Paralympics:Plötzlich eine Medaille um den Hals

Paralympics: Überraschter Jubel: Linn Kazmaier und Leonie Walter mit ihren Guides Florian Baumann und Pirmin Strecker.

Überraschter Jubel: Linn Kazmaier und Leonie Walter mit ihren Guides Florian Baumann und Pirmin Strecker.

(Foto: Oliver Kremer/imago)

Nach dem Ausschluss des russischen Teams gehören die deutschen Biathleten bei den Paralympics zum Favoritenkreis. Bei ihren ersten Spielen gewinnen Marco Maier, Linn Kazmaier und Leonie Walter am ersten Tag Edelmetall.

Von Sebastian Fischer

Das Vorbild des Biathleten und Langläufers Marco Maier war in den vergangenen Monaten noch sein Konkurrent. "Er dominiert den Wettkampf so sehr, das ist einfach phänomenal. Ich will so trainieren, dass ich da hinkomme", sagte Maier vor rund einem Jahr im Sportschau-Interview über den Russen Wladislaw Lekomtsew: "Auch technisch kann man sich viel abgucken. Mit dem einen Stock schafft es Lekomtsew, so kraftsparend und schnell wie möglich, die Strecken zu absolvieren. Er läuft die Berge hoch wie manche mit zwei Armen."

Nun, bei den Paralympics in Peking, gehört Lekomtsew zu den 71 russischen Athleten, die wegen Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine gesperrt wurden. Und Maier, 22, aus Oberstdorf, dem an der linken Hand drei Fingerglieder fehlen, gehörte mit Silber im Biathlon-Sprint bei seinen ersten Paralympics zu den vier deutschen Medaillengewinnern am Auftakttag. Und das war nur ein Beispiel dafür, unter welchen Eindrücken diese 13. Winterspiele für Menschen mit Behinderungen begonnen haben.

Während der Eröffnungsfeier hatte Andrew Parsons in seiner Rede "Peace" gerufen. Parsons, der Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC), das Russlands Athleten zunächst zulassen wollte und erst unter dem Druck heftiger Kritik umschwenkte. Die eindrücklichsten Szenen der Zeremonie im "Vogelnest" genannten Stadion von Peking fanden in den Katakomben statt: "Peace for Ukraine", rief dort vor den Kameras das ukrainische Team, Konkurrenten umarmten die Athleten und den gerührten Komitee-Chef Waleri Suschkewitsch. Insgesamt 20 ukrainische Wintersportler sind widrigster Umstände zum Trotz nach China gereist.

Paralympics: Protest in den Katakomben: Das ukrainische Team bei der Eröffnungsfeier.

Protest in den Katakomben: Das ukrainische Team bei der Eröffnungsfeier.

(Foto: Uncredited/dpa)

Von nun an soll es vor allem um Sport gehen, das ist der höchst verständliche Wunsch der Verbände und Athleten. Doch dass sich die Geschichten aus Peking kaum ohne die Vorgeschichte der vergangenen Tage erzählen lassen, das zeigten nicht zuletzt die ersten deutschen Erfolge.

Dass Fahnenträgerin Anna-Lena Forster die erste Medaille gewann, Silber in der Abfahrt der Monoskifahrerinnen, und am Sonntag gleich noch mal im Super-G Zweite wurde, das war noch durchaus so zu erwarten gewesen. Vier Goldmedaillen hatte Forster zuletzt bei der WM im Januar geholt, allerdings fehlte da noch ihre größte Konkurrentin Momoka Muraoka aus Japan, die in Peking nun schon zweimal Gold holte. Drei Medaillen beim Biathlon in Zhangjiakou, neben Maier noch Silber für Linn Kazmaier und Bronze für Leonie Walter im Biathlon-Sprint der Athletinnen mit Sehbehinderung, das war dagegen eine Überraschung. Mit einer Einschränkung, wie Bundestrainer Ralf Rombach sagte: "Es war natürlich schon so, nachdem die russischen Mädchen nicht starten durften, dass wir uns schon ein bisschen was ausgerechnet haben."

Bei der WM in Lillehammer im Januar hatten die ersten fünf Plätze im Biathlon-Sprint der Frauen Russinnen belegt, Kazmaier war Sechste geworden, Rang sieben und acht gingen wieder an Russinnen, vor Walter auf Rang neun. Das Feld am Samstag war auf neun Biathletinnen reduziert.

Kazmaier ist mit 15 Jahren die Jüngste im deutschen Team

Die Erfolge der Deutschen waren deshalb natürlich nicht weniger bemerkenswert. Kazmaier, 15, ist die jüngste Athletin im deutschen Team. Auch für Walter, 18, sind es die ersten Paralympics. Beiden unterlief nur jeweils ein Fehler beim Schießen, das beim Biathlon der Sehbehinderten nach Gehör funktioniert: Ein Infrarotsystem zeigt ihnen per Akustiksignal über Kopfhörer an, wie nah sie am Ziel sind - je höher der Ton, desto näher an der Scheibenmitte.

"Wenn ich daran denke, eine Medaille um den Hals hängen zu haben, dann freue ich mich auf jeden Fall, aber ich kann es auch ein Stück weit noch gar nicht glauben", sagte Kazmaier. Vor sieben Jahren nahm sie zum ersten Mal an einem Lehrgang im Para Ski nordisch teil, seit vergangenem Herbst ist sie Sportinternatsschülerin in Freiburg. Bei den Paralympics wollte sie eigentlich nur "ein paar gute Erfahrungen sammeln", so hatte sie das noch vor ein paar Tagen gesagt. An prämierte Erfolge, 15 000 Euro gibt es analog zu Olympischen Spielen für Silber, hatte sie wohl kaum gedacht.

Paralympics: Biathlet Marco Maier.

Biathlet Marco Maier.

(Foto: Jens Büttner/dpa)

Ähnlich ging es auch Maier, einerseits. Andererseits war er schon bei einem Weltcup in Östersund Ende Januar nur 48 Hundertstelsekunden hinter dem siebenmaligen Weltmeister Lekomtsew ins Ziel gekommen. Und weil der Russe wegen eines Frühstarts eine Zeitstrafe erhielt, schlug Maier sein Vorbild damals tatsächlich schon.

Nun, ohne Lekomtsew und die übrigen Russen, fehlten auch in Maiers Feld die Favoriten. Aber er ließ unter anderem den Kanadier Mark Arendz hinter sich, sechsmaliger Medaillengewinner in Pyeongchang 2018. "Da waren Leute am Start, die das Weltniveau repräsentieren, da hat er mitgemischt, das war überragend", sagte Bundestrainer Rombach. Maier erlaubte sich keinen Schießfehler, eine Überprüfung der Jury wegen einer nach vorn gebogenen Federauflage blieb folgenlos. Und im Ziel war nur ein Athlet schneller: Grigori Wowtschinski, 33. Er gewann die erste Goldmedaille dieser Paralympics für die Ukraine. Am Sonntagabend waren es schon drei.

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