank gut geplanter Boxenstopps - und baut seinen Vorsprung im Titelkampf weiter aus.

Von Anna Dreher

20 Runden waren noch zu fahren, als sich Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff per Funk bei Lewis Hamilton meldete. "Lewis", sagte der Österreicher, "wir fahren um den Sieg". Aber der siebenmalige Formel-1-Weltmeister muss per se kaum zusätzlich motiviert werden und wollte es in diesem Moment offensichtlich auch nicht: "Lass das meine Sorge sein, Junge, danke!", knarzte es. Er musste sich konzentrieren. Hamilton führte, aber der Große Preis der USA war noch lange nicht vorbei, er würde nochmals zum Reifenwechsel abbiegen müssen - und dann war da ja noch Max Verstappen im verdammt schnellen Red Bull.

Als dann schließlich keine Runde mehr zu absolvieren war, war es nicht Hamilton, der sich den Sieg holte. Vor ihm überquerte sein Titelkonkurrent die Ziellinie - und baute damit seinen Vorsprung in der WM auf zwölf Punkte aus. Dritter wurde Verstappens Teamkollege Sergio Perez. Sebastian Vettel im Aston Martin erreichte Rang Zehn, Haas-Pilot Mick Schumacher Platz 16. "Ja! Unglaublich, wir haben es geschafft, großartige Arbeit, Jungs", sagte Verstappen zu seinem Team nach seinem Erfolg, den er vor allem clever durchgeführten Boxenstopps zu verdanken hatte. "Gratulation an Max, das war so ein hartes Rennen", meinte Hamilton. "Ich habe alles gegeben."

Verstappen zeigt Hamilton im Training den Mittelfinger und nennt ihn einen "dummen Idioten"

Verstappen war am Sonntag von der Spitze weg gestartet, was überraschte - die Strecke ist eigentlich Mercedes-Revier. Seit 2014 war der Rennstall im Qualifying ungeschlagen, bei den vergangenen sechs Grand Prix in den USA stand stets ein Silberpfeil in der vordersten Parkbucht. Von den in Austin bis zu diesem Wochenende gefahrenen acht Rennen hat Hamilton fünf gewonnen, er reiste als Favorit an. Aber dann das: 0,209 Sekunden Vorsprung für Verstappen am Samstag, das brachte ihm seine neunte Pole Position in dieser Saison. Ein Boost für das Selbstvertrauen des Niederländers, ein Dämpfer für den Engländer. "Ich habe alles gegeben aber das war so ziemlich alles, was wir hatten", sagte Hamilton.

Beim Start bei 36 Grad Asphalttemperatur sah die Lage aber direkt wieder anders aus: Auf dem Weg zu der scharfen ersten Linkskurve den Berg hinauf kamen beide gut weg, Hamilton etwas besser. Verstappen versuchte, sich zu wehren, indem er seinen Konkurrenten nach außen drängte. Allein, es half nichts, im Gegenteil, wenig später kam er selbst von der Ideallinie ab, Hamilton fuhr vorbei und zog schließlich davon. Verstappens Teamkollege Sergio Perez blieb Dritter, Charles Leclerc im Ferrari Vierter.

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Bei all den Berührungen und teils spektakulären Unfällen, die sich die beiden erbitterten Titelkonkurrenten in diesem Jahr schon geliefert haben, dürften einige im Fahrerlager danach aufgeatmet haben. "Ich hoffe, wir schaffen es durch die erste Kurve", hatte selbst Hamilton gesagt, während Verstappen eher genervt war von dem Thema: "Ich sehe nicht, warum wir das immer aufbringen müssen. Es ist ja nicht so, dass wir die Einzigen sind, die sich berührt haben." Aber die Befürchtungen kamen ja auch aus aktuellem Anlass auf. Im Training am Freitag hatten sich die beiden ein Rad-an-Rad-Duell über die Start- und Zielgerade geliefert, was Verstappen den Versuch einer schnellen Runde kaputt machte. Daraufhin zeigte er Hamilton den Mittelfinger und nannte ihn einen "dummen Idioten".

140 000 Fans schauen am Sonntag auf dem Circuit of the Americas zu

Am Sonntag hatte Verstappen nach dem Start erstmal keine Möglichkeit, Hamilton gestenreiche und vielsagende Grußbotschaften zu schicken - denn der Brite fuhr vorne weg. In der siebten Runde meldete Hamilton seiner Box zwar: "Er ist schneller als ich gerade". Und Verstappen befand: "Ich habe viel mehr Geschwindigkeit", aber es brachte ihm nichts, seine Reifen heizten sich zu stark auf, in der zehnten Runde musste er sie wechseln lassen - und hatte eine Idee. Wieso nicht auch Perez an die Box holen und Hamilton so unter Druck setzen? Der Mexikaner bog in der 13. Runde ab, Mercedes reagierte.

In der 14. Runde legte auch Hamilton einen Stopp ein. Seine Mechaniker waren schnell, aber das Zeitfenster nicht groß genug. Während er auf dem Weg zurück auf die Strecke war, raste Verstappen auf der Geraden an ihm vorbei. Die Zuschauer jubelten, insgesamt 140 000 Fans schauten am Circuit of the Americas zu. Und nun war es Verstappen, der unbeirrt vorne weg fuhr, mit mehr als vier Sekunden Vorsprung auf Hamilton.

Weiter WM-Führender: Max Verstappen setzt sich in Austin gegen Titelkonkurrent Lewis Hamilton durch. (Foto: Darron Cummings/Reuters)

Doch der Abstand verringerte sich. Nach 30 Runden bog Verstappen erneut in die Box ab, einen Lauf später auch Perez. Nun war Hamilton wieder an der Spitze und die beiden Red Bull mit einem deutlichen Abstand von teils mehr als 14 Sekunden dahinter. Die Geschwindigkeit der Konkurrenz ließ nach. Mercedes wollte kein Risiko eingehen und musste sich in einem Punkt entscheiden: Lieber länger auf den alten Reifen fahren, um hintenraus frischeres Gummi zu haben? Oder lieber früher wechseln, um die durch den Boxenstopp entstehende Lücke zu Verstappen nicht zu groß werden zu lassen?

Die Entscheidung fiel auf den 38. Durchgang und der Blick ging weit nach vorne: "Es kommt auf die letzten drei Runden an", sagte Hamiltons Renningenieur Peter Bonnington, dem beim vergangenen Grand Prix in der Türkei eine prominente Rolle zugekommen war - als Hamilton nicht in die Box wollte, Bonnington ihn überzeugte und ihm so mit Platz fünf womöglich noch wichtige Punkte brachte. Zwei Wochen später in Austin gab es keine Diskussionen. Hamilton konzentrierte sich allein auf seinen Vordermann. Runde um Runde kam der Verfolger dem Gejagten näher. Letzte Runde, weniger als eine Sekunde Abstand. Doch es reichte nicht.

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