Formel-1-Piloten:Eine Frage des Alters

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Noch ein wenig gewöhnungsbedürftig, für den Fahrer und die Zuschauer: George Russell wird 2022 öfter auf dem Podium erwartet. Dann fährt der 23-Jährige nicht mehr für Williams, sondern für Mercedes. (Foto: eu-images/imago)

Selten in der Geschichte der Formel 1 hat eine junge Generation so geballt nach oben gedrängt wie aktuell. Mercedes und andere Teams wollen davon profitieren - indem sie junge und ältere Fahrer kombinieren.

Von Anna Dreher, Monza

Die Saison 2020 ist schon fast vorbei, nur noch zwei Rennen sind zu fahren, als Lewis Hamilton sich mit dem Coronavirus infiziert. Er muss sich in Isolation begeben. Eigentlich wäre nun Stoffel Vandoorne an der Reihe. Der Belgier ist der etatmäßige Ersatzfahrer des Formel-1-Teams von Mercedes. Aber beim Großen Preis von Sakhir Anfang Dezember übernimmt nicht er das Cockpit des siebenmaligen Weltmeisters. Der Blick des Rennstalls ist längst auf einen anderen gerichtet.

George Russell setzt sich statt in seinen Williams in das Auto des zehn Zentimeter kleineren Hamilton, trägt dessen Schuhe, nutzt dessen Lenkrad. In der entscheidenden Qualifikationsrunde fährt er nur um Tausendstelsekunden langsamer als Hamiltons Teamkollege Valtteri Bottas, den Russell beim Start überholt, wonach er den Grand Prix sogar gewonnen hätte, wenn es nicht zu einem Fehler beim Reifenwechsel gekommen wäre. Seht her, ich kann es! Deutlicher kann man sich kaum positionieren.

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Der Rennstall engagiert den höchst talentierten George Russell als Nachfolger von Valtteri Bottas. Der Brite wird Kollege seines Landsmanns Lewis Hamilton - und mehr als nur ein Adjutant sein.

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Fast neun Monate später erzählt Russell vor dem Großen Preis von Italien (Sonntag, 15 Uhr, Sky/RTL), seit wann er weiß, dass sein Ausflug von damals zu einem Dauerbesuch werden soll. Am Dienstag hat Mercedes bekannt gegeben, von 2022 an auf den 23 Jahre alten Briten zu setzen. Der 32-jährige Bottas wechselt zu Alfa Romeo. Damit endeten monatelange Spekulationen, an deren Stelle nun Fragen rücken, die auch andere Teams beschäftigen: Wie kann die Beziehung unterschiedlicher Generationen ausgeglichen gestaltet werden? Wenn ältere Fahrer herausgefordert werden von den jungen und diese wiederum von der Erfahrung der Routiniers lernen sollen - damit alle profitieren?

"Dass ich so viel jünger bin als er und in meiner Kart-Zeit zu ihm aufgeblickt habe, verändert die Dynamik sehr", sagt Russell

"Ich habe es in der Woche vor Spa erfahren", sagt Russell in Monza, zwei Wochen nach Spa, und prognostiziert: "Es wird keinesfalls einfach, ich mache mir keine Illusionen darüber, wie schwer es wird. Lewis ist aus gutem Grund siebenmaliger Weltmeister. Ich bin in der glücklichen Position, vom Besten lernen zu können." Russell hat nichts zu verlieren. Nach drei Saisons bei Williams wird er zu jenem Rennstall aufsteigen, der seit Jahren das Abo auf die Titel der Fahrer- und Konstrukteurs-WM hat. Und wer würde es ihm übel nehmen, wenn er nicht direkt mit dem 36 Jahre alten Hamilton mithalten kann, der sich anschickt, Rekord-Champion zu werden?

Russell zerstreut die Bedenken lieber gleich, es könnte zu einer vergifteten Rivalität wie einst zwischen Hamilton und Nico Rosberg kommen: "Mercedes hat schon Erfahrungen mit einer schlechten Teamdynamik und sie haben absolut deutlich gemacht, dass sie keine Wiederholung dessen wollen. Ich will das ebenso wenig." Außerdem sei das Verhältnis zwischen ihm und Hamilton wirklich toll und sein Respekt für ihn riesig: "Dass ich so viel jünger bin als er und in meiner Kart-Zeit zu ihm aufgeblickt habe, verändert die Dynamik sehr. Ich sehe da überhaupt keine Probleme."

Konflikte zwischen Fahrern haben per se ja auch nicht ausschließlich mit dem Alter zu tun. So sehr die Formel 1 Teamsport ist, ist sie Einzelsport ehrgeiziger Hochgeschwindigkeitskünstler - unabhängig vom Geburtsjahr. Streitigkeiten zwischen Piloten unterschiedlicher, aber auch innerhalb von Teams gehören schon immer dazu. Die Frage des Alters drängte sich zuletzt allerdings auf wie selten.

Denn so massiv wie in der jüngeren Vergangenheit hat noch keine neue Generation geballt nach oben gedrängt. Was auch mit der klareren Strukturierung der Nachwuchsserien zusammenhängt. Die potenten Rennställe haben die Zukunft schon in ihren Cockpits sitzen: Max Verstappen, 23, führt im Red Bull die WM an. Im gleichaltrigen Charles Leclerc sieht Ferrari seinen nächsten Titelträger. Lando Norris, 21, überzeugt bei McLaren - mit Russell sind damit die herausragenden Talente benannt.

Dass es gleichzeitig eine Verschiebung des Renteneintrittsalters gibt, macht die Sache umso spannender. Und wie Mercedes sehen andere Teams eine Chance statt eine schwer zu bewältigende Herausforderung in der Kombination der Altersklassen. 2022 wird sich die Formel 1 verändern, neues Auto, neue Regeln, da schadet es nicht, wenn Jung von Alt lernt und Alt von Jung angestachelt wird.

Von den Erfahrenen lernen: Mick Schumacher (links) tauscht sich mit Kimi Räikkönen aus, der 2021 nach 20 Jahren seine letzte Saison in der Formel 1 bestreitet. (Foto: HOCH ZWEI /imago)

Fernando Alonso, 40, bildet die Alpine-Paarung mit dem 24-jährigen Esteban Ocon. Antonio Giovinazzi, 27, hat bei Alfa Romeo von der Erfahrung Kimi Räikkönens, 41, profitiert. Was auch der 22 Jahre alte Mick Schumacher gerne getan hätte - der dann jedoch bei Haas in die Königsklasse eingestiegen ist und dort nun erlebt, dass es ebenso anstrengend sein kann, sich die Garage mit einem Gleichaltrigen zu teilen: Die Spannung mit Nikita Masepin spitzt sich zu. Und Lance Stroll, 22, soll seit diesem Jahr bei Aston Martin von Sebastian Vettel lernen.

Bis 2020 fuhr der 34-jährige Heppenheimer noch für Ferrari mit Leclerc - in einer ganz ähnlichen Konstellation wie die künftige von Mercedes also. "Ich hatte einen mehrmaligen Weltmeister neben mir. Für uns als junge Fahrer ist das eine großartige Gelegenheit, zu zeigen, was wir können, und von den Besten zu lernen", sagt Leclerc in Monza, als er mit Vettel bei der Pressekonferenz auf das künftige Silberpfeil-Duo angesprochen wird. Der wiederum meint: "In gewisser Weise habe ich von Charles gelernt." Nun herrschte zwischen den beiden keineswegs Harmonie, im Gegenteil. Aber Vettel betont, und es wirkt fast wie zur Beruhigung: jede Situation sei anders.

Lewis Hamilton, der Bottas als Teamkollegen offenkundig schätzt, gewinnt der Situation jedenfalls etwas ab: "Ich denke, frisches Blut wird großartig für unser Team sein und definitiv neue Energie bringen. Zu wissen, dass ein Youngster kommt, der superhungrig und motiviert ist und das Team nach vorne treiben wird." Dass George Russell das Potenzial dazu hat, hat er ja bereits bewiesen.

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