Schwimmen:Jan Hempel erhält 600 000 Euro

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Jan Hempel, früherer Weltklasse-Wasserspringer für die DDR und später für Deutschland. (Foto: Bernd Wüstneck/dpa)

Der frühere Weltklasse-Wasserspringer bekommt im Zuge des Missbrauchsskandals eine hohe Entschädigung vom Deutschen Schwimm-Verband. Der Fall Hempel und andere mögliche Vergehen sind damit aber längst nicht ad acta gelegt.

Von Sebastian Winter

Jan Hempel hat die Nachricht in seinem Wohnort Meißen offenbar erleichtert aufgenommen. Der 52-jährige frühere Weltklasse-Wasserspringer lebt dort zurückgezogen, im Sommer 2022 wurde bei ihm Alzheimer diagnostiziert. Sein Anwalt Thomas Summerer sagte am Montag auf SZ-Nachfrage, dass es seinem Mandanten den Umständen entsprechend "einigermaßen" gut gehe, ihm sei nun "ein Stein vom Herzen gefallen": "Stellen Sie sich vor, es wäre ein jahrelanger Rechtsstreit geworden. Das wollte ich ihm nicht zumuten."

Dieser Rechtsstreit mit dem Deutschen Schwimm-Verband (DSV) ist nun abgewendet. Denn im Zuge des Missbrauchsskandals einigten sich Hempel und der Verband auf eine hohe Entschädigungssumme.

Wie der DSV am Montag mitteilte, erhält Hempel eine Sofortzahlung von 300 000 Euro. Außerdem zahlt ihm der Verband über die kommenden zehn Jahre hinweg weitere 300 000 Euro, die im Todesfall an Hempels Hinterbliebene gehen. "Für den DSV ist es von zentraler Bedeutung, die Integrität und Sicherheit unserer Mitglieder und Aktiven zu gewährleisten. Diese Entscheidung spiegelt unsere moralische Verpflichtung und den tiefen Respekt gegenüber Jan Hempel und allen Betroffenen wider", wird DSV-Vizepräsident Wolfgang Rupieper in dem Kommuniqué zitiert. Der Schwimmverband plane zudem, einen Fonds einzurichten, um den Bereich "Prävention sexualisierter Gewalt" zu stärken und hauptamtlich zu betreuen.

Hempel war ein begnadeter Wasserspringer, der in den Neunzigerjahren vier Mal Europameister wurde, Olympiasilber und WM-Bronze gewann. Von den tiefen Schatten, die ihn in dieser Zeit und auch schon in den Achtzigerjahren begleitet haben, konnte Hempel aber erst im Sommer 2022 berichten. In der ARD-Dokumentation "Missbraucht" warf er seinem einstigen Trainer Werner Langer vor, ihn über 14 Jahre hinweg lang missbraucht zu haben. Langer kann sich zu den Vorwürfen nicht mehr äußern, er beging im Jahr 2001 Suizid.

Als Hempel elf Jahre alt war, habe das Martyrium angefangen, in der Doku berichtete er außerdem über sexualisierten Missbrauch unter anderem während der Olympischen Spiele 1992 in Barcelona, unmittelbar vor dem Wettkampf. Der damals 20-Jährige lag auf Medaillenkurs vom Zehn-Meter-Turm, als ihm sein dreieinhalbfacher Auerbachsalto völlig misslang - er wurde Vierter.

Es gibt weitere Fälle: "Die Zahl derer, die sich bislang gemeldet haben, liegt im einstelligen Bereich", sagt DSV-Vizepräsident Rupieper

Die DSV-Spitze hatte Hempel nach eigener Darstellung 1997 von den Vorgängen unterrichtet, sein Fall sei aber vertuscht worden. Erst nachdem die Vorwürfe bekannt geworden waren, suspendierte und kündigte der Verband Bundestrainer Lutz Buschkow, der von den Übergriffen gewusst, aber nichts unternommen haben soll. Buschkow beteuert, erst durch die ARD-Doku von Hempels Vorwürfen erfahren zu haben. Der frühere Funktionär und der Verband streiten seit der Kündigung vor dem Arbeitsgericht, der nächste Termin ist nach SZ-Informationen im Februar 2024 angesetzt.

Der Gang vor Gericht ist Hempels Seite, die dem Verband in diesem Frühjahr eine Millionenklage angedroht hatte, nun erspart geblieben. Die Entschädigung sei laut dem DSV "nach einem Schlichtungsverfahren, intensiven Beratungen der Landesverbände im DSV und unter Einbeziehung des Zwischenberichts der unabhängigen Aufarbeitungskommission" beschlossen worden.

Wie "intensiv" die Beratungen gewesen sein dürften, zeigt schon die Tatsache, dass der klamme Verband nicht nur Hempels Ansprüche begleichen muss, sondern neben dem Prozess gegen Buschkow noch ein weiteres kostspieliges Verfahren am Hals hat: Jenes gegen den ehemaligen Sportdirektor Thomas Kurschilgen, der im März 2021 fristlos entlassen worden war. Den DSV, der ohne Präsident und ohne Chef-Bundestrainer in die Olympischen Spiele 2024 in Paris geht, weil beide Schlüsselpositionen vakant sind, stürzen diese Summen nun auch in finanzielle Probleme.

Dabei ist der Missbrauchsskandal mit dem Fall Hempel im Mittelpunkt längst nicht aufgearbeitet. Noch immer sind Mitwisser nicht öffentlich benannt, außerdem tagt seit dem 1. März eine Aufarbeitungskommission, die sich auch weiterer Fälle annehmen soll. Die Kommission wertete die außergerichtliche Einigung zwischen Hempel und dem DSV nun in der Verbandsmitteilung als "wertvollen Impuls für unsere Aufgabe, die Missbrauchsfälle im deutschen Schwimmsport zu erhellen und daraus Empfehlungen für den zukünftigen Schutz vor Gewalt zu erarbeiten".

Ein Jahr lang soll sie die Vorkommnisse um Hempel und weitere Fälle beleuchten. Und davon gibt es offenbar noch einige mehr. Denn wie DSV-Vizepräsident Rupieper der SZ vor zwei Wochen am Rande des Schwimm-Weltcups in Berlin sagte, "liegt die Zahl derer, die sich bislang gemeldet haben, im einstelligen Bereich. Wir unterstützen den Aufruf der Aufarbeitungskommission an potenziell weitere Betroffene, sich zu melden."

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In einer ARD-Dokumentation sagt der ehemalige Wasserspringer Jan Hempel, er sei über Jahre immer wieder von seinem Trainer missbraucht worden, sogar am Tag des olympischen Wettkampfs. Der Deutsche Schwimm-Verband stellt Bundestrainer Lutz Buschkow frei, der davon seit Jahren wissen soll.

Von Claudio Catuogno und Sebastian Winter

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