Affäre im deutschen Schwimmen:Dieser Vergleich wird teuer

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Fühlt sich rehabilitiert: Thomas Kurschilgen, früherer Leistungssportdirektor des Deutschen Schwimm-Verbandes. (Foto: Bernd Thissen/dpa)

Der Deutsche Schwimm-Verband warf 2021 seinen Leistungssportdirektor Thomas Kurschilgen raus - und muss ihm nun eine Entschädigung zahlen. Wie auch schon dem Missbrauchsopfer Jan Hempel. Es drohen weitere finanzielle Risiken.

Von Sebastian Winter

Von diesem Donnerstag an springen die deutschen Schwimmer bei der Kurzbahn-DM in Wuppertal ins Wasser, und die Wettkämpfe "mit fast 800 Aktiven in der prunkvollen Schwimmoper" versprechen spannend zu werden, frohlockt der Deutsche Schwimm-Verband (DSV). Vier Tickets sind noch zu vergeben für die EM im Dezember in Rumänien, Weltmeister wie Marco Koch und Florian Wellbrock testen ihre Form, aber auch Talente wie die 14-jährige Alina Baievych aus Erlangen.

Es ist auch ein Schaulaufen im vorolympischen Jahr, das der Verband gerne bewirbt. Doch abseits des Sports muss der DSV mal wieder Krisenmanagement betreiben. Vor wenigen Tagen hat er, wie er der SZ bestätigte, einen jahrelangen Rechtsstreit mit seinem ehemaligen Leistungssportdirektor Thomas Kurschilgen beigelegt. Und der Vergleich wird teuer: Nach SZ-Informationen muss der DSV seinem Ex-Funktionär eine mittlere sechsstellige Summe zahlen. Kurschilgen war im Frühjahr 2021 erst freigestellt und dann fristlos gekündigt worden, weil er, wie der Verband ihm vorwarf, Hinweisen auf Missbrauchs-Verdachtsfälle nicht angemessen nachgegangen sei. Dagegen wehrte sich Kurschilgen vor dem Landgericht Kassel - er wertete die Vorwürfe als Vorwand, den die damalige DSV-Führung um Präsident Marco Troll bloß angeführt habe, um ihn loszuwerden.

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Der Vorstoß des Schwimm-Weltverbandes, Trans-Personen in den Weltcup zu integrieren, ist gescheitert. Die Gefahr ist nun, dass das Thema wieder verschwindet - denn das bestehende System wird sich hüten, Präzedenzfälle zu schaffen.

Kommentar von Sebastian Winter

Nun sieht sich Kurschilgen rehabilitiert. Er sagt, der Vergleich "stellt für mich eine Wiedergutmachung dar, da er meinen juristischen und moralischen Ansprüchen umfassend gerecht wird. Meine Integrität und damit meine Reputation sind wiederhergestellt, da der DSV an den Kündigungsschutzgründen und insbesondere an den vorgeworfenen Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit dem Fehlverhalten des Trainers Stefan Lurz nicht mehr festhält". Der frühere Bundestrainer Lurz war wegen sexuellen Missbrauchs zu einer sechsmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt worden, das Urteil ist seit Februar 2022 rechtskräftig.

DSV-Vizepräsident Kai Morgenroth wollte sich nun zu dem Vergleich - insbesondere auch zu dem Reputationsschaden, der Kurschilgen durch das Vorgehen des DSV entstanden ist - auf Anfrage nicht öffentlich äußern. Für den Verband ist die Causa in jedem Fall der nächste finanzielle Tiefschlag. Vor drei Wochen hatte er sich bereits mit dem früheren Weltklasse-Wasserspringer Jan Hempel, der in den 1980er- und 1990er-Jahren von seinem damaligen Trainer sexuell missbraucht worden war, auf einen Vergleich geeinigt. Hempel erhielt 300 000 Euro und bekommt weitere 300 000 über die kommenden zehn Jahre.

Der DSV will nun die Lizenzgebühren erhöhen - und einen hauptamtlichen Vorstand einsetzen

Auf mehr als eine Million Euro belaufen sich damit alleine diese beiden Fälle, aber es kommen noch weitere finanzielle Risiken auf den Schwimm-Verband zu.

Zum einen dürfte Mitte Februar 2024 am Arbeitsgericht Halle (Saale) das Urteil im Fall Lutz Buschkow fallen. Der ehemalige Wassersprung-Bundestrainer war im Herbst 2022 vom DSV im Zuge des Missbrauchsskandals um Hempel entlassen worden. Hempel wirft Buschkow in der ARD-Dokumentation "Missbraucht - Sexualisierte Gewalt im deutschen Schwimmsport" vor, bereits 1997 von den Vorwürfen gewusst, aber nichts weiter unternommen zu haben. Buschkow bestreitet die Mitwisserschaft, er gab an, erst durch die Doku von den Taten erfahren zu haben.

Zum anderen arbeitet seit 1. März 2023 eine unabhängige Aufarbeitungskommission weitere Missbrauchsfälle auf, die laut DSV-Vizepräsident Wolfgang Rupieper "im einstelligen Bereich" liegen. Nicht ausgeschlossen, dass im Zuge der neuen Fälle weitere Entschädigungszahlungen auf den Verband zukommen.

Einstige Weggefährten: Bundestrainer Lutz Buschkow (li.) im Gespräch mit Weltklasse-Wasserspringer Jan Hempel. (Foto: Hentschel/Imago)

Offenbar reichen die Rücklagen des DSV aktuell noch, um nicht in größere finanzielle Schieflage zu geraten. Immerhin erhält der DSV alleine fürs Jahr 2023 rund sechs Millionen Euro vom Bund, seine Eigenmittel belaufen sich auf rund vier Millionen Euro. Der Verband muss zugleich bei Großereignissen wie der WM in Doha im kommenden Februar in Vorleistung gehen. Und zur Wahrheit gehört auch, dass sich neue Stellen kaum finanzieren lassen, wenn immer neue Verfahren und Vergleiche drohen.

Der DSV befindet sich im Moment aber nicht nur in einer Finanz-, sondern auch in einer Führungskrise. Die Präsidentenstelle ist seit einem Jahr vakant, der pensionierte Richter Rupieper und der Steuerexperte Morgenroth führen als Vizepräsidenten die Geschäfte. Ein Chef-Bundestrainer ist auch nicht in Sicht; bis zu den Olympischen Spielen in Paris schultert Bundestrainer Bernd Berkhahn den Zusatzjob mehr oder weniger alleine.

Mit Spannung erwartet wird nun die Mitgliederversammlung am 9. Dezember in Kassel. Dort sollen auch die Weichen für die Strukturreform gestellt werden, die seit Jahren auf Eis liegt. Der Verband möchte sich durch die Erhöhung der Lizenzgebühr um jeweils fünf Euro für Erwachsene und Kinder (auf 25 bzw. 15 Euro pro Wettkampf) neues Geld beschaffen. Allerdings müssen die Mitglieder dem Antrag zustimmen. Eine Erhöhung der Mitgliedsbeiträge - ein Streitpunkt in der Vergangenheit - soll hingegen nicht geplant sein.

Dafür sollen die Mitglieder auch noch einer Satzungsänderung zustimmen. Denn der Verband plant, im kommenden Frühjahr einen dreiköpfigen hauptamtlichen Vorstand einzusetzen, der für Leistungssport, Sportentwicklung/Breitensport und Verwaltung zuständig ist und vom Präsidium beaufsichtigt wird. Müssen sich nur noch Kandidaten finden, die bereit sind, diesen Job zu übernehmen.

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In einer ARD-Dokumentation sagt der ehemalige Wasserspringer Jan Hempel, er sei über Jahre immer wieder von seinem Trainer missbraucht worden, sogar am Tag des olympischen Wettkampfs. Der Deutsche Schwimm-Verband stellt Bundestrainer Lutz Buschkow frei, der davon seit Jahren wissen soll.

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