Fan-Sozialarbeiter vor Gericht:Eine Frage des Vertrauens

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Viel Rauch um viel: Wegen dieser Pyrotechnik-Ausschreitung im vergangenen November in Karlsruhe ermittelt die Staatsanwaltschaft. (Foto: Jan Huebner/Imago)

Nach einem Pyrotechnik-Vorfall in Karlsruhe droht drei Mitarbeitern eines Fanprojekts Beugehaft. Ihr Fall ist politisch brisant, denn er berührt die Forderung nach einer Ausweitung des Zeugnisverweigerungsrechts.

Von Christoph Ruf, Karlsruhe

Am Montagmittag konnten die drei Mitarbeiter des Karlsruher Fanprojektes nach ihrem Termin im Amtsgericht kurz durchatmen, allerdings womöglich nur für ein paar Tage: Sie müssen erstmal nicht ins Gefängnis. Doch die Entscheidung ist nach der Zeugenanhörung nur verschoben. Innerhalb einer Woche kann die Staatsanwaltschaft entscheiden, ob sie auch formal Beugehaft beantragt, die bis zu sechs Monaten dauern kann.

Genau das wird erwogen, weil die drei Sozialpädagogen sich nach wie vor weigern, Aussagen zu einem Pyrotechnik-Vorfall im vergangenen November zu machen. Es wäre das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, dass Sozialarbeiter ins Gefängnis müssen, weil sie in Ausübung ihres Berufes mit staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen konfrontiert wurden. Auch das ist ein Grund, warum der Karlsruher Fall längst bundesweit Wellen schlägt. Fan-Sozialarbeiter sind bislang noch nicht mit dem Zeugnisverweigerungsrecht ausgestattet, das beispielsweise Juristen, Journalisten und Pfarrern zusteht, in der Sozialen Arbeit gilt es nur für Beschäftigte in der Drogenhilfe und der Schwangerschaftsberatung. Hätten es auch Fan-Sozialarbeiter, hätte die Justiz sie nicht ins Visier nehmen können.

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Genau das ist die politische Dimension des Verfahrens, das längst weit über Karlsruhe hinausreicht. Beziehungsarbeit in der Sozialen Arbeit beruhe auf einem dauerhaften Vertrauensverhältnis, erklärt Daniel Melchien, der als Geschäftsführer des Karlsruher Stadtjugendausschusses der Vorgesetzte der drei Sozialarbeiter ist. Diese hätten fachlich alles richtig gemacht, sagt Melchien. "Aber wenn sie seriös arbeiten, dürfen wir sie nicht ins offene Messer laufen lassen."

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte fordert eine Gesetzesänderung

Anlass der Ermittlungen waren im vergangenen November die Ereignisse beim Heimspiel des Karlsruher SC gegen St. Pauli. Damals war anlässlich des Gründungsjubiläums einer Ultragruppe so massiv Pyrotechnik gezündet worden, dass das Spiel erst mit einer Verzögerung von 15 Minuten angepfiffen wurde. Elf Personen klagten danach über Atembeschwerden, darunter ein Kind.

Die Ultras hatten im neuen KSC-Stadion nicht einberechnet, dass sich der Rauch unter dem vorstehenden Dach stauen würde, zeigten sich danach allerdings einsichtig. Zusammen mit anderen Fans nahmen sie unter Vermittlung von Verein und Fanprojekt an einem "Wiedergutmachungsgespräch" teil und entschädigten die Opfer, von denen später auch niemand Anzeige erstattete. Für alle Beteiligten, heißt es im Verein und in der Fanszene, war die Angelegenheit also längst geklärt, als die Staatsanwaltschaft wegen des Freisetzens von Giftstoffen ermittelte - ein Straftatbestand, keine Ordnungswidrigkeit. Es folgten Razzien in Karlsruhe, in der Ortenau und im Kraichgau.

Die dabei konfiszierten Handys dokumentierten, dass die Ultras auch Kontakt mit den Fanprojekt-Mitarbeitern hatten, wodurch diese ins Visier der Justiz gerieten. Doch obwohl bereits ein Ordnungsgeld gegen sie verhängt und bezahlt wurde, sagten die drei nicht aus. Basis ihrer Arbeit sei ein Vertrauensverhältnis zur Szene, das erst ermögliche, auf diese einzuwirken. Und tatsächlich ist genau das die Basis von Beziehungsarbeit in der Sozialarbeit.

In vielen Fankurven gab es zuletzt Solidaritätsbekundungen für die drei Karlsruher

Auch Streetworker in der Drogenarbeit könnten ihren Job an den Nagel hängen, wenn sie parallel als Quelle für Polizei und Justiz dienen würden. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte fordert nun eine Gesetzesänderung. Wenn es Schule mache, dass Sozialpädagogen mit einem Bein im Gefängnis stehen, wenn sie im Fußballkontext ihre Arbeit verrichten, komme das einem faktischen Berufsverbot gleich, argumentieren die Verbände.

Seit 50 Jahren fordern Fachleute, das Zeugnisverweigerungsrecht auf die Sozialarbeit auszudehnen. Fachpolitiker der Ampelkoalition befürworteten zuletzt auch öffentlich das Ansinnen, ließen aber auch durchblicken, dass es wohl noch ein paar Jahre dauern könne, bis die entsprechenden Gesetze auf den Weg gebracht sind.

Gut möglich, dass die Karlsruher Ermittlungen den Druck auf die Politik nun erhöhen. Zuletzt gab es in vielen Fankurven Solidaritätsbekundungen für die Karlsruher Sozialarbeiter. Und das ist nicht der einzige Grund, warum Daniel Melchien vom Stadtjugendausschuss den Geschehnissen zumindest in einem Punkt Positives abgewinnen kann: "Was hier passiert, betrifft viele zehntausend Menschen in der Sozialen Arbeit. Vielleicht entsteht jetzt die Dynamik, um endlich die Strafprozessordnung durch das Zeugnisverweigerungsrecht für die Soziale Arbeit zu erweitern."

Derzeit führt Melchien Gespräche mit Fachpolitikern in Berlin. Schließlich hätten "alle Parteien, bis auf eine, erkannt, dass Soziale Arbeit in einer immer komplexer werdenden Welt wichtig ist - auch zur Kriminalitätsprävention".

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