Union Berlin:"Da fragst du dich schon: Wieso eigentlich?"

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Das kann doch nicht wahr sein: Union-Trainer Urs Fischer beim 2:3 gegen Braga. (Foto: O.Behrendt/Contrast / imago)

Das in letzter Minute erlittene 2:3 gegen Braga beim Champions-League-Heimdebüt bereitet Union Berlin eine völlig neue Erfahrung: den Sturz in eine Sinnkrise. Trainer Urs Fischer befürchtet, dass sechs Niederlagen in Serie Spuren hinterlassen.

Von Javier Cáceres, Berlin

Da saß Urs Fischer nun, passend festlich gekleidet zum Heimspieldebüt in der Champions League, dennoch sah er derangiert aus, weil sein Team neuerlich Prügel von einem Phänomen namens Tragödie bezogen hatte. Die Krawatte des Union-Trainers saß fast auf Halbmast, der oberste Hemdknopf war gelöst, und auch die Frisur wirkte zerzaust, dabei trägt der Schweizer die Haare kurz wie ein GI der U. S. Army. In den vielen Minuten, die seit dem Schlusspfiff vergangen waren, musste Fischer nichts anderes getan haben, als sich diese Haare zu raufen. Aus guten Gründen.

Hinter ihm lag eine Union-Partie mit einem altbekannten Epilog, mit einem Punch in letzter Sekunde, der ein Nierenschlag war und sein Team in die Knie gezwungen hatte. Denn so wie schon Real Madrid im Bernabéu-Stadion am ersten Spieltag (1:0) hatte nun auch der SC Braga aus dem Norden Portugals die Berliner in letzter Sekunde in eine Niederlage gestürzt, die niemand begreifen wollte. Diesmal lautete das Endergebnis aus Union-Sicht 2:3 (2:1). Fazit Fischer: "Da fragt man sich schon: Wie viele Schläge kannst du noch einstecken?"

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Wie schon in Madrid gibt Union Berlin auch beim Champions-League-Heimdebüt in der Nachspielzeit einen Punktgewinn aus der Hand - und unterliegt nach 2:0-Führung gegen SC Braga mit 2:3.

Von Javier Cáceres

Es war wohl mehr Resignation als Ratlosigkeit, die aus den Worten des Trainers sprach. Denn ein paar Erklärungen hat er schon dafür, dass Union wettbewerbsübergreifend bereits ein halbes Dutzend Niederlagen in Serie zu beklagen hat. Diese erste, nunmehr amtliche Union-Krise unter Fischer wirft ein paar grundsätzliche Fragen auf. Wenn "immer Glück" mit Können gleichzusetzen sei, wie in den vergangenen Jahren des Dauererfolgs gern behauptet worden war, müsse dann "immer Pech" nicht als Unvermögen bezeichnet werden, wurde Fischer gefragt. Da wirkte er kurz entwaffnet. "Ja", sagte er, "das ist nicht so schlecht beschrieben." Relativierend betonte er aber, dass er es "als Trainer doch entscheidend" finde, "dass wir zu Möglichkeiten kommen."

Chancen hatte Union gegen Braga mehr als genug. Allein in den letzten 30 Minuten, als Fischer das Geschehen durch offensive Einwechslungen (Volland, Laïdouni, Aaronson) belebte, zählte der Trainer "drei Hundertprozentige". Beim Stand von 2:2 war da zumindest noch eine Punktprämie von nahezu einer Million Euro im Sack, doch die wurde von den Portugiesen in letzter Sekunde aus Unions Ausweichspielort, dem voll besetzten Olympiastadion, entführt. André Castros Schuss zum 3:2 (90.+4) verstand die Zeitung Jornal de Notícias als Einladung, die alte Gary-Lineker-Weisheit ("...elf gegen elf, und am Ende gewinnen immer die Deutschen") zu paraphrasieren: "Und am Ende gewinnen immer die Portugiesen."

Sheraldo Becker trifft und vergibt - in der neu formierten Defensive mangelt es an Abstimmung

Es hätte so weit aus Union-Sicht nicht kommen dürfen. Nicht nur wegen der Torchancen aus der Schlussphase, sondern auch wegen jener, die schon vor dem zwischenzeitlichen 2:0 liegengeblieben waren. "Da fragst du dich schon: Wieso eigentlich?", sagte Fischer. Recht viel hatte das mit Stürmer Sheraldo Becker zu tun, der zwar der Schütze beider Berliner Tore war (30./37.), aber für noch mehr Treffer hätte sorgen können, wenn er die Abseitsregel respektiert hätte - unter anderem bei einem annullierten Tor von Robin Gosens aus der 4.Minute. Allerdings verkörperte Becker an diesem Abend auch das, was vor der größten Union-Kulisse der Klubgeschichte (mehr als 73 000 Zuschauer) ganz gut funktioniert hatte.

Das Trainerteam um Fischer hatte die linke Seite der Portugiesen als wunden Punkt einer schwachen Gegnerabwehr ausgemacht, und Becker wusste bei der Umsetzung des sogenannten Matchplans zu gefallen. Dumm nur aus Union-Sicht, dass sich auch Fischers Kollege Artur Jorge ein paar Sachen angeschaut hatte - und auch Bragas Mannschaft einige Ideen gut umsetzte.

Die Treffer zum 1:2 und 2:2, kurz vor und kurz nach der Pause, folgten dem gleichen Modus Operandi. Zwei Eckstöße landeten im Rückraum des Strafraums, und dort hielten die Portugiesen drauf. Beim 1:2 staubte Verteidiger Sikou Niakaté einen Schuss von Kapitän Ricardo Horta ab, den Fredrick Rönnow nicht festhalten konnte, beim 2:2 nahm ein vom früheren Leipziger Bruma geschossener Ball eine spektakuläre Flugbahn (sie sah aus wie eine Klammer) und flog mit dem Stempel Sonntagsschuss versehen "in den Knick rein", wie Unions Mittelfeldspieler Janik Haberer beklagte. "Das macht schon was mit einem", fügte er hinzu. Urs Fischer ärgerte sich: "Bei den Gegentoren haben wir nicht gut verteidigt. Auf dem Niveau reicht das nicht."

Sheraldo Becker (re.) war der tragische Held von Union Berlin. (Foto: Annegret Hilse/Reuters)

Vor allem ärgerten ihn die defensiven Konstruktionsfehler beim 2:3, das zwar nicht einer Ecke entsprang, aber mit den ersten beiden Treffern wesensverwandt war und den Letzte-Sekunde-Kollaps herbeiführte. "Wir haben eine klare Abmachung: Entweder stellen wir gemeinsam zu, oder wir lassen uns auf die Höhe fallen, wo wir wieder ins Pressing gehen." Beim 2:3 hingegen, monierte Fischer, "haben zwei Jungs versucht zuzustellen, der Rest ist nach hinten gegangen".

Das klang nach Abstimmungsproblemen, die aus den verletzungsbedingten Absenzen von Robin Knoche und Rani Khedira sowie der noch nicht überwundenen Akklimatisierungsphase von Leonardo Bonucci und Alex Kral resultieren. Knoche und Khedira waren diejenigen, die in den vergangenen Jahren taktischer Weitsicht den Laden defensiv zusammenhielten. Die aktuelle Bilanz der Umbruchphase ohne die verlängerten Arme des Trainers auf dem Platz lautet: sechs Niederlagen hintereinander, bei 3:12 Toren.

Das ist vor allem deshalb perspektivisch betrüblich, weil Fußball immer auch eine Frage des Gemütszustands ist. So viele Niederlagen am Stück lassen auch Fischer zunehmend befürchten, dass dies Spuren bei seiner Mannschaft hinterlässt. "Logisch ist die Sorge da, weil die Resultate nicht den Leistungen entsprechen", sagte Fischer. Sein Gegenmittel? "Noch enger zusammenstehen" - am Samstag auswärts bei Borussia Dortmund.

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