Wechsel nach Wolfsburg:Der gerissene Max Kruse

Lesezeit: 3 min

So sah das aus damals: 2016 spielte Max Kruse schon einmal für Wolfsburg. (Foto: Guido Kirchner/dpa)

Der Stürmer geht überraschend von Union Berlin zurück zu den Niedersachsen. Seinen bisherigen Klub trifft der Transfer unerwartet - Kruse gibt unverhohlen zu, dass Geld eine Rolle spielte.

Von Thomas Hürner

Männer im vorgerückten Alter, so lautet jedenfalls ein Klischee, sind erpicht darauf, die wilden Jahre ihres Lebens zurückzuholen. Manche kaufen sich dann einen flotten Sportwagen, andere gehen ins Casino und zocken mit einem Haufen Geld, wiederum andere besuchen Tanzlokale und vergleichbare Etablissements. Vorausgesetzt, sie haben das nötige Kleingeld für diesen Lebenswandel erwirtschaftet.

Max Kruse, 33, hat zumindest für einen Fußballer ein fortgeschrittenes Alter erreicht. Und er wird, wie am Sonntagabend bekannt wurde, an seine sündigste Karrierestation zurückkehren: Der Angreifer verlässt den 1. FC Union Berlin und schließt sich bis 2023 dem VfL Wolfsburg an, wo er bereits in der Saison 2015/2016 unter Vertrag war.

Bundesliga
:Kruse kehrt zurück zum VfL Wolfsburg

Der Stürmer wechselt von Union Berlin zurück zu den Niedersachsen. Seinen bisherigen Klub trifft der Transfer unerwartet.

Im ersten Moment könnten es VfL-Anhänger deshalb als Drohung verstehen, wenn Kruse mit dem Satz zitiert wird, die "gemeinsame Geschichte" mit dem Werksklub sei "noch nicht zu Ende geschrieben". Kruse war in seiner kurzen Zeit in Wolfsburg eher dadurch aufgefallen, sein Privatvergnügen über berufliche Ambitionen zu stellen. Er hat zum Beispiel 75 000 Euro Barvermögen bei einer nächtlichen Taxifahrt verloren und während einer Länderspielreise angeblich mal Frauenbesuch im Hotelzimmer erhalten. Überdies demolierte er bei einem Nachtclub-Besuch das Handy einer Reporterin, und er soll zu viel Nuss-Nugat-Creme gegessen haben und wurde vom Bundestrainer folgerichtig aus der DFB-Elf gestrichen.

Kruse hat sich in den vergangenen Jahren weiterentwickelt

Kurz: Ausgerechnet in der biederen Autostadt hätte Kruse beinahe nicht nur eine Menge Pokerchips, sondern auch seine immense Begabung verzockt.

Es ist aber davon auszugehen, dass nun ein anderer Max Kruse in Wolfsburg erscheinen wird als jener, den sie beim VfL damals sehr gerne zu Werder Bremen weitergeschickt haben. Es handelt sich um einen gemäßigten Kruse - oder um einen Kruse, für den Trainer und Klubverantwortliche halt erst später den richtigen Umgang gefunden haben, so genau weiß man das nicht. Fest steht aber: Die Zeit nach Wolfsburg war für den Angreifer so etwas wie ein kontinuierlicher Rehabilitationsprozess, in dem seine Torquote und seine bundesweiten Sympathiewerte nach oben gingen.

MeinungTransfergeschäfte
:Großzügiges Einkaufen ist aus der Mode gekommen

Der Wintertransfermarkt der Bundesliga ist so amüsant wie der Winter selbst. Während in England und Italien Spieler munter die Arbeitgeber wechseln, halten sich die deutschen Klubs in der Corona-Krise vornehm zurück.

Kommentar von Philipp Selldorf

Kruse, ein Hallodri auch auf dem Rasen, trat als gerissener, geschmeidiger und immer gefährlicher Akteur in Erscheinung, ganz gleich ob bei Werder, bei Fenerbahçe oder zuletzt in seinen eineinhalb Jahren bei Union. Dass die Wolfsburger angeblich eine Ablöse in Höhe von fünf Millionen Euro an die Berliner bezahlen, für einen 33-Jährigen mit einem halben Jahr Restvertrag, dürfte aber auch damit zusammenhängen, dass Kruses zweiter Frühling mit dem bislang einzigen Frühling des jungen VfL-Trainers Florian Kohfeldt zusammenfällt.

VfL-Trainer Kohfeldt und Kruse kennen sich aus gemeinsamen Zeiten in Bremen

Kohfeldt coachte Kruse in Bremen, gemeinsam haben sie Werders Offensive damals auf ein ansehnliches Niveau gehoben, dann trennten sich ihre Wege, und auch der Rhythmus der Erfolgserlebnisse. Bei Werder war's vorbei mit dem schönen Spiel, es war auch der Anfang des Bremer Abstiegs, der sich schließlich in der vergangenen Saison vollzog - und es war der Beginn einer Abwärtsspirale, aus der Kohfeldt bis heute nicht mehr herausfindet: Für den VfL gab es insgesamt neun Niederlagen, seit Kohfeldt im Oktober die sportliche Verantwortung übernahm; eine zehnte am Sonntag gegen Fürth könnte ihn den Job kosten.

Der Wolfsburger Sportchef Jörg Schmadtke und der Sportdirektor Marcel Schäfer sind offenbar zu der Erkenntnis gekommen, dass sie die Mannschaft an neuralgischen Stellen umbauen müssen, um sie schnell wettbewerbsfähig zu machen für den sportlichen Überlebenskampf. Im Sommer hatte das Duo bereits 50 Millionen Euro in die Breite des Kaders investiert, jetzt geht es auch in die Tiefen der hierarchischen Ordnung: Der langjährige Kapitän Josuha Guilavogui ist bereits mit sofortiger Wirkung zu Girondins Bordeaux gewechselt, der Transfer des so treffsicheren wie streitbaren Stürmers Wout Weghorst zum FC Burnley wurde am Montag als perfekt gemeldet; er kostet den Tabellenletzten aus England angeblich 14,5 Millionen Euro. Die Erlöse aus diesen Transaktionen hat der VW-Klub fast vollständig für den dänischen Nationalangreifer Jonas Wind, 22, aufgewendet, der vom FC Kopenhagen an den Mittelkanal wechselt und zwölf Millionen Euro kosten soll.

Kruse gibt unverhohlen zu, dass Geld eine Rolle bei dem Wechsel spielt

Insbesondere der Niederländer Weghorst war in der Autostadt zuletzt als Teil des Problems und nicht mehr als Teil der Lösung identifiziert worden, die Rotation im VfL-Kader folgt daher dem logischen Plan, ein paar alte Rollenmuster aufzubrechen und dem Gefüge eine anarchischere Note zu verpassen. Wobei Kruses Wechsel freilich nicht alle Parteien für einen klugen Karriereschritt hielten: Kruse, sagte der Union-Präsident Dirk Zingler, habe sich "ganz bewusst" gegen die Chance entschieden, mit den Berlinern ein kleines Stück Fußballgeschichte zu schreiben.

Der Arbeiterklub aus Köpenick steht in der Liga momentan auf Rang vier und hat noch Aussichten auf den Gewinn des DFB-Pokals, was für Kruse die Gelegenheit bedeutet hätte, seiner bislang titelfreien Vita endlich die erste Trophäe zuzuführen. Allerdings passt dieser Wechsel auch auch deshalb zu einhundert Prozent zu Kruse, weil 90 Prozent der handelsüblichen Fußballer ihn vermutlich gar nicht erst angetreten hätten.

Das wohl wichtigste Argument für seine Rückkehr nach Niedersachsen formulierte Kruse selbst, und das mit unverhohlener Ehrlichkeit im Kommuniqué des 1. FC Union: Er habe, so der Angreifer, ein Angebot angenommen, das "langfristig und hoch dotiert ist". Jetzt hängst es vor allem von einer Variablen ab, wie Kruses persönliches Kapitel in Wolfsburg fortgeschrieben wird: Sie heißt Max Kruse.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Deutscher Fußball
:Überstrahlt von den ausländischen Talenten

Ohne Erfahrung keine Einsatzzeit, ohne Einsatzzeit keine Erfahrung: Viele Statistiken zeigen, wie wenig die Bundesliga im Augenblick auf heimische junge Fußballer vertraut - DFL und DFB schlagen Alarm.

Von Frank Hellmann

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: