Para-Wintersportlerin Linn Kazmaier:Eine Paralympics-Siegerin, die von Olympia träumt

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Linn Kazmaier bejubelt mit Guide Florian Baumann ihre Erfolge im Gesamtweltcup der Para-Biathleten und Para-Langläufer. (Foto: Kelly Bergman/Berg Media Photography/oh)

Linn Kazmaier hat gerade zum zweiten Mal den Weltcup im Para-Biathlon und im Para-Langlauf gewonnen - mit 17 Jahren. Ihr Ziel: bei einem Weltcup der Nichtbehinderten mitzulaufen.

Von Helene Altgelt

"Hei, jeg heter Linn Kazmaier, hvordan star det til?" Linn Kazmaier hofft, dass sie diesen Satz bald oft sagen darf. Weniger wegen des Inhalts selbst, denn sich vorzustellen und nach der Befindlichkeit des Gegenübers zu erkundigen, ist an sich wenig spektakulär. Aber wenn die 17-Jährige bald oft jemanden auf Norwegisch begrüßen darf, dann wurde sie wahrscheinlich am renommierten Sportinternat NTG in Lillehammer angenommen. Dafür paukt Kazmaier schon fleißig norwegische Vokabeln.

In Lillehammer erlernten schon die Biathleten Tarjei Bö und Tiril Eckhoff das kleine Einmaleins der Mathematik und das größere Einmaleins des Skifahrens und Schießens. Kazmaier kommt noch nicht ganz an die Trophäensammlung der beiden Norweger heran. Mit bisher zehn Medaillen bei Weltmeisterschaften, davon sieben goldenen, ist sie aber auf einem guten Weg. 2022 gewann sie bei den Paralympics fünf Medaillen im Skilanglauf und im Biathlon, darunter eine goldene im Skilanglauf über zehn Kilometer - mit 15 Jahren. Seitdem dominiert Kazmaier, die mit knapp vier Prozent der üblichen Sehkraft auf die Welt kam, ihre Disziplinen.

Würde Kazmaier es sogar zu den Olympischen Spielen schaffen, wäre das ein Novum

Neben den Norwegischlektionen übte sie zuletzt auch wieder Englisch: Mit ihrem Guide Florian Baumann gewann Kazmaier im kanadischen Prince George bei der WM drei Goldmedaillen und einmal Silber. Nur wenige Tage später bejubelte sie den Gesamtsieg im Biathlon- und Langlaufweltcup. Nicht nur für sie lief es in Kanada gut, auch ihre deutschen Kolleginnen Anja Wicker und Leonie Walter räumten ab.

Die Suche nach Talenten ist im Parasport traditionell herausfordernd, in der Spitze aber läuft es bei den Frauen derzeit rund. Für Kazmaier war der Weg zum Sport kürzer als bei anderen: Sie wurde in eine skibegeisterte Familie geboren, zum Langlauf kam sie mit acht Jahren durch einen Aushang in der Schule. "Wir pushen uns gerade gegenseitig höher", sagt Kazmaier zu den Erfolgen der deutschen Skijägerinnen.

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Neben dem Zusammenhalt gibt es noch einen anderen Grund für die Medaillensammlung des deutschen Teams, das weiß sie selbst. Nur sieben Wochen vor ihren Überraschungserfolgen bei den Paralympics trat Kazmaier bei den Weltmeisterschaften in Lillehammer an, dort holte sie zwei sechste Plätze. Damals war sie die Beste hinter den Athletinnen aus Russland und Belarus, die kurz vor den Peking-Spielen nach Beginn des Krieges in der Ukraine von den Wettbewerben ausgeschlossen wurden und mit denen sich Kazmaier seitdem nicht mehr gemessen hat. "Unschlagbar sind sie nicht", sagt sie, aber wie schnell die stärkste Konkurrenz ist, kann sie derzeit unmöglich wissen. Bei den nächsten Paralympics, 2026 in Italien, könnte das Rätseln ein Ende nehmen, wenn die Russinnen und Belarussinnen wohl teilnehmen dürfen.

Das Zielen auf Scheiben funktioniert mithilfe eines Tons, wie beim Park-Assistenten

Die Pole-Position zu halten, wird nicht leicht, aber Kazmaier hat sich längst höhere Ziele gesteckt: "Mein Traum ist es, bei den Nichtbehinderten im Weltcup mitzulaufen", sagt sie. Wie weit sie im Vergleich zu den Gleichaltrigen ist, will sie in Norwegen herausfinden. Den Traum vom Weltcup zu verwirklichen, wäre selbst eine große Herausforderung für eine, der bisher alles gelungen ist. Würde Kazmaier es gar zu den Olympischen Spielen schaffen, wäre das ein historischer Erfolg. Während bei den Sommerspielen schon mehrmals Athletinnen und Athleten mit Behinderung angetreten sind - Oscar Pistorius ist das bekannteste Beispiel -, wäre es im Wintersport ein Novum. Der kanadische Langläufer Brian McKeever qualifizierte sich 2010 zwar für Olympia, wurde aber nicht in das Team berufen.

Auch McKeever ist sehbehindert, auch er trat sowohl im Langlauf als auch im Biathlon an. Kazmaier erklärt, wie sie trotz Sehschwäche auf Scheiben zielen kann - das System könne man sich wie einen Park-Assistenten vorstellen: "Es funktioniert über das Gehör, der Ton wird umso höher, desto näher man an die Mitte von der Scheibe kommt. Es geht darum, das Geräusch sehr oft zu hören, um zu wissen, bei welchem Ton ich abdrücken kann, sodass es ein Treffer wird."

Nach dem erfolgreichen Saisonabschluss freut sie sich nun aber erst mal auf Erholung, auf Wandern, Klettern, Lesen - für die ein oder andere norwegische Vokabel wird sich wohl auch Zeit finden.

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