Es war eine illustre Runde, die am vergangenen Sonntag, am ungarischen Nationalfeiertag, auf der Ehrentribüne im Leichtathletikstadion von Budapest zusammenkam. Ungarns Premier Viktor Orbán begrüßte den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, den Emir von Katar, Scheich Tamim bin Hamad al-Thani, die Präsidenten von Aserbaidschan und Serbien, Ilham Alijew und Aleksandar Vučić, Österreichs einstigen Bundeskanzler Sebastian Kurz, um ein paar zu nennen. Fast hätte der ungarische Hammerwerfer Bence Halász auch für die passende Untermalung gesorgt; als er zwischenzeitlich die Führung übernahm, schien das neue Stadion in den Grundfesten zu erzittern. Aber dann gewann doch der Kanadier Ethan Katzberg, ein 21-Jähriger mit den Kräften und der Frisur eines Holzfällers.
Auch ohne ungarische Goldmedaille sind diese Weltmeisterschaften im "Nemzeti Atlétikai Központ", dem nationalen Leichtathletikzentrum, bislang ein Erfolg für die Gastgeber. Früher weideten hier Schafe am Ufer der Donau, erstreckte sich eine stinkende Industrieanlage; das betonen die Organisatoren sehr häufig, als wollten sie ihr Schmuckkästchen noch mehr funkeln lassen. 310 Millionen Euro hat die Regierung laut eigenen Angaben dafür ausgegeben. Fast jeden Abend ist es fast voll besetzt, Europas Leichtathletikgemeinde nutzt die Chance, mal wieder Weltmeisterschaften in der Nähe zu verfolgen, nach Doha (2019), Eugene (2022) und bald Tokio (2025). Aber Orban hat längst noch Größeres vor.
"Orbán möchte die Olympischen Spiele nach Budapest holen", sagt der freie Sportjournalist Botond Csepregi. 2036 soll es so weit sein, dieses Datum hat Budapests Staatssekretär Balázs Fürjes Anfang des Jahres erst genannt. Für 2024 hatte es Orbán schon einmal mit Budapest versucht, dann zogen die Verantwortlichen die Bewerbung zurück, als in der Bevölkerung ein Referendum geplant wurde. Statt Milliarden für Olympia auszugeben, sollte das Geld in die maroden Strukturen in Verkehr, Bildung und Gesundheitswesen fließen, lautete die Forderung. So sehr Orbán und seine rechtspopulistische Fidesz-Partei gerade die Rechten und Rechtsaußen im politischen Ausland hinter sich versammeln, so gespalten ist die Gesellschaft daheim. Ein Rechtsstaatsverfahren der EU hat dazu geführt, dass Milliardenzahlungen aus Brüssel eingefroren sind, die Inflation lag zuletzt bei 20 Prozent, Lehrer, Studenten und Schüler gehen seit Monaten gegen die Regierung auf die Straße.
Warum dann die massiven Investitionen im Sport? Orbán sei "sportbesessen, fest überzeugt, dass der Sport Gemeinschaftsgefühl und Nationalstolz erzeugt", sagt der regierungskritische Journalist János Kele. Also wolle er mit seiner Partei das Land als internationales Drehkreuz des Sports etablieren, ganz ähnlich wie die Länder jener Staatenlenker, die Orbán am Sonntag in Budapest begrüßte. Zuletzt haben hier eine Reihe Großereignisse stattgefunden: Champions-League-Spiele und EM-Partien im Fußball in der brandneuen Puskás-Arena, Weltcups im Fechten, Olympia-Qualifikationsturniere der Ringer, die Handball-EM, die Schwimm-Weltmeisterschaften im vergangenen Jahr.
Viele ungarische Hammerwerfer wurden einst gesperrt
Und jetzt also die Leichtathletik-Weltmeisterschaften als propagandistisches Mittel. Tamás Kiss kam 1992 als Trainer aus Nyíregyháza nach Stuttgart, bis zuletzt betreute der 66-Jährige als Bundestrainer die EM-Medaillengewinner Marie-Laurence Jungfleisch und Fabian Heinle. Er hat die Leichtathletik in der alten Heimat immer eng verfolgt: "Ungarn hatte immer schon außergewöhnliche Werfer", sagt Kiss. Fünf Hammerwurf-Olympiasieger kommen aus dem Land.
Kiss weiß aber auch um die besondere Doping-Geschichte der Diskus- und Hammerwerfer. Adrián Annus und Róbert Fazekas handelten sich einst Dopingsperren ein, weil sie unter anderem aus einer versteckten Blase sauberen Fremdurin herauslaufen hatten lassen. Die "Gießmaschine" oder "ungarische Methode" war geboren, wobei die Ungarn mit ihren innovativen Praktiken gewiss nicht allein waren. Krisztián Pars, der Olympiasieger von 2012, wurde nach einer positiven Kokainprobe ebenfalls gesperrt. Aber in der Bevölkerung verfängt der Kurs, mit dem Sport Politik zu machen, durchaus: Im Land stehen allein sechs Leichtathletikstadien, in Budapest, Győr, Tatabánya, Pécs, Szolnok und Szeged. "Natürlich versucht Orbán, aus dem Sport Wählerstimmen zu gewinnen", sagt Kiss.
Auch die Weltmeisterschaften werden von den üblichen Versprechen begleitet, dem sogenannten Vermächtnis, das die Titelkämpfe hinterlassen sollen. Der Oberrang des Stadions besteht aus temporären Tribünen, an ihre Stelle soll später eine Rundbahn rücken, die jeder nutzen darf und von der aus man auf die Donau blickt. Parks und Kindergärten sollen das Areal langfristig vitalisieren, Schulprogramme die Kinder zur Bewegung motivieren. Wer Mitglied eines Sportvereins ist oder sich sportlich betätigt, erhielt für diese Weltmeisterschaften Tickets zum halben Preis. Es wirkt wie ein großer Testlauf - für den noch größeren, olympischen Traum? Den werde man, versprach Balász Fürjes, Budapests Staatssekretär zuletzt, "niemals aufgeben".