Kommentar:Zwischen Tradition und Moderne

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Immer wieder Rot: Monza ist für Ferrari ein Heimspiel. Charles Leclerc konnte hier 2019 gewinnen und wurde von tausenden Tifosi bejubelt. Dieses Jahr sind wegen Covid-19 vergleichsweise wenige da. (Foto: Antonio Calanni/AP)

In Monza ist die Formel 1 seit 1950 zu Gast, hier blüht die Nostalgie. Diesmal ist auch wegen des neuen Sprint-Formats einiges anders, die Rennserie wandelt sich - und das gefällt nicht allen.

Von Anna Dreher, Monza

Der Autodromo Nazionale im Königlichen Park von Monza gehört seit 1950 zum Kalender der Formel 1, die Bindung zwischen Region und Motorsportserie ist eng. Was natürlich an Ferrari liegt, Hauptakteur von Beginn an. An den Geländern der Tribüne entlang der Start-Ziel-Geraden haben Fans am Samstag die Landesflagge im Großformat aufgehängt, überall sind Fahnen der Scuderia zu sehen. Viele, die kommen, tragen Rot, wie seit jeher. Aber diesmal ist doch alles ein bisschen anders - und das liegt nicht allein am Coronavirus.

Statt zwei freien Trainings fand am Freitag nur eines statt, bevor um 18 Uhr die Qualifikation begann - die sonst immer am Samstag bestritten wird. Da stand nach einer vormittäglichen Trainingssession das Rennen um 16.30 Uhr auf dem Plan. Ein Rennen vor dem Rennen, um korrekt zu sein. Denn, so revolutionär sind die Antreiber der Königsklasse dann doch nicht, am Sonntag um 15 Uhr (Sky/RTL) findet nach wie vor der Grand Prix statt.

Ja, auch die Formel 1 versucht sich weiterzuentwickeln. Stillstand schadet, erst recht, wenn es um Geschwindigkeit geht. Und so wagt sie einen Versuch. Die Qualifikation legt nicht die Startaufstellung für den Höhepunkt fest, sondern lediglich die Reihenfolge für ein neues Format namens Sprint. In Monza sind das 18 Runden auf dem etwa 5,8 Kilometer langen Kurs. Wer hier dann als erstes über die Ziellinie fährt, darf am Sonntag von ganz vorne beginnen. Also quasi Rennen und Qualifikation in einem. Kompliziert? Ungewohnt? Unnötig?

Mehr Aufmerksamkeit bringt mehr Geld, beides sichert die Existenz

In Silverstone, wo das Experiment im Juli zum ersten Mal über die Bühne ging, fielen die Reaktionen gemischt aus. Der viermalige Weltmeister Sebastian Vettel zeigte sich skeptisch. Von Rang eins sollte weiterhin derjenige starten, der die schnellste Quali-Runde gefahren ist, befand er. Und schon gar nicht sollten zu viele Sprints eingeplant werden. Der Sportchef der Formel 1 hingegen war begeistert: Auf diese Weise sollen neue Fans angelockt werden, sagte Ross Brawn. Womit wir beim Kern der ganzen Sache wären: den Anhängern. Ihnen will die Formel 1 mehr Action bieten, um zu wachsen.

Zwei statt vier Räder: Die Formel 1 will nachhaltig werden, Sebastian Vettel fährt in Monza schon mal umweltfreundlich ins Fahrerlager. (Foto: Steven Tee/Imago)

Als einziger globaler Sport zog die Formel 1 2020 ihr Programm mit 17 Rennen halbwegs durch. Aber es geht auch um Innovation. Die Einführung von Nachtrennen 2008 in Singapur auf dem Marina Bay Street Circuit lieferte eine neue, spektakuläre Szenerie. Eine Budgetobergrenze soll die Leistungsunterschiede verringern, 2022 wird das Reglement ein anderes sein, zudem will die Formel 1 nachhaltig werden.

Aber die Formel 1 muss auch aufpassen, nicht zu überpacen. Immer mehr kann schließlich auch zum gegenteiligen Effekt führen, einer Übersättigung. Immer mehr Sportarten bei Olympia, eine Fußball-WM alle zwei Jahre - immer mehr heißt nicht zwingend immer besser, sondern bringt manchmal auch Beliebigkeit. Dass der Kalender 2021 auf 23 geplante Rennen erweitert wurde, um neue Märkte zu erschließen, bringt unter den aktuellen Umständen selbst Formel-1-Aficionados zum Seufzen.

Ob das Sprint-Format auch fürs kommende Jahr übernommen wird, entscheiden die Chefs am Ende der Saison in Absprache mit den Teams, wenn sie nach insgesamt drei Durchführungen Bilanz ziehen wollen. Entscheidend dürften dabei auch die Reaktionen und Erfahrungen aus Monza sein - wo große Tradition auf Moderne trifft. Die Formel 1 braucht beides.

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