Ein heller, großer Raum in einem Zweckbau an der Erfurter Straße in Halle an der Saale. Hier, im Hochsicherheitstrakt, ging vor dem Arbeitsgericht der Prozess des ehemaligen Funktionärs Lutz Buschkow gegen den Deutschen Schwimm-Verband am Mittwochmorgen in die nächste Runde. Hochsicherheitstrakt nicht deshalb, weil Buschkow ein mutmaßlicher Schwerverbrecher wäre, das ist er nicht. Sondern, weil hier die technischen Mittel vorhanden sind, damit sich die Vorsitzende Richterin Gabriele Firzlaff die im August 2022 ausgestrahlte ARD-Dokumentation "Missbraucht - Sexualisierte Gewalt im deutschen Schwimmsport" ansehen kann.
Darin wirft der ehemalige Weltklasse-Wasserspringer Jan Hempel seinem früheren Trainer Werner Langer vor, ihn zwischen 1982 und 1996 Tausende Male sexuell missbraucht und vergewaltigt zu haben. Und er beschreibt den Deutschen Schwimm-Verband (DSV) als Schweigekartell, bei dem nur der sportliche Erfolg zähle: "Wenn man nicht mitzieht, fliegt man raus. Es wird über Leichen gegangen." Und: "Alle haben geschwiegen, bis heute."
Langer kann sich nicht mehr äußern, er nahm sich im Jahr 2001 das Leben. Doch Hempel nannte im ARD-Film einen weiteren Namen: Lutz Buschkow. "Er wusste auch davon", sagte Hempel, der sich 1997 nach eigenen Angaben Bundestrainerin Ulla Klinger offenbart hatte. Diese habe dann auch Buschkow, den damaligen Bundestrainer Nachwuchs und Betriebsratsvorsitzenden des DSV, über die Vorfälle informiert. Buschkow selbst hatte immer betont, erst durch die ARD-Dokumentation vom Missbrauch an Hempel erfahren zu haben.
Hempel erhält vom DSV Schadenersatz und Schmerzensgeld in Höhe von 600 000 Euro, darauf einigten sich beiden Seiten Ende Oktober. Doch die Causa Buschkow ist nach wie vor nicht abgeschlossen, auch an diesem Mittwoch in Halle nicht.
Am 1. Mai soll der Abschlussbericht der Aufarbeitungskommission vorliegen
Buschkow war im Zuge von Hempels schwerwiegenden Anschuldigungen, die den damaligen Wassersprung-Bundestrainer im Sommer vor zwei Jahren bei der Schwimm-EM in Rom erreichten, vom DSV zunächst freigestellt und im Oktober 2022 fristlos gekündigt worden. Genau gegen diese fristlose Kündigung klagt Buschkow seither. Der 66-Jährige fordert sein ausstehendes Gehalt bis zur Verrentung, außerdem will er bis zu den Olympischen Spielen 2024 in Paris weiterbeschäftigt werden - und seine Reputation zurückgewinnen.
Das Arbeitsgericht in Halle hat nun seine Entscheidung darüber, ob die Kündigung Buschkows durch den DSV rechtens war oder nicht, vertagt. Den Streitparteien soll noch einmal Raum gegeben werden für eine gütliche Einigung. Sollte das bis zum 3. April nicht funktionieren, will das Gericht einen Verkündungstermin bekannt geben. Eventuell werden dann in weiteren Verhandlungen Zeugen geladen, um eine mögliche Mitwisserschaft Buschkows im Fall Hempel weiter zu beleuchten.
Am Mittwoch hat Buschkow zumindest einen Rückschlag bei der Aussicht erhalten, noch bis zu den Spielen 2024 in Paris weiterbeschäftigt zu werden. Richterin Firzlaff wies darauf hin, dass eine Entfristungsklage Buschkows nicht rechtzeitig vor Ablauf der Dreiwochenfrist eingegangen sei. Damit sei sein Anstellungsvertrag beim DSV seit 1. September vergangenen Jahres mit Erreichen des Rentenalters des 66-Jährigen beendet. Ein Anschlussvertrag, der bis zum Ende der Olympischen Spiele in Paris gelten sollte, war nur mündlich mit dem früheren DSV-Präsidenten Marco Troll geschlossen worden. Buschkow teilte der SZ am Mittwoch mit, er werde sich "nicht zum weiteren Verlauf äußern".
Folgt man dem Hinweis des Gerichts, würden sich auch Buschkows finanzielle Ansprüche gegenüber dem DSV deutlich verringern. Einigen konnten sich Buschkow und DSV-Vizepräsident Wolfgang Rupieper, der den Verband vertrat, samt Anwälten am Mittwoch nicht, trotz mehrerer Gespräche vor Verhandlungsbeginn und während zweier Pausen. Dem Vernehmen nach dürfte es um eine Summe im niedrigen sechsstelligen Bereich gehen. "Es ist uns gelegen an einer gütlichen Einigung, das wäre auch besser hinsichtlich des Rechtsfriedens insgesamt", sagte Rupieper nach der Verhandlung. Andernfalls wäre "die Belastung für alle Sportler und Beteiligten, die vernommen würden, enorm groß - gerade auch für Jan Hempel". Hempels Münchner Anwalt Thomas Summerer sagte am Mittwoch auf SZ-Nachfrage: "Er kann erst ruhig schlafen, wenn dieser Prozess zu Ende ist."
Parallel beleuchtet ohnehin seit 1. März 2023 eine externe Aufarbeitungskommission unter Führung der Soziologie-Professorin Bettina Rulofs Missbrauchsfälle im DSV, befragt Zeuginnen und Zeugen und sucht nach Mitwissern und möglichen weiteren Tätern. Ihr Abschlussbericht soll am 1. Mai vorliegen - drei Tage nach der Olympiaqualifikation der deutschen Schwimmer in Berlin.