Vor der Winterpause:Die Bundesliga bietet eine einzigartige Bilanz

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Trainer Christian Streich und sein SC Freiburg spielen weiterhin eine gute Rolle in der Liga - aber die Bedenken sind ein steter Begleiter. (Foto: Andreas Gora/dpa)

"S'isch brutal eng", sagt der stets um jedes "Pünktele" frohe Christian Streich über die Tabelle. Zurzeit könnte man meinen, der deutsche Profivereinsfußball sei eher ein Fall für Soziologen als für Sportkommentatoren.

Kommentar von Philipp Selldorf

Wie allgemein und seit Jahren bekannt sein sollte, kann man den SC Freiburg nicht genug loben. Vorzuwerfen ist den Freiburgern lediglich, dass ihnen nichts vorzuwerfen ist, selbst Zyniker stoßen an Grenzen. An jedem Wochenende wird der Verein stattdessen von führenden Vertretern des Fußballs mit Komplimenten überschüttet, Leverkusens Trainer Gerardo Seoane ging diesmal vor dem Besuch im Breisgau so weit, seinen Kollegen Christian Streich nicht nur für dessen sportliches Schaffen zu rühmen, sondern, menschlich gesehen, als "Vorbild für alle" hinzustellen.

An der Einschätzung gibt es übrigens nichts auszusetzen. Wären alle Menschen wie Streich, wäre die Welt wahrscheinlich besser. Allerdings müsste die Menschheit dann damit klarkommen, dass sie Brägele statt Kartoffeln und Pünktele statt Punkte sagt, und dass Angst und Sorge ihre ständigen Begleiter wären. Streich trägt schwer an der selbstauferlegten Verantwortung für seinen Sportclub, immer noch spürt er jederzeit die Gefahr eines plötzlichen sportlichen Schwächeanfalls mit fatalen Folgen, selbst jetzt, da der SC kurz vor Weihnachten mit 26 Pünktele auf dem fünften Rang steht. Als am vorigen Samstag Hoffenheim in letzter Minute in Freiburg gewann, sah man wieder den furchtbewegten Streich aus den alten Zeiten, in denen der Klub weniger wohlsituiert und gefestigt der ersten Liga angehörte, immer in dem Bewusstsein, dass die Aufenthaltsgenehmigung jederzeit ablaufen könnte.

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Streich mag in der Beziehung ein wenig neurotisch sein, aber er ist auch ein Fachmann und daher aus gutem Grund nervös. Es sei "brutal eng" in der Tabelle, hat er wahrheitsgemäß festgestellt, "wenn du keine Pünktele holst, dann kommen die alle näher". Kurz vor der Saison-Halbzeit bietet die Bundesliga eine Bilanz, die unter Europas Spitzenligen einzigartig ist. Mit einer (überraschend) starken Serie könnte sich der FC Augsburg vom drittletzten Rang noch in den Europacup kämpfen, neun Punkte bis Platz fünf sind eine vergleichsweise geringe Differenz. In Italien, Frankreich, Spanien und England beträgt der Abstand zwischen der international ambitionierten Oberklasse und den Klubs, die in den niederen Sphären um die Existenz ringen, durchschnittlich 14 Punkte.

Klasseninterne Absteiger sind zum Beispiel der VfL Wolfsburg und Borussia Mönchengladbach

Zurzeit könnte man meinen, der deutsche Profivereinsfußball sei eher ein Fall für Soziologen als für Sportkommentatoren. Weite Teile der Liga haben sich durch Angleichung in einer Mittelstandsgesellschaft vereinigt, in der Auf- und Absteiger zueinandergefunden haben. Klasseninterne Absteiger sind zum Beispiel der VfL Wolfsburg und Borussia Mönchengladbach, die einen zuletzt Champions-League-Teilnehmer, die anderen zuletzt jahrelang zuverlässige Europacup-Anwärter.

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Aufsteiger sind zum Beispiel Mainz 05 und Union Berlin, die einen vor einem Jahr noch sportlich bankrott, die anderen ein Emporkömmling aus der zweiten Liga, der Mittel gefunden hat, sich in der neuen Welt zur Wehr zu setzen. Obenan gibt es den Feudalherren FC Bayern und seinen treuen Stellvertreter Borussia Dortmund, und ganz unten gibt es die SpVgg Fürth, die sich ihres vorübergehenden Mitgliedsstatus bewusst ist. Und ansonsten "isch es brutal eng", wie Streich in Wiederholung sagt, mit Recht nicht ohne Sorge.

Es gibt keine Formel, die diesen Trend erklärt. An jedem Ort findet sich eine eigene Theorie und Lösung. In Mainz etwa hat sich der Klub zur Jahreswende im Handumdrehen selbst renoviert und damit aus einem kaputten ein erfolgreiches Team gemacht. In Wolfsburg hat die falsche Lösung für die Trainerbank die vormals positive Entwicklung ins Gegenteil verkehrt. Die Corona-Krise spielt selbstredend auch eine Rolle: Viele Vereine sind aus finanziellen Gründen gezwungen zu improvisieren, das hat den Willkürfaktor gesteigert. Bis zum Schlusstag im Mai wird es außer Christian Streich noch mancher Klub mit der Angst zu tun bekommen.

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